Sahra Wagenknecht und das BSW: Gerüchte, Grabenkämpfe und ein halber Exit

Sahra Wagenknecht will sich offenbar aus der BSW-Spitze zurückziehen. Damit verschärft sich die Krise der Partei, in der mit allen Mitteln gegeneinander gearbeitet wird.

Die Pressestelle des BSW gibt sich schon mal adventlich gestimmt. Vorfreude sei bekanntlich die schönste Freude, hieß es in der Einladung zur Pressekonferenz. „Nun soll das Warten aber doch mal ein Ende haben.“

Am Montag wollen die Vorsitzenden Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali den Vorschlag für das neue, vergrößerte Präsidium vorstellen. Dann soll auch die entscheidende Frage beantwortet werden, ob die Frau, deren Namen das Bündnis trägt, die Spitze der Partei tatsächlich verlässt.

Nach allem, was aus dem BSW zu hören ist, wird Wagenknecht den Vorsitz abgeben. Gleichwohl will sie der Partei in „führender Rolle“ erhalten bleiben. Wie das Konstrukt aussehen soll? Die Leitung einer neuen Programmkommission ist im Gespräch. Ansonsten herrscht selbst bei führenden Funktionären Ratlosigkeit.

Kein Bündnis Sahra Wagenknecht mehr

So oder so ist der Abnabelungsprozess eingeleitet. Am ersten Dezemberwochenende, auf dem Bundesparteitag in Magdeburg, wird Sahra Wagenknecht aus dem Namen getilgt. Das Kürzel BSW soll künftig für „Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft“ stehen. 

Dies alles kommt nicht überraschend. Wagenknecht dominierte immer bevorzugt die Parlamentsbühne. Die Parteiarbeit lag ihr hingegen nie. Auch dass irgendwann der Name geändert würde, hatte sie bereits bei der Gründung anmoderiert.

Dennoch bringt nun Wagenknechts halber Exit das BSW in arge Schwierigkeiten, denn adäquater Ersatz ist nicht in Sicht. Wagenknechts Co-Vorsitzende Mohamed Ali gilt als profillos; Generalsekretär Christian Leye polarisiert und will lieber Vize werden. Und Fabio De Masi, der als Favorit für Wagenknechts Nachfolge gehandelt wird, ist als Europaabgeordneter mehr in Brüssel und Straßburg als in Berlin unterwegs.

Die Umfragewerte sinken

Auch der Zeitpunkt des Manövers ist ungünstig. Nachdem das BSW im Februar den Wiedereinzug in den Bundestag knapp verpasst hatte, sind die Umfragewerte auf bis zu drei Prozent gesunken. Auch in den Ländern, in denen im kommenden Jahr die Landtage gewählt werden, sind die Zahlen schlecht.

Sogar in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern steht ein Parlamentseinzug infrage. Dabei ist es erst ein gutes Jahr her, dass das BSW in Ostdeutschland sensationelle Erfolge erzielte. In Sachsen stellt die Partei seitdem eine 15-köpfige Oppositionsfraktion, in Thüringen und Brandenburg sogar Kabinettsmitglieder.

Doch Wagenknecht vermochte mit diesen Erfolgen nichts anzufangen. Weil sie das Mitregieren weniger als Gestaltungsmöglichkeit und mehr als Gefahr für das fundamental-oppositionelle Profil der Bundespartei betrachtet, versuchte sie von Anbeginn, die Koalitionsbildungen zu verhindern. Doch nur in Sachsen gelang ihr das.

Kampf gegen die Koalitionen

In Brandenburg musste Wagenknecht die Regierungsbeteiligungen des BSW akzeptieren – zu weit war der Koalitionspartner SPD ihr entgegengekommen. In Thüringen wurde die Bundesvorsitzende sogar regelrecht ausmanövriert. Die heutige stellvertretende Ministerpräsidentin Katja Wolf setzte die Koalition mit CDU und SPD frontal gegen Wagenknecht durch und gewann auch den nachfolgenden Kampf um die Spitze der Landespartei.

Trotzdem gab Wagenknecht nie auf. Aus ihrer Perspektive verträgt sich realpolitisches Regierungshandeln nicht mit den geplanten Landtagswahlkampagnen, die sich wieder hauptsächlich gegen die Koalition im Bund richten werden. Und diese Koalition besteht nun mal aus genau den Parteien, mit denen das BSW in Thüringen und Brandenburg regiert.

