Der Mord an dem Trump-Aktivisten Charlie Kirk hat nicht nur die USA, sondern auch Deutschland in Aufruhr versetzt. Dafür gibt es zwei Gründe. Einer davon ist falsch.
Hand aufs Herz – hätten Sie vor einer Woche gewusst, wer Charlie Kirk ist? Ich gebe zu: Ich nicht. Obwohl ich mich regelmäßig mit den politischen Entwicklungen in den USA beschäftige und das Land auch ganz gut kenne. Und ich behaupte mal: 90 Prozent der Deutschen ging es wie mir.
Umso kurioser ist, wie wir jetzt über Charlie Kirk diskutieren. Von konservativer Seite wird er betrauert, als sei einer der ihren ermordet worden. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Caroline Bosbach nannte Kirk in einem Instagram-Post einen „Kämpfer für westliche Werte“, der wie kaum ein anderer „für freie Debatte“ gestanden hätte. Nach massiver Kritik hat sie den Post wieder gelöscht. Die Junge Union postete ein Bild auf Instagram mit den Worten: „Meinungsfreiheit lässt sich nicht erschießen. Ruhe in Frieden, Charlie Kirk.“
Für Linke ist Charlie Kirk Inkarnation des Bösen
Von einigen deutschen Linken wird Kirk hingegen als Inkarnation des Bösen dargestellt, der seinen Tod mindestens selbst verschuldet habe. Der Jugendverband der Linken in Hannover kommentierte einen Post zum Attentat mit den Worten „Blutige und rechte Politik führt zu blutigen Patronen“ (wofür er aber selbst von der eigenen Parteichefin Ines Schwerdtner kritisiert wurde). Der Linke-Nachwuchs in Hanau postete ein Foto von Kirk mit seiner kleinen Tochter mit den Worten „ROT IN HELL“ (Verrotte in der Hölle).
Der Satiriker Sebastian Hotz alias „El Hotzo“, der bereits für einen Post nach dem Attentatsversuch auf Trump in die Kritik geraten war, postete auf X das Bild eines Schimpansen mit den Worten „Unser Charly, R.I.P.“. Der Schimpanse Charly war der Protagonist einer deutschen Serie aus den neunziger Jahren.
In den sozialen Netzwerken gibt es Forderungen, Friedrich Merz solle zum Tod von Charlie Kirk eine Rede halten, mindestens aber Bundestagspräsidentin Julia Klöckner. Im Europäischen Parlament scheiterte ein Versuch, eine Gedenkminute für den US-Influencer durchzusetzen. Als Papst Franziskus starb, gab es dort keinen Antrag auf eine Gedenkminute.
Woher kommt es, dass der Tod von Charlie Kirk alle anfasst, in die eine oder andere Richtung?
Es ist zum einen der Echtzeitberichterstattung und den sozialen Netzwerken im Zeitalter der digitalen Öffentlichkeit geschuldet. Auch Ereignisse an fern gelegenen Orten können hier tage- oder sogar wochenlang die Menschen beschäftigen und uns so erschüttern, als wären sie im eigenen Familienkreis geschehen. Dies geschieht umso eher, wenn ein Ereignis emotional sehr aufgeladen ist oder sich aus ihm eine universelle Wertedebatte ableiten lässt.
Der Mord an den Mitarbeitern und den Mitarbeiterinnen des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ war so ein Fall. Auch hier gingen Leute auf die Straße, trugen Aufkleber mit dem Satz „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie). Als am 12. Juni 2016 ein homophober Attentäter in einem Club für Schwule und Lesben in Orlando 49 Menschen erschoss, war auch in Deutschland die Erschütterung groß, es gab mehrere Gedenkfeiern und Trauerbekundungen. Im Fall von Charlie Kirk ist ein junger Familienvater von zwei kleinen Kindern beim Versuch ermordet worden, während er mit einer Gruppe von Studierenden diskutierte. Man muss keine Hintergründe kennen, um das als schreckliche Tragödie zu sehen.
Kirk ist eine Projektionsfläche
Der andere Grund scheint weniger ehrenwert. Politische Kräfte nutzen den Mord an Charlie Kirk, um ihre eigene Agenda voranzutreiben. Von rechtskonservativer Seite wird Kirk, der sich nachweislich rassistisch und homophob äußerte, der tödliche Waffengewalt relativierte und unchristlich-erbarmungslos gegen politische Gegner hetzte, zu einer Lichtfigur stilisiert.
Auf linker Seite wird ausgeblendet, dass sein Erfolg auch dadurch entstand, dass er sich im Namen der Meinungsfreiheit dem Diskurs insbesondere mit jungen Menschen immer wieder stellte (statt nur aus sicherer Youtube-Distanz gegen Andersdenkende zu wettern). Ignoriert werden auch die Berichte von jungen Menschen (darunter People of Color), die berichten, wie sehr ihnen Kirk und seine Bewegung geholfen habe.
Kirk ist zu einer Projektionsfläche geworden, in die alle Seiten vorzüglich ihre eigenen Motive projizieren. Das lenkt ganz wunderbar davon ab, dass man sich stattdessen besser den Problemen im eigenen Land stellen sollte, wenn man gute Politik betreiben will.
An diesen Mann sollte erinnert werden
Sagt Ihnen der Name Walter Lübcke etwas? Der Kasseler Regierungspräsident wurde in der Nacht zum 2. Juni 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet. Er wurde kaltblütig auf der Terrasse seines Hauses erschossen. Der Grund? Lübcke hatte sich für die Integration von Flüchtlingen eingesetzt. Er hatte unter anderem auf einer Bürgerversammlung, auf der er über ein neues Flüchtlingsheim informierte, Kritikern einer humanitären Flüchtlingspolitik entgegengehalten, dass sie dieses Land verlassen könnten, wenn ihnen solche Werte nicht passten. Rechtsextreme hatten die Aussage auf Video aufgenommen und damit im Netz Stimmung gegen Lübcke gemacht.
Walter Lübcke wurde 2019 von einem Rechtsextremisten ermordet.
© Swen Pförtner
Der Anschlag auf Lübcke war der erste Mord an einem deutschen Politiker durch einen Rechtsextremen in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber weil viele in der Union sich mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel schwertaten und bis heute tun, taten sie sich auch mit Lübcke schwer. Die Familie Lübcke hat in Interviews beklagt, der Ehemann und Vater sei selbst von den eigenen Leuten im Stich gelassen worden, als die Drohungen gegen ihn zunahmen.
Wem es hierzulande wirklich um die Rettung der Meinungsfreiheit und einer demokratischen Diskussionskultur geht, ob konservativ oder links, muss dafür nicht die komplexe Person eines Trump-Aktivisten als Folie benutzen. Er könnte einfach nur an Walter Lübcke erinnern. Immer und immer wieder.