Kolumne: Das Wort des Herrn: Es ist Zeit für einen nationalen Notstand

Nun träumen schon Neonazis vom Endsieg, die kaum alt genug sind, um im Rewe ein Radler zu kaufen. Und die Polizei versagt erneut. Wie lange soll das so weitergehen?

Es muss wenigstens einen Toten geben.

Die Jugendlichen klingen frustriert und enttäuscht. Die bisherigen Anschläge haben viel Aufsehen erregt. Der Brandanschlag auf das Kulturhaus in Altdöbern. Der Beschuss der Asylunterkunft in Schmölln mit Silvesterraketen. Dazu die Videos mit brennenden Hakenkreuzen, Waffen und NS-Devotionalien. Mittlerweile hat es bereits Razzien gegeben, Mitglieder der Gruppe wurden von Spezialeinsatzkommandos der Polizei festgenommen, abgeführt und befinden sich nun in Untersuchungshaft. Sie wissen, dass irgendwer außerhalb ihrer Gruppe die Chats mitliest und Informationen nach draußen gibt. Der große Wurf aber steht erst noch bevor. Ein richtiger Anschlag. Ein großes Ereignis.

Es muss wenigstens einen Toten geben.

Die Kollegen der Investigativ-Abteilung von stern und RTL haben sich während einer monatelangen Recherche in den rechtsextremen Untergrund begeben. Was sie zutage förderten ist nicht mehr nur beunruhigend, es ist erschreckend und sollte ausreichen, um einen nationalen Notstand auszurufen. Der Rechtsextremismus wütet in unserem Land. Und wieder einmal sind es Journalisten, die Informationen zusammentragen, Personen und Netzwerke sichtbar machen und die rechtsextreme Gefahr mit Zahlen, Daten und Fakten unterlegen.

Die Gruppierungen heißen „Jung und Stark“, „Deutsche Jugend Voran“, „Elblandrevolte“, „Störtrupp“, „Chemnitz Revolte“ und „Letzte Verteidigungswelle“. Sie beherbergen junge Neonazis, die kaum alt genug sind, um im Rewe unter Einhaltung der Altersgrenze ein alkoholhaltiges Radler einzukaufen. Und doch träumen sie bereits von rechtsextremen Utopien, vom Endsieg und von der Wiederkehr einer nationalsozialistischen Führerfigur.

Der Rechtsextremismus und das Polizeiproblem

Die alles entscheidende Frage aber lässt sich nur zwischen den Zeilen herauslesen: Was genau machen eigentlich die Sicherheitsbehörden? Wäre es nicht an den Polizeien, Kriminalämtern und Verfassungsschutzbehörden rechtsextreme Gruppierungen zu zerschlagen und rechtsextreme Terroristen mit der vielbeschworenen Härte des Rechtsstaats zu verfolgen?

Vor wenigen Wochen erst veröffentlichte das Bundeskriminalamt Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität in Deutschland. Der Rechtsextremismus ist demnach die mit Abstand größte Gefahr, rechte Straftaten haben im Vergleich zum Vorjahr um 43 Prozent zugenommen und befinden sich auf einem Allzeithoch. Insgesamt 1.443 Fälle rechtsextremer Gewaltdelikte zählten die Behörden im vergangenen Jahr. Das sind ungefähr vier pro Tag. Ich telefoniere im Zuge dieser Kolumne mit Kollegen vom „Spiegel“, von der „Zeit“ und vom „Tagesspiegel“, sie alle bestätigen, was ich bereits vermute: Die Baseballschlägerjahre sind zurück.

Besonders in ostdeutschen Regionen breitet sich eine neue Generation von Neonazis aus. Im Gespräch mit „Zeit Online“ erklärt der Geschäftsführer der Organisation „Buntes Meißen“, dass er in den neuen Rechten teilweise die Söhne der Nazis seiner Jugend erkennt. Auch der Stiefvater von Justin Schmidt, der Protagonist aus der stern-Reportage, erzählt, dass er früher in der rechten Szene aktiv gewesen sei.

