Für die Bergung ihrer Leiche sollte niemand sein Leben riskieren. Laura Dahlmeier hielt sich strikt an den unausgesprochenen Bergsteiger-Kodex. Was es damit auf sich hat.
Laura Dahlmeiers Schicksal bewegt die Republik. Die Ex-Biathletin und Bergsteigerin war Anfang der Woche am Laila Peak in Pakistan verunglückt. Ein Steinschlag traf sie. Zwei Tage später wurde aus den schlimmsten Befürchtungen traurige Gewissheit: Dahlmeier hat das Unglück nicht überlebt. Bis heute ist ihr Leichnam nicht geborgen worden – zu gefährlich wäre ein Aufstieg bei so ungünstigen Witterungsbedingungen.
Wie ihr Management erklärte, habe Dahlmeier explizit niedergeschrieben, dass im Fall eines Unglücks niemand sein Leben riskieren solle, um ihre Leiche zu bergen. Bergsteiger-Legende Reinhold Messner erklärte im Interview mit ntv, dass es sich bei diesem Wunsch keineswegs um eine Ausnahme handele: „Ich würde sagen, es gehört zum Wertekatalog des Alpinismus.“ In den vergangenen Jahrhunderten hätten viele Bergsteiger eine solche Botschaft hinterlassen, so Messner. Für die Angehörigen. Für das Nachher.
Laura Dahlmeier hielt sich an den unausgesprochenen Bergsteiger-Kodex
Der Wunsch, niemand anderen zu gefährden, auch wenn einem selbst etwas zustößt, gehört zum unausgesprochen Bergsteiger-Kodex. Dieser Katalog sei in den vergangenen 200 Jahren des Alpinismus entstanden, weil die Sportlerinnen und Sportler erkannt hätten, dass es immer ein Restrisiko gebe, so Messner. „Wer sein Leben lang bergsteigt, der wird auch damit einverstanden sein müssen, dass der Tod eventuell dazugehört.“
Das bestätigt auch Dörte Pietron. Die Bergführerin und Trainerin des Frauenexpeditionskaders des Deutschen Alpenvereins erklärt auf stern-Anfrage: „Die Einstellung, dass sich niemand in Gefahr bringen soll, um den eigenen Leichnam zu bergen, ist unter Alpinisten sehr üblich, ich würde sie sogar als ‚common sense‘ bezeichnen.“ Dass Dahlmeier sogar eine schriftliche Verfügung hinterlassen hat, zeuge von einer „sehr ernsthaften und reflektierten Herangehensweise.“
Der Extrem-Bergsteiger Thomas Huber, der ursprünglich Dahlmeiers Rettungsmission leiten sollte, erklärte, das Team habe die Verunglückte bei einem Überflug mit einem Rettungshubschrauber entdeckt. Bei der Sichtung sei ihnen klar geworden, dass die 31-Jährige den Vorfall nicht überlebt haben konnte. Ihr Leichnam habe sich in einem schwierigen Terrain befunden, was im Falle einer Bergung eine hohe Gefahr für das Rettungsteam bedeutet hätte. Deshalb sei die Entscheidung gefallen, die Mission nicht anzutreten. Auch, um Dahlmeiers Wunsch zu respektieren.
Bislang sind keine weiteren Bergungsmissionen geplant
Am Donnerstagnachmittag veröffentlichten auch die pakistanischen Behörden den Beschluss, zunächst keine weiteren Bergungsversuche in die Wege zu leiten. Das teilte der Sprecher der zuständigen Provinzregierung Gilgit-Baltisten, Faizullah Faraq, der Nachrichtenagentur DPA mit. Auch für die örtlichen Rettungskräfte sei ein wichtiger Grund gewesen, Dahlmeiers letzten Wunsch zu respektieren.
Ob der Leichnam in näherer Zukunft geborgen werden könnte, ist bislang unklar. Dahlmeiers Familie wollte hierzu keine endgültige Entscheidung treffen. Die Entscheidung, ob eine solche Mission stattfindet, werde laut Pietron immer auf mehreren Ebenen abgewogen. Hier spiele etwa das Interesse der Familie, den Leichnam zu bergen oder auch ein „öffentliches Interesse“, wenn der oder die Verunglückte beispielsweise in einer viel begangenen Route liegt, eine Rolle.
Allerdings stehe der Eigenschutz bei einer solchen Operation immer im Vordergrund. „In Deutschland wird ein Leichnam am Berg meines Wissens nach immer geborgen, wenn die Möglichkeit besteht, dies ohne Gefährdung der Einsatzkräfte zu tun“, erklärt Pietron. „Ich glaube, es wäre in Deutschland rechtlich gar nicht erlaubt, einen Leichnam nicht zu bergen, es sei denn, das damit verbundene Risiko wäre zu hoch oder man weiß nicht, wo er sich befindet.“ Die Bergrettung in der Bundesrepublik sei gut ausgebildet und habe die nötigen Mittel, sodass es fast keinen Ort gebe, an dem ein Leichnam nicht früher oder später geborgen werden könne, ohne die Einsatzkräfte untragbaren Risiken auszusetzen, so die Expertin.
Situation in Pakistan deutlich komplizierter als in Deutschland
Schwieriger aber gestalte sich die Situation etwa am Laila Peak in Pakistan, so Pietron. Ob es dort eine Bergungsmission gebe, hänge auch immer mit den vielen regionalen, situativen, finanziellen, politischen und klimatischen Faktoren zusammen. „Fakt ist, dass Pakistan viele Gegenden hat, die wesentlich abgelegener und schwieriger zu erreichen sind, als das in Deutschland der Fall ist; größere Höhen, schlechtere Infrastruktur und so weiter. Ins Basislager, also den Ausgangspunkt für die Bergbesteigungen, ist man oft tagelang zu Fuß durch wegloses Gelände unterwegs. Deswegen sind generell das Risiko und die Kosten einer Bergung dort wesentlich höher als in Deutschland.“
Hinzu komme, dass es sich in Deutschland um professionelle und spezialisierte Rettungsorganisationen handele, so Pietron. „In Pakistan hat in vielen Regionen nur das Militär die Hubschrauber und Erlaubnis zu fliegen und es existiert keine Rettungsorganisation oder Bergwacht, die eine terrestrische Bergung durchführen könnte.“
Der Expertin seien beiderlei Szenarien bekannt: Fälle, in denen ein Leichnam am Berg belassen wurde oder werden musste und Fälle, in denen er geborgen wurde, erklärt Pietron.
Dahlmeiers Seilpartnerin sieht tragischen Unglücksfall
Der Laila Peak, an dem die 31-Jährige verunglückte, zählt zu den am schwierigsten zu besteigenden Gipfeln der Welt. Auch wenn Dahlmeier laut Messner „eine der besten Bergsteigerinnen weltweit“ war, ist ein Aufstieg riskant. Dahlmeier habe sich zwar nicht die höchsten, aber immer schwierigere Berge gesucht, so Messner.
Ihre Seilpartnerin Marina Krauss erklärte nach Dahlmeiers Tod, der Unfall haben sich beim Abstieg ereignet. Beide hätten die Besteigung abgebrochen, auf dem Weg nach unten sei Dahlmeier von einem großen Stein getroffen worden. Letztlich wohl nicht mehr und nicht weniger als ein großer Unglücksfall: „Wenn wir eine halbe Stunde früher dran gewesen wären, dann wären wir auch sicher heruntergekommen“, so Krauss.