Artenschutz: Käfer vs. Parkplatz – Wann Artenschutz zur Belastung wird

Für Naturfreunde ist klar: Seltene Arten müssen geschützt werden. Doch was ist, wenn damit hohe Kosten und Einschränkungen verbunden sind? Manche blicken anders darauf – und wägen ab.

Die Rinde am unteren Teil des Stammes ist abgeblättert. Ins freiliegende Holz führen Gänge, in deren Öffnungen gut ein bis zwei Finger passen. Aus manchen Löchern rieselt Bohrmehl.

An dieser Eiche an einem Baggersee im Landkreis Karlsruhe wird ein Dilemma deutlich, vor dem viele Kommunen, aber auch Unternehmen und mitunter sogar Privatleute stehen: Sollte der Artenschutz Grenzen haben? Überwiegen irgendwann öffentliche Interessen, finanzielle und soziale Belange?

Dass die mehr als 100 Jahre alte Eiche derart zugerichtet aussieht, liegt am Heldbock. Einem Käfer, der zwar laut Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg in der nördlichen Oberrheinebene von Mannheim bis Rastatt verbreitet ist, nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz deutschlandweit aber vom Aussterben bedroht. Er ist streng geschützt. 

Die mehr als fünf Zentimeter langen Tiere mit auffallend langen Fühlern legen ihre Eier in Rindenspalten von Stieleichen. Die Larven bohren sich im Verlauf von meist vier Jahren bis ins Kernholz. Und nehmen dem Baum die Stabilität. 

Einschränkungen am Baggersee?

Genau hier ist das Problem, vor dem Linkenheim-Hochstetten beispielhaft steht. Etwa ein Drittel der rund 30 Eichen am Baggersee-Parkplatz sind von den Käfern befallen, wie der Umweltbeauftragte der Gemeinde, Peter Pramann, sagt. Der am stärksten betroffene Baum droht nach Einschätzung eines Baumsachverständigen umzustürzen, wenn nichts unternommen wird.

Weil die Käfer streng geschützt sind, darf man den Baum aber nicht einfach fällen. „Dafür bräuchte man eine Ausnahmegenehmigung der oberen Naturschutzbehörde“, erklärt Pramann. Als mildere Maßnahme sei bisher nur die Krone gestutzt worden, damit sie dem Wind weniger Angriffsfläche biete.

Ohne Ausnahmegenehmigung blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Gelände rund um die Eiche sperren, dann wären rund 30 bis 40 Parkplätze nicht mehr nutzbar. Oder den Baum stützen – auch dann fehlten 10 bis 15 Parkplätze.

Das trifft Baggersee-Besucher. Sowie die Kommune, die mit den Parkplätzen Geld verdient, um den See instand zu halten. Mit Blick auf die Ausbreitung des Heldbocks in der Region sagt Pramann: „Dem Käfer geht’s nicht schlecht bei uns.“

Nur ein Beispiel von vielen

Wie in Linkenheim-Hochstetten müssen vielerorts Kommunen, Behörden oder Unternehmen abwägen: Naturschutz vs. andere Interessen. In Walldorf zum Beispiel machte die Haubenlerche vor einigen Jahren Schlagzeilen, wegen derer das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises ein zeitweises Ausgangsverbot für Hauskatzen verhängte. Im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21 gab die Deutsche Bahn Millionen für die Umsiedlung von Zauneidechsen aus.

Die Liste geschützter Tier- und Pflanzenarten ist lang. Und mit einer Lösung zum Heldbock ist es im Zweifel nicht getan, wie Pramann deutlich macht. „Die Käfer bereiten den Baum für andere Arten vor“, sagt der Umweltbeauftragte. Daher müsse im Zweifel ein Fledermaus-Experte mit einem Endoskop prüfen, ob sich in den Eichen nicht auch noch Zwergfledermäuse eingenistet haben.

Das kostet: Der Fledermaus-Experte, der Baumsachverständige – sie alle bekommen Geld für ihre Expertisen. Aber auch Stützen kosten je Baum nach Pramanns Einschätzung rund 15.000 Euro, es müssen Maßanfertigungen sein. Geld, das viele Kommunen dieser Tage nicht im Überfluss haben.

Die Stadt Karlsruhe schützt Heldbock und alte Eichen prinzipiell mit hohem Aufwand. Das Gartenbauamt trägt einer Sprecherin zufolge alle Kosten für die Pflege und jährlich ein bis zwei Kontrollen der Eichen. Bei größeren Sicherungen werde das Regierungspräsidium Karlsruhe um Unterstützung gebeten. „In Einzelfällen übernimmt dieses bis zu 50 Prozent der Kosten.“

Passiert das nicht, werden Auswirkungen spürbar: Eine Stützkonstruktion für eine abgestorbene Eiche an einer Hundeauslauffläche hätte den Angaben nach 28.000 Euro gekostet. „Da diese Summe nicht im Haushalt der Stadt Karlsruhe vorgesehen war und keine Unterstützung gewährt wurde, wurde die Fläche stattdessen zum Ärger vieler Hundebesitzer eingezäunt.“ Inzwischen lebten in dem Baum neben Totholz bewohnenden Arten seltene Kleinfledermäuse.

Heldbock wichtig für die Artenvielfalt

Die Sicht des Naturschutzbunds (Nabu) Baden-Württemberg auf die Sache ist freilich klar: „Leider müssen wir viel zu oft feststellen, dass geschützte und/oder bereits stark gefährdete Arten häufig nur als Hindernis oder Problem für verschiedenste menschliche Belange angesehen werden“, sagt Artenschutzreferentin Alexandra Ickes. „Die besten Gesetze nützen eben leider nichts, wenn in der Praxis meist gegen den Artenschutz abgewogen wird.“

Das globale Artensterben finde nicht nur im Regenwald, sondern eben auch direkt vor unserer Haustür statt. Der Heldbock könne nur in alten Eichen existieren, die wiederum ein Biodiversitäts-Hotspot seien, erklärt Ickes. Werde er geschützt, profitierten auch zahlreiche andere, stark gefährdete Arten. 

Der Käfer spiele als „Ökosystemingenieur“ eine wichtige Rolle, betont auch die Stadt Karlsruhe. Im Bereich des Schlossgartens und des angrenzenden Waldes seien 34 sogenannte Urwald-Reliktarten nachgewiesen. Das sei die höchste bekannte Zahl an einem Standort in Baden-Württemberg.

Da der Heldbock nur alte und kranke Eichen befällt, schadet er nach Auskunft des Naturkundemuseums Karlsruhe nicht der Forstwirtschaft oder behindert die Gestaltung von Parks. Wenn die Gefahr für Mensch und Umwelt zu hoch ist, könne man die Käfer als Notlösung umsiedeln. „Dafür werden große Stücke des gefällten Stammes neben neue potenzielle Brutbäume gelegt“, heißt es von den Fachleuten. Auch potenzielle Brutbäume in der Nähe bestehender Populationen sollten den Angaben zufolge geschützt werden, „da die Käfer aufgrund ihrer Ortstreue keine weiten Strecken zurücklegen, um neue Habitate zu finden“.

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