Friedrich Merz fliegt um den halben Planeten, um kurz auf dem Klimagipfel in Brasilien aufzutauchen. Das ist nicht falsch. Aber der Trip hinterlässt einen trotzdem etwas ratlos.
Friedrich Merz ist in seinem Leben viel rumgekommen, aber nach Brasilien hatte er es bisher nie geschafft. Insofern ist es eine Premiere für ihn, als der Kanzler in der Nacht zum Freitag in Belém landet, einer Stadt am Rand des Amazonas-Deltas. Es ist heiß, der Verkehr schleppt sich über die Straßen, die Hotels sind überfüllt. Belém lädt zum 30. Klimagipfel, und die Stadt mit nicht einmal zwei Millionen Einwohnern leidet unter dem Andrang der Staats- und Regierungschefs, die sich zum Start der Konferenz angesagt haben, die einreisen und ausreisen, kurz mal reinhüpfen und dann auch schon wieder weg sind. So wie Merz.
21 Stunden braucht er für Hin- und Rückflug – für gerade mal 20 Stunden vor Ort. Streng genommen ist Merz auf brasilianischem Boden. Aber, nein, als glaubwürdiger Länderstempel im Pass zählt dieser Aufenthalt für den Kanzler eher nicht.
Es ist, das muss man schon sagen, überhaupt eine etwas merkwürdige Reise. Weil sie dazwischengeschoben wirkt. Weil unklar ist, was sie noch zählt, was das Thema noch zählt. Obwohl die Erderwärmung weitgehend ungebremst voranschreitet, ist die Klimapolitik auf der internationalen Agenda in den vergangenen Jahren zu einer Randerscheinung geworden. Andere Konflikte haben sich in den Vordergrund gedrängt. Viele westliche Gesellschaften sind in der Klimafrage gespalten, seit klar ist, dass Klimaschutz für jeden Einzelnen nicht unmerklich organisiert werden kann. Donald Trump ist aus dem Pariser Vertrag, der die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen soll, mal wieder ausgestiegen. Das Gemeinschaftsprojekt „Wir retten den Planeten“ scheint ausgebremst, stark sogar.
Merz‘ Auftritt bleibt völlig unpersönlich
Merz selbst versetzt das in eine unangenehme Lage. Er kann die Klimapolitik nicht ignorieren, weiß aber, dass sie politisch für ihn gefährlich sein kann. Er will zeigen, dass Deutschland nicht ausschert beim Ziel, auf das man sich in Paris vor zehn Jahren geeinigt hat, will aber offenkundig auch nicht so wirken, als werde er, der die Grünen im Wahlkampf monatelang vor sich herscheuchte, jetzt zum Öko-Kanzler. Das macht seinen Auftritt in Belém steif, fast verklemmt.
Na gut, ein Versprechen ist immerhin dabei: „Deutschland steht zu seinen nationalen und europäischen Klimazielen“, beteuert Merz bei seinem Auftritt – was nicht nichts ist. Wie schwierig es ist, sich überhaupt ein Ziel zu geben in diesen Zeiten, hat sich gerade erst auf europäischer Ebene gezeigt, wo die EU-Staaten lange brauchten, um eine Einigung darauf zu erzielen, den Treibhausgasausstoß bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.
Ansonsten bleibt Merz vage, überraschungsfrei, komplett unpersönlich, dafür, dass es ja hier in Brasilien um eine Jahrhundertfrage geht. Der Kanzler referiert, wie viel Deutschland in den Klimaschutz investiert habe, betont auch, dass seine Regierung nun erlaube, künftig Kohlenstoff abzuscheiden und zu speichern. Man setze, sagt Merz, auf Innovation und Technologieoffenheit, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten, eine Formulierung, die auch Christian Lindner hätte wählen können. Was auch eine Konzession an die eigenen Leute sein dürfte, die mit staatlichem Dirigismus in der Klimapolitik stark fremdeln, um es vorsichtig auszudrücken.
Großer Jubel bricht im Plenum beim Auftritt des Kanzlers nicht aus, und überhaupt ist dieser Auftakt der Klimakonferenz auffallend freudlos. Das Gipfelgelände in der Stadt am Rande des Tropenwaldes wirkt leicht dystopisch. Die Landebahn des alten Flughafens ist in eine überdimensionierte Zeltstadt umfunktioniert worden, die sich wie ein langer Bunker dahinzieht. Graue Flure, keine Fenster, Luft allenfalls, wenn man in der Nähe einer Klimaanlage steht. Ansonsten: Konferenzräume rechts und links – so weit das Auge blickt. Willkommen im bunten Brasilien.
Sind die Gastgeber wenigstens happy mit Merz? Unklar. Der Kanzler trifft sich nach seiner Rede mit Präsident Lula, einem Mann, der politisch von einem anderen Planeten kommt als der CDU-Chef, aber in dieser unübersichtlichen Welt für Merz auf einmal eine Art Partner ist. Lula hat dem Gipfel ein Kernprojekt verschafft: den Tropenwald-Fonds, ein kompliziertes Finanzkonstrukt, in das Staaten und private Investoren hohe Summen einzahlen sollen. 125 Milliarden Euro will Lula auf diese Weise zusammenbekommen. Was mit dem Geld erwirtschaftet wird, soll an jene Staaten ausgeschüttet werden, die ihren Wald schützen.
Der Kanzler lässt Lula noch im Unklaren
Eine gute Idee – Merz mag sie auch. Aber was genau Deutschland beisteuert? Kann er noch nicht sagen. Einen „namhaften Betrag“ stellt der Kanzler in Aussicht, was aber angesichts der schwarz-roten Budgetzwänge weit unterhalb jener drei Milliarden Euro liegen dürfte, die etwa Norwegen versprochen hat.
Ist die Reise also Quatsch? Das zu behaupten, wäre auch wieder falsch. Es ist gut zu zeigen, dass man überhaupt noch mitmachen will. Die „regelbasierte Ordnung“, wie das Zusammenspiel der Staaten unter dem Dach der Vereinten Nationen gemeinhin genannt wird, scheint von Tag zu Tag mehr zu bröckeln. Jeder schaut nur noch auf sich selbst. Der Freihandel ist in Gefahr, große Abkommen. In diesen Zeiten noch so etwas zu haben wie eine internationale Konferenz, bei der sich (außer Donald Trump) so ziemlich die gesamte Welt trifft, um zu sprechen, ist erst mal ein ermutigendes Zeichen. Und dass Merz in Brasilien symbolisch die Fahne des Multilateralismus hochhält, ist ebenfalls richtig.
Wobei: Auch der Kanzler scheint mittlerweile seine Zweifel daran zu haben, dass die Ordnung, die wir kannten, noch hält. Kurz vor seinem Abflug aus Berlin versprach Merz, die heimische Industrie vor den rauen Winden der weltweiten Konkurrenz zu schützen. Für jemanden, der als Marktwirtschaftler politisch groß geworden ist, klang das überraschend protektionistisch. Motto: Hilft ja alles nix. Nicht, dass wir am Ende noch die Dummen sind.
Ob Merz zum nächsten Klimagipfel wieder reist? Ist eine sehr offene Frage.