In der Türkei droht dem Chef der größten Oppositionspartei die Absetzung, die NRW-Ergebnisse zeigen unsere Abstumpfung und die deutschen Basketballer inspirieren. Das ist heute wichtig.
Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser,
Zehntausende haben sich am Sonntag auf dem Tandogan-Platz in Ankara versammelt. Die Menge schwenkte türkische Flaggen und rief „Erdoğan, tritt zurück!“ an die Adresse des Präsidenten. Es sind kritische, es sind entscheidende Tage für die Zukunft der Türkei.
In einem Gerichtsverfahren könnte heute Özgür Özel, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, abgesetzt werden. Den türkischen Sozialdemokraten werden Verfahrensfehler bei der Wahl Özels vor zwei Jahren vorgeworfen, Delegierte sollen bei der Wahl angeblich bestochen worden sein. Özel spricht von einem Putsch, die Anschuldigungen seien Verleumdung. Sollte das Gericht die Wahl annullieren, könnte dieses einen Treuhänder ernennen, um die CHP zu leiten.
Özel führt die Partei erfolgreich und ist ein äußerst charismatischer Politiker – vor zwei Jahren hat er den langjährigen und erfolglosen ehemaligen Parteichef Kılıçdaroğlu abgelöst. Der Verdacht drängt sich nicht nur in der CHP auf: Özel wird dem türkischen Machthaber zu gefährlich.
Türkei am Scheideweg: „Wir verlieren die Demokratie“
Seit 11 Jahren ist Erdoğan der Präsident der Türkei, aber steht zunehmend unter Druck. Im April hat seine Partei erstmals bei Wahlen verloren, die AKP wurde bei den Kommunalwahlen nur zweitstärkste Kraft. Es liegt nahe, darin den Grund zu sehen, warum in den vergangenen Monaten Hunderte Oppositionspolitiker festgenommen wurden. Erdoğans größter Rivale, der abgesetzte Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu von der CHP, sitzt bereits im Gefängnis. Am Montag wurde außerdem der Regionalvorstand der CHP in Istanbul juristisch abgesetzt.
Der regimekritische türkische Journalist Can Dündar formuliert es im österreichischen Fernsehen so: „Wir verlieren die Demokratie.“ Dündar, der seit 2016 in Deutschland lebt, da er in der Türkei verfolgt wurde, wünscht sich mehr Solidarität aus anderen Ländern. Doch die hielten sich leider zu oft mit Kritik an Erdoğan zurück – schließlich wolle man, dass die Türkei Flüchtlinge davon abhält, in die EU zu kommen. Eine Hoffnung hat Dündar aber: die vielen Menschen, die in der Türkei nach wie vor auf die Straße gehen – trotz der beispiellosen Repressionswelle, trotz allem.
NRW-Wahl zeigt: Wir haben uns politisch schon an zu viel gewöhnt
Am Sonntag wurden im bevölkerungsreichsten Bundesland Stadt- und Gemeinderäte, Kreistage, Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte gewählt. Was als lokales Ereignis anmutet, ist auch ein größerer Stimmungstest nach der Bundestagswahl. Was kam dabei heraus? Die CDU liegt vorn, wenn auch auf eher niedrigem Niveau. Die Sozialdemokraten schneiden in ihrem Stammland noch schlechter ab als bei der letzten Wahl – bereits damals war das SPD-Ergebnis ein historisches Tief. Die AfD konnte ihr Ergebnis fast verdreifachen. Hier lesen Sie die Ergebnisse auf einen Blick.
Umso mehr irritieren die Reaktionen darauf, schreibt Nico Fried: „Dieses Land hat sich politisch mittlerweile an einiges gewöhnt. Das Ungewöhnliche erscheint schon wie das neue Normal. Das herkömmliche Parteiensystem zerbröselt. Tja, muss man sich eben mit den neuen Verhältnissen arrangieren. Doch das wird den Zerfall nicht aufhalten.“ Einen Lichtblick gebe es aber trotzdem:
Teamwork makes the dream work: Die deutschen Basketballer sind Europameister
Vielleicht sollte sich das Land der Fußballbegeisterten ein wenig mehr dem Basketball zuwenden, schon allein für die allgemeine Laune könnte das zuträglich sein. Während das Team von Julian Nagelsmann eher Sorgenfalten auf die Stirn treibt, geben die deutschen Basketballer Anlass für begeisterte Superlative.
Im lettischen Riga sind die deutschen Basketball-Weltmeister nun auch Europameister geworden. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Nach dem Finalspiel gegen die Türkei wurde der Deutsche Dennis Schröder als bester Spieler des gesamten Turniers gekürt. Doch während viele andere Nationen bei diesem Turnier vor allem von ihren Superstars aus der NBA lebten, habe Deutschland gezeigt, dass es insgesamt die beste Mannschaft hat, schreibt Nico Schnurr.
„Da waren die Slalomdribblings von Franz Wagner. Die Blocks von Isaac Bonga. Die Wucht von Daniel Theis unter den Körben. Die tänzerische Eleganz von Maodo Lô. Die Zweikampf-Cleverness von Johannes Thiemann. Die Distanztreffer von Andreas Obst. Der Mut zu wilden Würfen von Tristan da Silva.“
So hat die Mannschaft allen Widerständen des Turniers getrotzt – und davon gab es einige, seien es rassistische Affenlaute von den Rängen oder eine Erkrankung des Cheftrainers. Ein wahrlich inspirierendes Team eben:
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