Mit viel Tamtam kehrte Stefan Raab in die deutsche ESC-Maschinerie zurück – der neue Lena-Moment bleibt jedoch aus. Nun ist Raab da, wo er nie hinwollte, im harmlosen Mittelfeld. Wie weiter?
Der Eurovision Song Contest ist eine fröhliche, mitunter absurde Bühnenshow im XXL-Format – irgendwo zwischen Musikfestival, Kostümparade und Leistungsschau der Windmaschinen-Industrie. Als aber Stefan Raab in der Nacht zum Sonntag das Wort bekam, klang es erst einmal danach, als gelte es eine Regierungskrise abzuwenden.
„Ich übernehme die Verantwortung“, gab „Deutschlands ESC-König“ zu Protokoll, um dann noch einmal seine Strategie der vergangenen Wochen und Monate für das Publikum zu entschlüsseln. „Natürlich verspreche ich immer, dass wir gewinnen. Und zwar so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist.“ Sonst brauche man ja gar nicht erst anzutreten.
Klar war da längst, dass Deutschland den ESC 2025 nicht gewonnen hatte – was eigentlich das Ziel von Raab und der für den Wettbewerb zuständigen ARD gewesen war. Das viel gelobte Pop-Duo Abor & Tynna landete auf Platz 15 – also irgendwo jenseits von Gut und Böse. Die Top Ten, für die Raab einst als Garant galt, wurden ebenfalls verfehlt. Den Sieg holte sich stattdessen Österreich. Am Rande wurde der Wettbewerb von Protesten gegen die Teilnahme Israels getrübt.
ARD jubelt über Traumquote
Was das nun bedeutet? Das werden wohl erst die nächsten Wochen und Monate zeigen. Kurz nach dem ESC-Finale begann die Analyse-Maschinerie erst langsam anzulaufen.
Einerseits vermeldete die ARD eine Traum-Quote – die beste beim ESC seit 14 Jahren. Durchschnittlich saßen 9,13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Bildschirm. „Mit einer kreativen Allianz aus Stefan Raab, RTL und der ARD ist es gelungen, neue Zielgruppen zu erreichen und dem ESC in Deutschland neue Relevanz und Strahlkraft zu verleihen“, jubelte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl.
Andererseits war die Fallhöhe extrem hoch. Und Raab gab zu: „Die Platzierung war leider nicht so gut, wie wir es erhofft hatten.“
„Baller“ wird gefeiert – aber nicht belohnt
Dabei sah es zunächst gar nicht schlecht aus. Die Geschwister Abor & Tynna hielten die in sie gesetzten Hoffnungen erst einmal mit viel Energie am Leben. Tynna tanzte beim Auftritt auf einem gigantischen Radiorekorder, Bruder Abor spielte auf einem Cello mit LED-Beleuchtung. Das Instrument war weiß lackiert – und stellt sich damit in eine Linie mit der berühmten weißen Gitarre, mit der Nicole 1982 zum ersten Mal den ESC für Deutschland gewonnen hatte.
In der Halle in Basel kam der Act gut an. ARD-Kommentator Thorsten Schorn tat sein Möglichstes, um Optimismus zu verbreiten. „“Baller“ ist der Knaller“, übermittelte er dem heimischen Publikum. „Das wird hier gefeiert.“ Nach Verkündung des Ergebnisses mischte sich mehr Ironie in seine Analyse: „Platz 15 ist das drittbeste Ergebnis seit 2012.“
Tatsächlich ist Platz 15 kein schlechtes Ergebnis. In der vergangenen Dekade hat Deutschland etliche Komplettpleiten eingefahren – so schlimm kam es diesmal nicht. Auch Raab ließ seine Schützlinge nicht fallen. „Auch wenn sie nicht in die Top Ten gekommen sind, glaube ich, dass ihre Karriere jetzt richtig losgeht – die Abrufe ihres Songs sprechen eine klare Sprache“, sagte er.
Publikums- und Jurygeschmack klaffen erneut auseinander
Gegen den Countertenor JJ, der den Sieg für Österreich holte, kamen die beiden Österreicher, die für Deutschland antraten, aber nicht an. Vor allem die Jurys quer durch Europa waren von seiner dreiminütigen Pop-Oper mit dem Titel „Wasted Love“ derart begeistert, dass es Höchstwertungen hagelte. Abermals zeigte sich allerdings, wie sehr sich der Geschmack der Jurys von dem des Publikums unterscheidet – und welche Auswirkungen das haben kann.