Während also eine neue Generation von Neonazis und Rechtsextremen heranwächst, bleiben die Sicherheitsbehörden seltsam unauffällig. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass sich die deutsche Polizei schwer tut, den Rechtsextremismus in ihrer eigenen Mitte unter Kontrolle zu bekommen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine neue rechtsextreme Chatgruppe mit Dutzenden Polizisten öffentlich wird. Jüngst erst titelte die „tagesschau“, dass ein Polizist „trotz 13 Neonazi-Chatnachrichten nicht suspendiert werden“ durfte. Die Hakenkreuze, Hitlerbilder und offen zur Schau gestellte Verharmlosung des Holocaust reichte dem Gericht für eine Suspendierung vom Polizeidienst nicht aus. Regelmäßig kommen Untersuchungen zur Zusammensetzung der Fraktionen in Bundestag und Landtagen zum Ergebnis, dass ausgerechnet die AfD die meisten Polizisten in ihren Reihen hat. Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen wird mittlerweile selbst als Rechtsextremist geführt. Wie genau eine solche Polizei, wie ein solcher Geheimdienst mit der gebotenen Ernsthaftigkeit Rechtsextremisten bekämpfen soll, weiß ich beim besten Willen nicht.

Gesichert rechtsextrem

Immerhin hat es der Verfassungsschutz mittlerweile hinbekommen, die AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einzustufen. Als Hauptgrund wird dafür das „in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis“ aufgeführt. Konkret betrachte die AfD „zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern nicht als gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes.“

Gut, dass der Verfassungsschutz nun endlich zu diesem Urteil kommt. Immerhin sind ganze neun Jahre vergangen, seit die damalige Parteichefin Frauke Petry darum bat, das Wort „völkisch“ wieder positiv zu besetzen. Oder acht Jahre seit der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Ralph Weber auf Facebook verlangte, dass sich alle „Biodeutschen mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern“ dafür einsetzen, dass „unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von […] einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird.“. Oder siebeneinhalb Jahre, seit der damalige Parteichef Alexander Gauland die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoğuz „in Anatolien entsorgen“ wollte.

Die CSU, die AfD und das bürgerliche Lager

Andererseits: Waren es nicht drei aufeinanderfolgende Bundesinnenminister von CDU und CSU, die mit der Behauptung, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, an die Öffentlichkeit gingen? Der unter der CDU designierte Staatsminister für Kultur und Medien Wolfram Weimar beklagt in seinem „konservativen Manifest“ die „biologische Selbstaufgabe“ Europas und wünscht sich eine „Fortdauer des eigenen Blutes“. Der zukünftige Staatssekretär der CDU im Bundesinnenministerium Christoph de Vries behauptete auf einer Podiumsdiskussion, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, „einfach deshalb, weil es ein genuin deutsches Volk gibt“. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Bundestag Sepp Müller, seines Zeichens auch Beirat für jüdisches Leben im Land Sachsen-Anhalt, beendete vergangenes Jahr einen Facebook-Beitrag mit der verbotenen SA-Parole „Deutschland erwache!“.

Unvergessen sind die Landesinnenminister der CDU, Lorenz Caffier und Holger Stahlknecht. Ersterer erwarb von einem Mitglied der rechtsextremen Gruppe „Nordkreuz“ eine Waffe, erhielt obendrein auch noch Schießtraining von diesem und musste nach Bekanntwerden des Vorgangs zurücktreten. Stahlknecht wiederum beschwerte sich über die gestiegenen Polizeieinsätze nach dem Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle, brachte eine Minderheitsregierung mit der AfD ins Spiel und musste ebenfalls gehen.

Der nun für das Bundesinnenministerium vorgesehene Alexander Dobrindt geriet im Jahr 2018 in Bedrängnis, nachdem er im Anschluss an die Landtagswahl in Bayern, CSU, FDP und AfD ins bürgerliche Lager einrechnete. Vielleicht war dies einer der Gründe, warum der Verfassungsschutz nun schnell handeln und das Gutachten zur rechtsextremistischen Gesinnung der AfD noch vor Amtsantritt Dobrindts veröffentlichen musste.

Wie bereits beim NSU, bei Nordkreuz und vielen anderen rechten Terrororganisationen hinkt auch dieses Mal die Polizei den Informationen von Journalistinnen und Journalisten hinterher. Im Fall der „Letzten Verteidigungswelle“ haben Hinweise der Recherchegruppe an die Polizei Anschläge verhindert und die Festnahme der Tatbeteiligten vorangetrieben. Hätte es die Arbeit der Kollegen von stern und RTL nicht gegeben, wäre der Traum der rechtsextremen Bande möglicherweise wahr geworden. Es hätte wenigstens einen, vielleicht sogar mehrere Tote gegeben. Gut, dass es anders gekommen ist.

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