Windenergie und Umwelt: Neuere Studien widerlegen AfD-Zahlen zu Windrad-Abrieb

Die AfD-Fraktion in NRW behauptet, ein Windrad produziere eine Tonne Mikroplastik-Abrieb. Doch jüngste wissenschaftliche Studien räumen mit solch übertriebenen Annahmen auf.

Die AfD im Düsseldorfer Landtag erreicht mit einer Behauptung über Windräder im Netz Hunderttausende Leser. Dabei geht es um vermeintlich hohe Mengen an Mikroplastik-Rückständen der Rotorblätter. „Die Energiewende ist eine gewaltige Umweltsünde“, schreibt die Fraktion etwa auf ihren Social-Media-Kanälen.

Behauptung

Es entstehe „eine Tonne Mikroplastik-Abrieb pro Windrad„, verbreitet die Fraktion Anfang November unter anderem auf X, Facebook und Instagram. Der Abrieb belaufe sich auf rund 40 Kilogramm pro Anlage und Jahr. Offenbar wird also eine Laufzeit von 25 Jahren angenommen. 

Bewertung

Neuesten wissenschaftlichen Studien zufolge ist der Abrieb um ein Vielfaches geringer.

Fakten

Es stimmt, dass es an Windkraftanlagen zur Erosion an den Rotorblättern kommen kann, vor allem an deren Vorderkanten. Diese Flächen sind Regen, Hagel und Schnee ausgesetzt. Bei Geschwindigkeiten an den Rotorspitzen von bis zu 360 Kilometern pro Stunde wirken Tropfen wie Schmirgelpartikel.

Dadurch wird Material abgetragen, es entsteht sogenannter Mikroplastik-Abrieb. Auch wenn diese Partikelemissionen nur sehr gering sind, können sie langfristig die Effizienz der Anlagen beeinträchtigen.

Was neueste technische Studien wirklich zum Abrieb sagen

Eine Studie der Technischen Universität Dänemark aus dem Jahr 2024 geht von einem durchschnittlichen jährlichen Materialverlust von 30 bis 540 Gramm pro Rotorblatt aus. Die meisten Anlagen haben drei Rotorblätter.

Onshore-Anlagen an Land: 8-50 Gramm pro Blatt und JahrOffshore-Anlagen auf dem Meer: 80-1.000 Gramm pro Blatt und Jahr

Nimmt man den höchsten Wert (1.000 Gramm) an, ergibt das über eine Laufzeit von 25 Jahren rund 75 Kilogramm Abrieb pro Windrad. Das sind umgerechnet 0,075 Tonnen – nicht einmal ein Zehntel dessen, was die AfD behauptet.

Eine niederländische Studie von 2024 schätzt die Emissionen moderner Offshore-Anlagen auf etwa 240 Gramm Mikroplastik pro Anlage und Jahr. Das entspricht 6,0 Kilogramm (0,006 Tonnen) über 25 Jahre.

Auch der Bundesverband Windenergie (BWE) nimmt zu diesem Thema Stellung. In einem Positionspapier vom August 2024 gibt er einen jährlichen Materialverlust von etwa 2,74 Kilogramm pro Windenergieanlage an – ein Mittelwert aus den Schätzungen der beiden Unternehmen Key Wind Energy (3,38 Kilogramm) und Deutsche Windtechnik (2,1 Kilogramm). Dieser Mittelwert ergibt bei einer Laufzeit von 25 Jahren gut 68,5 Kilogramm (0,069 Tonnen).

Unmengen mehr Abrieb bei Reifen

Geht man also von einem jährlichen Materialverlust pro Windkraftanlage von 3 Kilogramm aus, so wären das hochgerechnet auf alle 28.766 Anlangen in Deutschland (Stand: 2024) eine Gesamtmenge von 86,3 Tonnen pro Jahr.

Zum Vergleich: Die jährliche Menge an Reifenabrieb in Deutschland wird vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik auf bis zu 100.000 Tonnen geschätzt. Andere Studien nennen noch viel höhere Werte.

AfD-Quelle ist ältere Angabe mit Unsicherheiten

Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) hat beim energie- und wirtschaftspolitischen Sprecher der AfD im NRW-Landtag, Christian Loose, nachgefragt, auf welche Quelle sich seine Fraktion bei der Angabe von „eine[r] Tonne Mikroplastik-Abrieb pro Windrad“ bezieht.

Loose verweist auf eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von 2020. Diese bezog sich damals auf das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (Fraunhofer-Iwes). Demnach könnten es in einer „Worst Case“-Rechnung 45 Kilogramm Abrieb pro Windrad und Jahr sein. Doch es gibt eine wichtige Einschränkung: Dieser Wert geht schon vor fünf Jahren von äußerst extremen Annahmen aus, was auch die Autoren damals schreiben: Ihnen zufolge liegt der tatsächliche Abrieb „mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich darunter“.

Die dpa hat auch bei Fraunhofer-Iwes nachgefragt. Deren Pressesprecherin verweist aktuell auf die Angaben im BWE-Positionspapier vom August 2024.

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