Beim Publikum lag Israel deutlich vorn. Das Land hatte die Sängerin Yuval Raphael nach Basel geschickt. Die 24-Jährige ist eine Überlebende des Massakers der islamistischen Hamas und weiterer Terrorgruppen vom 7. Oktober 2023. Wegen des Gazakriegs gab es in Basel immer wieder Proteste gegen ihre Teilnahme. Am Abend versuchten nach Angaben des ESC-Sprechers des Schweizer Senders SRF sogar ein Mann und eine Frau am Ende des israelischen Auftritts mit einem roten Farbbeutel als Symbol für Blut auf die Bühne zu gelangen. Sie wurden gestoppt.
Am Ende reichte es trotz der vielen israelischen Publikumspunkte für Österreich. Elf Jahre nach dem Triumph von Conchita Wurst hat die Alpenrepublik damit wieder einen ESC-Sieger.
„Jetzt ist auch Stefan Raab wach“
Gleich zwei Jurys vergaben die Höchstwertung von 12 Punkten auch an Deutschland – die Ukraine und Tschechien. Als das Ergebnis aus der Ukraine verkündet wurde, sprang Raab auf und ballte die Faust. Ging vielleicht doch etwas? „Jetzt ist auch Stefan Raab wach“, stellte Kommentator Schorn fest. Es kam anders.
Was das Bild zusätzlich trübte: Ausgerechnet noch im vergangenen Jahr hatte Sänger Isaak einen 12. Platz für Deutschland errungen – war also unter dem Strich besser. Erst danach war Raab wieder in die deutsche ESC-Auswahl installiert worden und sollte nach noch höheren Zielen streben. Die ARD ging dafür extra eine Kooperation mit Raabs neuem Haussender RTL ein.
Spätestens seit dem unter seiner Ägide errungenen Sieg von Lena Meyer-Landrut im Jahr 2010 umgibt den mittlerweile 58-Jährigen die Aura des ESC-Gurus. Auch als Komponist für Guildo Horn (1998, „Guildo hat euch lieb“) und bei seinem eigenen Auftritt (2000, „Wadde hadde dudde da“) gelang ihm jeweils ein Top-Ten-Ergebnis.
Verpufftes „Raabinator“-Comeback?
Mit dieser Bilanz im Rücken hatte Raab dann die ganze Wucht seines Namens genutzt, um Abor & Tynna in mehreren Auswahlshows zum deutschen Beitrag zu küren. Die Entscheidung traf am Ende zwar das Publikum, aber Raab verantwortete die Vorauswahl. In den vergangenen Tagen hatte er selbst auch noch einmal intensiv für das Lied getrommelt. Unter anderem versuchte er, Deutsche auf Mallorca zu einer Stimme für Abor & Tynna zu bewegen. Aber ein Raab-Effekt? Blieb irgendwo zwischen Mallorca und Mittelmaß stecken.
Auch für Raab stand beim ESC einiges auf dem Spiel. Erst im vergangenen September hatte er seine jahrelange Bildschirmpause mit viel Tamtam beendet.
Mittlerweile ist seine wieder aufgenommene Karriere vor der Kamera allerdings ins Stocken geraten. Erst vor wenigen Tagen verkündete sein Haussender RTL, dass man mit den Quoten von Raabs wöchentlicher Show („Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab“) nicht mehr zufrieden sei und sie in ihrer aktuellen Form beenden werde. Im Herbst soll es ein neues Format geben. Wie das aussehen kann, steht in den Sternen.
Ob der „Raabinator“ nochmal zurück ans ESC-Steuer darf? Fraglich. Die ARD hatte die Zusammenarbeit mit dem erhofften Erfolg verkoppelt. Als ARD-Programmdirektorin Christine Strobl von der „Hörzu“ im Januar gefragt wurde, ob das Konzept mit Raab wieder auf Eis gelegt werde, sollte nicht der Sieg herausspringen, antwortete sie: „Absolut.“ Der Anspruch sei „ganz klar“, zu gewinnen.
Das ist nicht eingetreten.