Es geht ein Schreckgespenst um in der ARD, und das Gespenst heißt: „Woke“. Die Sendeanstalt tut alles, um es zu vertreiben
Es sind gerade paradiesische Zeiten für abgehalfterte Komiker, ideenlose TV-Desperados und Experten in populistischer Provokation. Denn sie verfügen neuerdings über eine Zauberformel, die ihnen Zugang zu auskömmlichen Honoraren und breiter Öffentlichkeit sichert. Und diese Zauberformel lautet: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“ Mit diesem magischen Refrain und einigen menschenfeindlichen Provokationen müssen sie sich nur an die Anstalten der ARD wenden, und schon räumt man ihnen einen begehrten Sendeplatz frei, wo sie dann ungezügelt Hass und Hetze verbreiten dürfen.
Denn die öffentlich-rechtliche Anstalt ist offensichtlich inzwischen vollkommen mürbe geschossen. Jahrelang hat man ihr vorgehalten, sie sei nichts als indoktrinierter Staatsfunk. Mit vereinten Kräften verbreiteten Schwurbler, Wuttrolle, besorgte Bürger und hetzerische Springerpresse die Botschaft, die Öffentlich-Rechtlichen verschwendeten unsere Gebühren ausschließlich für politisch korrekte Propaganda und verbreiteten nichts als links-grün versiffte Ideologie. Wobei mit Ideologie hier all das gemeint ist, was fröhliche Diskriminierung und zwanglose Hetze nicht gutheißt.
ARD: Rückgrat? Welches Rückgrat?
Von dieser gebetsmühlenartig wiederholten Trottel-Argumentation sind die Senderchefs der ARD inzwischen wohl derart traumatisiert, dass sie Tag und Nacht darüber grübeln, wie sie die schrecklichen Vorwürfe entkräften können. Sobald jemand „Lügenpresse“ ruft, kriechen sie zu Kreuze und suchen nach Rechtfertigungen, statt mit stolz durchgedrücktem Rückgrat (welches Rückgrat?) zu rufen: „Klappe, ihr Trolle! Verschwindet und verbreitet eure populistische Propaganda in den Netzwerken der libertären Tech-Tycoons. Denn dafür wurden Twitter, Facebook, Instagram & Co. schließlich erfunden. Wir aber sind das Korrektiv! Wir sind die Wächter der Demokratie! Hassrede und Diskriminierung haben bei uns nichts zu suchen. Schleicht euch!“
Die ARD hat inzwischen leider derart schlimm der Mumm verlassen, dass sie jeden windigen Bewirtschafter von Reizthemen dankbar und ergeben wie einen Rettungsring umarmt, nur damit sie ein Alibi hat, wenn irgendeine Alice oder irgendein Björn wieder daherkommt und ihnen woke Gesinnung vorwirft. Dann gehen sie zitternd in die Verteidigung und stammeln: „Aber warum, allerliebste hochdemokratische Demokratievernichter? Wir haben doch Dieter Nuhr & Lisa Eckhart! Und wir versprechen Euch: Wir werden ab jetzt jede Woche mehr Hauspopulisten einkaufen!“ Es geht ein Schreckgespenst in den Fluren der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt umher, und das Gespenst heißt: woke. Die ARD scheint inzwischen bereit, alles zu tun, nur um es zu vertreiben.
Der Wunsch, ganz gezielt AfD-Themen zu bewirtschaften
Als Dieter Hallervorden neulich gezielt mit Hassvokabular provozierte, um sich zum heroischen Kämpfer der Meinungsfreiheit zu stilisieren, fragten viele, wie denn solch ein bedauerlicher und peinlicher Unfall passieren konnte. Schließlich sei das doch keine Live-Sendung gewesen. Der Sketch habe doch unzählige Abnahme-Instanzen passieren müssen. Man wisse doch, wie hierarchisch die ARD sei. Nun, der Fall ist nicht wirklich kompliziert: Der Sketch war reines Kalkül. Und zwar nicht nur seitens Hallervordens, sondern auch seitens der ARD. In dem altehrwürdigen Sturmgeschütz der Demokratie gibt es inzwischen offensichtlich auf allen Hierarchien Bestrebungen, ganz bewusst AfD-Themen zu bewirtschaften.
Nur so ist zu erklären, warum die Journalistin Julia Ruhs in der Pilotfolge ihres neuen, vom BR und NDR produzierten Reportage-Formats „Klar“ vollkommen enthemmt migrationsfeindliche und rechtspopulistische Narrative bespielen darf. Nur so ist zu erklären, dass ARD-Lieblingspopulist Dieter Nuhr nun auch noch seine unappetitliche Weltsicht bei Maischberger verbreiten darf. Und nur so ist zu erklären, warum jemand wie Serdar Somuncu neuerdings die Sendung „Suite – der Kulturtalk“ beim RBB bekommt. Eine Kultursendung für den selbst ernannten Hassprediger Somuncu!
