Meinung: Spahn als Fraktionschef – für Merz kann das zur Gefahr werden

Jens Spahn soll neuer Chef der Unionsfraktion im Bundestag werden. Friedrich Merz trifft damit eine riskante Entscheidung – und schlägt Warnungen in den Wind.

Jens Spahn galt als X-Faktor im Personaltableau der CDU. Es ging für ihn um den Aufstieg ins Zentrum der Macht oder einen Trostpreis. Jetzt hat sich Friedrich Merz offenbar entschieden: Spahn bekommt den absoluten Topjob im neuen Bündnis. Der 47-Jährige soll Chef der Unionsfraktion werden. Auch die CSU hat dem Plan inzwischen zugestimmt. Nur gewählt werden muss der Ex-Gesundheitsminister noch.

Merz setzt Spahn damit an die zentrale Schaltstelle der Koalition. Der Fraktionschef organisiert die Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner, verteidigt den Kanzler im Parlament, organisiert Mehrheiten und Geld für die Regierungspolitik. Mit anderen Worten: Friedrich Merz ist jetzt auf Jens Spahn angewiesen – und zwar mehr als auf jeden anderen. Er braucht dessen unbedingte Loyalität. „Ausgerechnet!“, stöhnt mancher in der Partei.

Zweifel an Jens Spahn bleiben 

An Jens Spahns Treue gab und gibt es Zweifel in der CDU. Einflussreiche CDU-Leute haben Friedrich Merz bis zuletzt vor Spahn gewarnt. Der spiele zu oft auf eigene Rechnung, wechsle seine politische Gestalt je nach Stimmungslage. Und dann war da ja noch die jüngste AfD-Debatte. Auch das Verhältnis von Spahn zur SPD gilt (nicht nur deshalb) als zerrüttet: Dort traut man Spahn – anders als anderen Konservativen wie Alexander Dobrindt oder Thorsten Frei – nicht über den Weg. Spahn wird viel Arbeit leisten müssen, damit die Koalition klarkommt. 

Womöglich kam Merz aber gar nicht an ihm vorbei. Spahn gilt als extrem fleißig, als exzellenter Netzwerker, starker Verhandler – und er ist regierungserfahren. In den Koalitionsverhandlungen tauchte der 44-Jährige in fast allen wichtigen Verhandlungsgruppen auf. Er zog darin rote Linien, teils auch dem Chef gegenüber. „Das geht nicht, Friedrich!“, soll Spahn Merz in großer Runde entgegnet haben. Es zeigt sein ganzes Selbstbewusstsein – und gibt eine Vorahnung für die Zukunft.

Das neue Machtzentrum der CDU

Friedrich Merz trifft mit der Wahl eine Entscheidung, die über seine eigene Kanzlerschaft hinausreichen wird. Das Duo aus Spahn und Generalsekretär Carsten Linnemann wird das neue konservative Machtzentrum der CDU, gestützt von Bundestagsfraktion und Parteizentrale. Die beiden Männer bilden den Gegenpol zum liberaleren Lager um NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und andere Länderchefs. Wüst war bisher der klare zweite Mann in der Partei. Jetzt ruft der 69 Jahre alte Merz einen echten Wettbewerb um seine Nachfolge aus. 

Mancher in der Partei fürchtet: Mit der Wahl des Fraktionschefs könnte sich diese Nachfolgefrage für Friedrich Merz früher stellen, als es dem designierten Kanzler lieb sein kann. Und zwar nicht erst in vier Jahren. Das ist kein Ressentiment gegen Spahn, die eigenen Leute und langjährige Wegbegleiter trauen es ihm zu. Explizit auch die, die ein schnelles Ende der schwarz-roten Koalition herbeisehnen und längst in Richtung AfD schielen. Spahn wird beweisen müssen, dass er kein Hasardeur ist, sondern Land und Partei Ruhe und Stabilität bringen kann. Es ist die einzige Chance der Union gegen die extreme Rechte. 

Scheitert die Koalition, dann bin ich weg. So hat es Merz kürzlich gesagt. Was Jens Spahn will, hat er schon in der Schule klargemacht: Kanzler werden. Er wird diesem Ziel bald ein großes Stück näher kommen.

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