Invasive Art: Zorro auf dem Vormarsch: Waschbär wird zum Problembär

Die hessische Landesregierung will, dass der Waschbär bald ganzjährig bejagt werden kann. Auch Frankfurter Forscher warnen, dass der räuberische Einwanderer niedlich, aber nicht unproblematisch ist.

Den Waschbären in Hessen soll es bald an den Pelz gehen: Die schwarz-rote Landesregierung plant eine drastische Verschärfung der Jagd auf die Tiere. Das Vorhaben, die Schonzeit für Waschbären abzuschaffen, sei weit fortgeschritten und werde demnächst abgeschlossen, teilt das hessische Landwirtschafts- und Jagdministerium mit. 

Die Landesregierung wolle damit bessere und wirksame Möglichkeiten schaffen, um bestehende Probleme mit Waschbären möglichst zielgerichtet zu minimieren. Dem Ministerium zufolge gehen Schätzungen von mindestens 120.000 Waschbären in Hessen aus. Für erwachsene Tiere gilt in Hessen eine Schonzeit von März bis Ende Juni.

Wissenschaftler: „Es muss etwas getan werden“

Auf die Probleme, die Waschbären verursachen, machen auch Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen des Verbundprojektes Zowiac (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) aufmerksam. In einem Positionspapier räumen sie mit Mythen rund um die niedlichen Tiere mit der Zorro-Maske auf und fordern Schutzmaßnahmen für heimische Arten. „Beim Waschbär haben wir das Problem, dass er einfach ein Sympathieträger ist“, sagt der Zowiac-Projektleiter und Wildtierbiologe Norbert Peter. Er untersucht mit anderen Experten im Rahmen des Verbundprojektes das Jagdverhalten von Waschbären in ausgewählten Naturschutzgebieten. 

Es sei wissenschaftlich belegt, dass diese positive Wahrnehmung die Meinung der Menschen stark beeinflussen und sogar dazu führen könne, dass notwendige Maßnahmen zur Kontrolle dieser Tiere schwieriger durchzusetzen seien oder nicht umgesetzt würden. „Wir wollen den Waschbären nicht verteufeln, aber den Fokus darauf lenken, dass etwas getan werden muss, wenn er in Gebieten vorkommt, in denen sensible Arten vorhanden sind“, betont Peter.

Allein in der Waschbären-Hochburg Kassel leben den Wissenschaftlern zufolge mittlerweile über 100 der Tiere pro Hektar. „Das entspricht etwa einem Waschbären pro Fußballfeld und ist eine der höchsten Raubtierdichten Europas“, machen die Forscher deutlich. Mit geschätzt 1,6 bis 2 Millionen Tieren in Deutschland habe sich der Waschbär zu einem der häufigsten wildlebenden Raubsäuger in Zentraleuropa entwickelt – Tendenz steigend. 

Hartnäckige Fehlinformationen

Die Folgen für heimische Arten seien regional verheerend, warnen sie. Studien belegten, dass Waschbären gezielt Brutstätten von Amphibien, Reptilien und bodenbrütenden Vögeln aufsuchten. Dabei verfielen sie oft in einen „Jagdrausch“. Sie töteten ganze Gelege und damit weit mehr, als sie verwerten könnten. „Wir dokumentieren einen dramatischen Rückgang sensibler Arten in Gebieten mit hoher Waschbärdichte“, sagt Peter.

Die Forscher beklagen, dass sich Fehlinformationen über den Waschbären hartnäckig hielten. Dazu zähle etwa die Behauptung, die Bejagung von Waschbären führe zu verstärkter Vermehrung. „Das ist eine Fehlinterpretation einer 35 Jahre alten Studie aus den USA“, sagt Dorian Dörge, wissenschaftlicher Projektkoordinator. 

Ebenso haltlos sei die Annahme, Waschbären lebten in einem „Matriarchat“, das durch Jagd gestört werde. „Diese Mythen haben reale Konsequenzen“, warnt Dörge. Sie verhinderten notwendige Schutzmaßnahmen und gefährdeten damit bedrohte heimische Arten. Auch vermeintliche Alternativen wie Kastration erwiesen sich als Illusion. Bei zwei Millionen Tieren sei sie praktisch unmöglich und rechtlich problematisch, da die EU-Verordnung die Freilassung invasiver Arten nach dem Fang ausdrücklich verbiete.

Faktenbasierte Aufklärung statt emotionaler Narrative

Die Wissenschaftler fordern ein entschiedenes Umdenken. „Es braucht Bundesmittel für abgestimmte Managementpläne der Länder“, sagt Peter. Außerdem sei die intensive Bejagung in Schutzgebieten mit bedrohten Arten notwendig. Und vor allem fordern sie faktenbasierte Aufklärung statt emotionaler Narrative. 