Serdar Somuncu bei einem Auftritt im Osnabrücker Schlossinnenhof, 2020
© Fotostand / Andre Havergo
Dabei hat sich Somuncu in den letzten drei Jahren nun wirklich mehr diskreditiert, als es Thilo Mischke in sieben weiteren Leben könnte. Und schon letzteren musste die ARD völlig zu Recht wieder feuern. Somuncu hat Frauen sexistisch beleidigt, hat während der Corona-Pandemie das Netz mit irrwitzigem Schwurblerblödsinn geflutet und ein haarsträubendes Speichellecker-Interview mit Sahra Wagenknecht geführt, in dem Somuncu sich ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt hatte, die Politikerin in jeder Frage mit himmelschreiendem Populismus zu übertrumpfen.
Für alle jene, die glauben, das sei alles nur böswillige Übertreibung, sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen, was Somuncu 2020 in einem Podcast mit Florian Schröder sagte. Damals echauffierte er sich über all jene, die gegen die Verbreitung von Hassvokabular eintreten. O-Ton Somuncu (pardon my sexism): „Die sich darüber aufregen, das sind alles Pisser. Meistens Frauen. Schlecht gebumste, miese, hässliche Schabracken. Das Einzige, was ihnen geblieben ist, ist, dass sie keine Schwänze lutschen können, sondern meinen, Kolumnen schreiben zu können.“ Genau der richtige Sound für den Moderator einer Kultursendung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Die Eigenwerbung für Somuncus Kultursendung klingt übrigens so: „‚Suite‘ ist Retro und Zeitgeist zugleich. Inspiriert von Günter Gaus und Friedrich Luft lädt Serdar Somuncu in intimer Atmosphäre und minimalistischem Studio-Setting zum zurückgelehnten Nachdenken ein. Mit seinen Gästen sinniert er über unser Zeitgeschehen, ohne sich dem Tempo und der Atemlosigkeit der Aktualität zu ergeben.“ Zurückgelehnt! Sinniert! Günter Gaus! Nehmt das, all ihr schlecht gebumsten Schabracken!
Es ist ein bisschen witzig: Die ARD serviert ihren designierten Kulturmoderator Thilo Mischke ab, nur, um ein paar Wochen später einen zehnmal schlimmeren Moderator für eine Kultursendung einzusetzen.
Nicht oft bekommt man einen Einblick in die Entscheidungsgremien der ARD-Anstalten. Vor Kurzem allerdings gab es eine gute Gelegenheit dazu: Die hervorragende Schriftstellerin Kathrin Röggla war zwei Jahre Mitglied des RBB-Rundfunkrats. In einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erzählte sie nun, was sie bei dieser mühseligen und aufreibenden Arbeit am meisten deprimiert habe. Röggla sagte: „Mich hat es total frustriert, als die Intendantin in der letzten Sitzung ihre Rede mit dem Motto ‚Vom Hauptstadt-Sender zum Heimat-Sender‘ eröffnet hat. Hauptstadt-Sender impliziert Politik, Information, Entscheidung; Heimat-Sender dagegen Gefühl, Affekt. Und ist anschlussfähig nach rechts. Nur ein Beispiel für den Populismus, der bei der Zentralisierung der ganzen ARD um sich greift.“
Rögglas Erfahrungsbericht aus dem Innern der ARD zeigt: Man will anschlussfähig nach rechts sein. Natürlich kann inzwischen jeder all die windigen Rechtfertigungsstrategien der ARD-Hierarchen herunterbeten. Sie werden behaupten, in einer Demokratie müssten alle zu Wort kommen. Diesen Satzbaustein kleben sie nämlich immer in ihre verteidigenden Pressemitteilungen zu all ihren Hauspopulisten.
Erziehungsanstalt für einen Haufen barbarischer Nazis
Aber das ist ein Irrtum. Demokratievernichter, Hassprediger, Gesellschaftszertrümmerer und böswillige Spaltpilze dürfen eben nicht zu Wort kommen. Historisch gesehen haben die Öffentlich-Rechtlichen einen klaren Auftrag: Demokratie gewährleisten. Sie wurden von den Alliierten ins Leben gerufen, um aus einem Haufen barbarischer Nazis halbwegs anständige Demokraten zu machen. Sie sollten Brandmauer sein. Aber inzwischen ist die ARD nicht mehr Brandmauer, sondern wird immer öfter Brandbeschleuniger.
Dass die ARD ausgerechnet zur Feier ihres 75. Jubiläums einen Hallervorden-Sketch sendet, der gezielt Minderheiten diskriminiert, war kein Unfall, sondern steht symptomatisch für den Wandel innerhalb des Hauses. Betrachtet man die aktuelle Entwicklung in den Sendern der ARD, beschleicht einen das ungute Gefühl, dass die Entscheidungsträger langsam versuchen, schon mal ihre Karriere abzusichern für den Fall, dass die AfD an die Macht kommen sollte. So haben Weidel und Höcke dann weniger Arbeit beim Gleichschalten.