Nicht jeder Kapitän ist immer auf See, auch auf der Werft braucht es einen Schiffschef. Wie Boris Becker. Hier erzählt er, warum auch im Trockendock 2000 Leute an Bord sind.
Jedes Schiff braucht einen Kapitän. Ganz gleich, ob es unterwegs ist, im Hafen liegt oder, wie in meinem Fall, auf einer Werft überholt wird. Sieben Wochen lang hatte ich das Kommando über die „Aida Diva“, während sie in Marseille im Trockendock lag. In der Zeit hatten wir teilweise 2000 Leute an Bord: Handwerker, Lieferanten und natürlich die Besatzung. Da war fast so viel los wie auf unseren Kreuzfahrten.
Man sagt ja, der Kapitän schläft nicht, er ruht höchstens. Und das stimmt auch in der Werft: Man ist immer erreichbar – 24/7. Bei einem Schiffsumbau herrscht durchgehend Betrieb. Nicht in allen Bereichen zur gleichen Zeit, aber insbesondere am Anfang und am Ende wird Jede und Jeder gebraucht. Da sind dann „all hands on deck“, wie man so schön sagt.
Auf der Brücke bin ich vielleicht vier Stunden
Während der regulären Kreuzfahrten, an Hafentagen, bin ich vielleicht vier Stunden auf der Brücke, beim An- und Ablegen natürlich immer. Diese rein nautischen Aufgaben beanspruchen etwa ein Drittel meiner Zeit, den überwiegenden Teil bin ich mit den Führungsaufgaben beschäftigt, verbringe viel Zeit in Konferenzräumen und mit meinem Team. Als Kapitän bin ich vergleichbar mit einem Betriebsleiter und Geschäftsführer und sorge dafür, dass alle Zahnräder ineinandergreifen.
Das ist auf der Werft genauso: Da geht darum, zu schauen, dass die Teams Hand in Hand zusammenarbeiten, dass die Stimmung gut bleibt, und dass die anstehenden Arbeiten sinnvoll aufeinander aufbauen.
Die Tage im Dock sind lang und fangen früh an. Ab sechs Uhr morgens wird gefräst, gesägt und gehämmert. Nach einem Kaffee beginnen die Besprechungen mit den Teams, den Projektmanagern und Partnern. Wie ist der Stand, was fehlt, wo läuft es wie geplant? Die genaue Abstimmung untereinander ist äußerst wichtig bei einem Projekt dieser Größe, denn zwischendurch wartet garantiert eine unvermeidliche Überraschung. Oft keine schöne, aber eine, die zügig weitreichende Entscheidungen erfordert.
So hatten wir auf der „Aida Diva“ ursprünglich geplant, nur ein paar Fenster im Theatrium auszutauschen. Das ist unser dreistöckiger Bühnensaal mit Fensteraußenfassade. Nachdem wir mit dem Austausch angefangen hatten, merkten wir, dass alle Fenster erneuert werden mussten. Und so haben wir den kompletten Austausch beschlossen und damit ein weiteres zeitaufwendiges und kostenintensives Projekt. Schließlich soll das Schiff für die nächsten 15, 20 Jahre fit gemacht werden.
Solche Entscheidungen treffe ich natürlich nicht alleine, dafür sind die Systeme zu komplex.
Kurz waren wir zwei Kreuzfahrtkapitäne an Bord
Für alle Bereiche habe ich meine Spezialisten: Für die Technik, die Nautik, die Maschinen, das Hotel und so weiter. Meine rechte Hand ist der Staff-Kapitän, der auch die Arbeit auf der Brücke organisiert: die Wachen, die Routenplanung, die Ein- und Ausfahrten. Wenn viele Menschen zusammenarbeiten, gibt es auch immer mal Meinungsverschiedenheiten, und gerade da bin ich als Kapitän in meiner Führungsrolle gefragt. Und ohnehin immer, wenn es um die Sicherheit geht oder im Notfall.
Nach der Überführung der „Aida Diva“ von Marseille nach Italien waren wir kurz zwei Kapitäne an Bord. Im Hafenamt von Rom habe ich das Kommando an meinen Kollegen Moritz Pankau übergeben und meine Uniform in den Schrank gelegt. Als wir dann den Hafen von Civitavecchia verlassen haben, stand ich also da in Zivil und beobachtete von der Kabine aus, wie sich das Schiff langsam in Bewegung setzte. Das war schon sehr ungewohnt und fühlte sich wie verkehrte Welt an. Da denkt man: Eigentlich sollte ich jetzt nicht hier sein, sondern auf der Brücke.
Ich war bereits beim Bau der „Aida Diva“ 2007 dabei, damals noch als Sicherheitsoffizier, nun bei der Renovierung. Man fragt mich immer wieder für solche Projekte an, und ich sage nur selten nein, weil ich es wirklich leidenschaftlich gerne mache. Es beansprucht einen aber auch total. Man muss sich dezidiert damit beschäftigen, für die Familie und andere Dinge bleibt in diesen Phasen wenig Zeit.
Nach vier Monaten schließen wir dieses Projekt nun ab. Es wird ganz sicher nicht die letzte Aufgabe dieser Art gewesen sein. Ich werde erst einmal nach Hause fahren und dort zwei, drei Monate sein. Mein kleiner Sohn hat mich schon gefragt, wann das Schiff fertig repariert ist. Auf die intensive Zeit mit meiner Familie freue ich mich jetzt umso mehr. Da sammele ich die Kraft für die nächsten Herausforderungen, die garantiert kommen werden.
Transparenzhinweis: Die Recherchereise wurde unterstützt von Aida. Dies hat unsere redaktionelle Unabhängigkeit in keiner Weise beeinflusst.