Der Druck aus Berlin auf die beiden Landesregierungen wächst deshalb sogar. Das musste auch Brandenburgs BSW-Vizeregierungschef Robert Crumbach lernen. Nachdem er sich auf Wunsch der Bundesspitze vom Landesparteivorsitz zurückgezogen hatte, hoffte er wohl auf eine Befriedung. Stattdessen eskalieren jetzt die Konflikte mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner umso mehr.

Aktuelles Beispiel sind die Staatsverträge zur Rundfunkreform, die plötzlich die BSW-Fraktion im Landtag entgegen Crumbachs Verabredung mit der SPD nicht mehr mitbeschließen will. Als Quertreiberin fungiert die neue Landeschefin Friederike Benda, die in der Bundespartei als eine der Stellvertreterinnen Wagenknechts amtiert.

Verliert Crumbach den Grabenkampf, wäre nicht nur die Koalitionsmehrheit im Landtag futsch, sondern auch die Regierung gefährdet. Möglich erscheint sogar, dass selbst die Stimmen der CDU-Oppositionsfraktion nicht ausreichen, um die Staatsverträge zu retten. 

Parallel zum Streit in Brandenburg werden schmutzige Gerüchte über Katja Wolf gestreut. So veröffentlichte ein BSW-naher Blogger einen angeblichen Chat-Verlauf. Laut dem Screenshot soll der Sachsen-Anhalter Landeschef John Lucas Dittrich seiner Thüringer Amtskollegin Wolf unterstellen, sie habe seine Loyalität kaufen wollen. So seien von Wolf finanzielle Zusagen gemacht worden. „Umgekehrt wollten die, dass wir sie politisch stützen.“

Katja Wolf nennt Anschuldigungen „ehrabschneidend“

Wolf dementiert hart. „Die Vorwürfe sind falsch und ehrabschneidend“, sagte sie dem stern. Andere Parteimitglieder, die bei dem Gespräch dabei gewesen seien, widersprächen den „absurden Behauptungen“ ebenso. Zwar habe sich das Thüringer BSW per Vorstandsbeschluss bereit erklärt, den Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt zu unterstützen. Doch dieses Hilfsangebot sei „in keiner Weise an irgendwelche Bedingungen geknüpft“ worden. „Ich erwarte eine Richtigstellung.“

Dittrich war für den stern nicht zu erreichen. Sein Co-Vorsitzender Thomas Schulze sagte, er wolle sich „nicht zu einer privaten Chatnachricht äußern“. Aber: „Ich kenne Frau Wolf nur als sehr integre Parteifreundin.“

Auch in anderen Landesverbänden geht es drunter und drüber. Im Wahlkampfland Mecklenburg-Vorpommern trat zuletzt die Doppelspitze ab, aus gesundheitlichen Gründen, wie es hieß. In Sachsen zog sich Sabine Zimmermann vom Landesvorsitz zurück und gibt Ende des Jahres auch den Fraktionsvorsitz ab. Auch hier: gesundheitliche Gründe. In Hessen wiederum trat diese Woche der Landeschef Oliver Jeschonnek offenbar im Streit mit seinem Co-Vorsitzenden zurück.

Letzte Hoffnung: Neuauszählung

Ein Teilabgang Wagenknechts dürfte die Partei zusätzlich verunsichern. Als letzte Hoffnung bleibt, dass bei einer vom BSW geforderten Neuauszählung der Bundestagswahl zusätzlich 9500 Stimmen gefunden werden, um doch noch über die Fünfprozenthürde zu springen. Die Chancen, dass der Wahlprüfungsausschuss des Parlaments zugunsten der Partei entscheidet, sind zwar äußerst gering. Aber für den dann sicheren Gang zum Bundesverfassungsgericht hätte das BSW durchaus Argumente.

Falls das BSW nachträglich in den Bundestag einzöge – und nebenbei die Bundesregierung ihrer Mehrheit beraubte –, stünde Sahra Wagenknecht wohl sofort für eine „führende Rolle“ bereit. Als Fraktionsvorsitzende.

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