Motivsuche in München: Tote, Verletzte, unterbrochene Wiesn: All das wegen eines Vaterschaftstests?

Trieb ein Streit über die Vaterschaft für seine Tochter Martin P. in München zum Äußersten? Für Bayerns Innenminister wäre das „unbegreiflich“.

Am Tag danach herrscht wieder der normale Ausnahmezustand auf der Münchener Theresienwiese: Das Bier fließt in Strömen in die Maßkrüge und von dort in die Kehlen Durstiger, die Kapellen spielen ihre Stimmungshits, und die Karussells drehen ihre Runden. Das 190. Oktoberfest ist in vollem Gange.

München während Oktoberfest im Ausnahmezustand

Vor 24 Stunden war hier nichts, wie es sonst ist in den gut zwei Wochen des größten Volksfestes der Welt. Es herrschte wirklicher Ausnahmezustand. Die Stadt hatte die Theresienwiese geschlossen. Anstatt der Wiesn-Wirte und Schausteller hatte die Polizei das Kommando über das riesige Festgelände. Mit mehreren Hundert Beamten und Dutzenden Spürhunden durchkämmte sie die Zelte, Fahrgeschäfte und Buden auf der Suche nach Sprengstoff.

Grund waren Ereignisse, die sich am frühen Mittwochmorgen rund sieben Kilometer nördlich in der Münchener Lerchenau abgespielt hatten. In der Glockenblumenstraße brannte ein Wohnhaus, nicht weit entfernt davon drei Autos. Die Einsatzkräfte entdeckten eine 81-Jährige mit Schussverletzung, einen toten 90-Jährigen und retteten eine 21-jährige Frau aus den Flammen des Gebäudes.

Am Lerchenauer See erschoss sich ein 57-Jähriger auf der Flucht vor der Polizei: Martin P., da sind sich die Ermittler sicher, hat auf seine Mutter geschossen, seinen Vater getötet und den Tod seiner Tochter mindestens in Kauf genommen, ehe er sich selbst tötete. Die Beamten fanden zudem Sprengfallen im Brandhaus – und ein Drohschreiben. Darin kündigte P. an, es werde ein „bombiges Erlebnis“ auf dem Oktoberfest geben. Die Behörden entschieden daher schnell, auf Nummer sicher zu gehen: Die Wiesn blieb vorerst dicht.

Hinter alldem sollen eskalierte Familienstreitigkeiten stecken, hieß es am Mittwoch schnell. Ein angebliches Bekennerschreiben von Linksextremisten stellte sich rasch als Fake heraus.

Wirrer Vaterschaftsstreit als Motiv?

Martin P. präsentierte sich im Internet als Mann der Tat für seine Kunden. Sein Betrieb bot „Allround-Handwerk rund um Haus und Garten“ an. Die Webpräsenz zeigt eine Auswahl seiner Arbeiten: Deckenverkleidungen, Carports, Badezimmer, Garagentore, Terrassen. Doch obwohl der 57-Jährige umtriebig daherkommt, kennt ihn in seinem Wohnort Starnberg offenbar kaum einer. Niemand, den Reporter vor Ort fragten, konnte Auskunft über ihn geben. Man habe ihn mal gesehen, wenn er in seinem roten und mehr als 30 Jahre alten Mercedes-Kastenwagen vorbeifuhr. Mehr aber nicht. Und auch für die Polizei war Martin P. ein unbeschriebenes Blatt – bis zu diesem Mittwoch.

Ermittler untersuchen den ausgebrannten Kastenwagen von Martin P.
© Felix Hörhager

Was anscheinend weder Nachbarn noch die Polizei wussten: P. zweifelte offenbar jahrelang die Vaterschaft für seine 21-jährige Tochter an. Das teilte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf einer Pressekonferenz mit. „Er hat das (die Vaterschaft; Anm. d. Red.) untersuchen lassen. Diese medizinische Untersuchung hat dazu geführt, dass die Vaterschaft für seine Tochter bestätigt wurde, und er hat seitdem damit argumentiert, dass das Institut, das diese Analyse vorgenommen hat, bestochen worden sei.“ P. habe das Gutachten als „falsch“ bezeichnet. 

Polizei ermittelt weiter zu Hintergründen

Mit dieser Auffassung habe sich der Handwerker im November 2023 mit einer Petition an den Landtag des Freistaats sowie an das Bundesjustizministerium in Berlin gewandt. Nach Informationen des „Focus“ prangerte P. in einem „einigermaßen wirren“ Schreiben „strukturierte Korruption bei einem Abstammungsgutachter der Universität München“ an. Polizei und Justiz verhinderten die Aufklärung. „Gegen Entgelt werden DNA-Zahlen für das gewünschte Verwandtschaftsverhältnis umgeschrieben“, behauptete er offenbar ohne jeden Beleg. Das Parlament erklärte die Petition rund ein halbes Jahr später „aufgrund der Erklärung der Staatsregierung als erledigt“.

Mit großem Aufwand suchte die Polizei auf dem Oktoberfestgelände nach Sprengstoff
© Smith

Ob dieser verhältnismäßig kleine Anlass tatsächlich der Auslöser für die Bluttaten vom Mittwoch war, müssen jetzt die weiteren Ermittlungen zeigen. Ebenso, ob es möglicherweise noch weitere Probleme in der Familie gab. „Offensichtlich wollte sich der Täter bis heute nicht mit der Situation abfinden“, erklärte Innenminister Herrmann. Die Folgen seien „unbegreiflich“.

Auf der Theresienwiese kehrte hingegen am Mittwoch um 17.30 Uhr wieder das Leben zurück. Sprengstoff wurde nicht gefunden, die Behörden öffneten das Gelände – und der ganz normale Ausnahmezustand konnte wieder beginnen.

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