„Wir haben alle juristischen Möglichkeiten, etwas zu tun. Wir haben auch den gesetzlichen Auftrag einzuschreiten. Nur in der Bevölkerung kommt das nicht an. Und letztendlich geht es auch darum, wer zahlt“, erklärt Peter. Es müsse Aufklärungsarbeit geleistet werden. „Dazu soll unser Positionspapier ein wenig beitragen.“ 

Jäger: Intensive Bejagung zwingend notwendig

Beim Landesjagdverband (LJV) Hessen laufen die Forscher mit ihren Positionen offene Türen ein. Sie zeigten, dass die öffentliche Wahrnehmung der Tiere im Widerspruch zu den realen Schäden stehe, erklärt Pressesprecher Markus Stifter. Die Tiere würden in Dachböden eindringen, Dämmungen zerstören, könnten Krankheiten übertragen und bedrohten heimische Arten. 

Die intensive Bejagung des Waschbären sei zwingend notwendig. „Der Waschbär gefährdet massiv Arten wie Rebhuhn, Kiebitz, Feldlerche, aber auch Amphibien, Reptilien und Feldhasen“, sagt Stifter. „Die Bejagung ist ein zentraler Baustein im Artenschutz – zusammen mit Lebensraumverbesserung und Nahrungssicherung.“ Auch Schäden an Gebäuden und Gärten nähmen zu, ebenso Berichte über aggressive Tiere in Wohngebieten.

Schonzeit kontraproduktiv

Die geplante Aufhebung der Schonzeit für Waschbären durch die Landesregierung sei ein Schritt, den der LJV ausdrücklich begrüße und gefordert habe. Die Schonzeit sei ohnehin kontraproduktiv gewesen. „Der gesetzliche Elterntierschutz aus dem Bundesjagdgesetz bleibt bestehen, aber die Populationskontrolle wird erleichtert.“

Um die Bejagung besser zu gestalten, fordert der LJV die Neuauflage eines Förderprogramms für Lebendfangfallen mit elektronischen Fangmeldern. Diese seien besonders nachts – der Hauptaktivitätszeit der Waschbären – ein wichtiges und sinnvolles Mittel für eine praxisgerechte Jagd. Ziel müsse es sein, diese Maßnahmen wie auch eine revierübergreifende Koordination zu etablieren und über Landesmittel flächendeckend zu fördern.

Nabu hält landesweite Bekämpfung nicht für sinnvoll

Naturschützer hingegen halten eine Bekämpfung des Waschbären nur in seltenen Fällen zum Schutz solcher bedrohten Arten für sinnvoll. Die meisten Aspekte in dem Positionspapier der Frankfurter Wissenschaftler seien zwar richtig, erklärt Mark Harthun vom Nabu Hessen. So stelle der Waschbär tatsächlich für einige bedrohte Arten eine große Gefahr dar, zum Beispiel für seltene Amphibienarten wie die Gelbbauchunke. 

Die Bekämpfung der Tiere sei aber sehr aufwendig und ende nie. „Werden Waschbären weggefangen, wandern in kurzer Zeit neue Tiere nach. Dieser Fang in einzelnen (Schutz-)gebieten ist schon heute möglich – eine rechtliche Ausweitung ist daher nicht notwendig.“

Eine landesweite Bekämpfung über das ohnehin mögliche Maß sei nicht sinnvoll, weil die notwendige Bestandsregulierung nicht zu erreichen sei. „Auch beim Schalenwild ist eine solche Bestandsregulierung nicht gelungen, trotz großer Verbissschäden – und das, obwohl das Fleisch verwertet werden kann und damit eine hohe Motivation zur Jagd vorliegt – anders als beim Waschbären“, sagt Harthun. Wegen der leichteren Futterverfügbarkeit halte sich der Waschbär zudem gern im Siedlungsbereich auf, was eine Jagd schwierig mache.

Artenschutz statt Bekämpfung von Feinden

„Aus Sicht des Nabu ist es daher keine sinnvolle Naturschutzaufgabe, den Waschbären landesweit zu bekämpfen“, so Harthun. Gelder für Naturschutz und Wiederherstellung könnten durch Lebensraumwiederherstellung sinnvoller investiert werden als in die Waschbärjagd. „Das Prinzip von Jägern „Artenschutz durch das Töten anderer Tiere“ ist eine Philosophie, die der Nabu sich nicht zu eigen machen möchte.“ 

„Als Naturschutzverband steht für uns immer der Schutz von Arten und die Lebensraumverbesserung der Arten im Vordergrund, nicht die Bekämpfung von Feinden“, betont Harthun. Dies gelte von lokalem Wildtiermanagement in Einzelfällen abgesehen auch für den Waschbären.

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