Social Media Trends: Wie wird ein Song zum viralen Tiktok-Hit?

Ein Lied geht viral: Millionen tanzen, heiraten oder schminken sich dazu – ein glücklicher Zufall? Hinter Tiktok-Hits steckt meist wenig Magie, sondern viel Strategie.

Tiktok ist heute das, was früher das Radio war: Wer dort trendet, landet in den Charts. Das jüngste Beispiel ist Taylor Swifts neuer Song „The Fate of Ophelia“. Über eine Million Nutzerinnen und Nutzer verwenden den Sound in eigenen Videos auf Tiktok und Instagram; sie tanzen dazu, zeigen ihr Essen oder schminken sich nebenbei. Schon jetzt ist er der beliebteste von Swifts neuem Album. Aber was braucht ein Lied, um viral zu gehen?

Ein Superstar wie Taylor Swift hat da wenig Arbeit: Schon ein hochgeladener Refrain löst einen Videotrend aus. Doch nicht nur Songs von Stars gehen viral auf Tiktok, auch kleine Künstlerinnen und Künstler schaffen das immer wieder. Manche werden erst durch die Plattform bekannt, wie Lil Nas X, Jas oder Soffie. Wie machen die das?

Liebe, Herzschmerz, und Freundschaft funktionieren als Themen

Es gebe zwei verschiedene Ebenen, über die man einen Song auf Social Media erfolgreich macht: der Song an sich und die Vermarktung, erklärt Oliver Delfendahl. Er ist Mitgründer der Social-Media-Agentur Enkime, zu der inzwischen auch ein Musiklabel und ein Verlag gehören, spezialisiert auf Reichweite in den sozialen Medien. 

„Das Musikwerk an sich kann schon Social-Media-tauglich sein oder nicht“, sagt Delfendahl. Die Songs sollen kurz sein, eine eingängige Hook haben, die auf Tiktok ausgespielt werden kann und die möglichst früh im Song kommt, damit Nutzerinnen und Nutzer nicht enttäuscht sind, wenn sie von Tiktok auf den Song gehen. „Auf so eine Stelle wird beim Produzieren von Songs heute schon hingearbeitet“, erklärt Mitgründer und CEO Max Dorn.

Ein Geheimrezept für virale Tiktok-Hits gibt es nicht

Ein Geheimrezept für diese Tiktok-Stelle gebe es nicht, ein paar Fragen könnten bei der Produktion aber helfen: Was sind Themen, mit denen besonders viele Menschen etwas anfangen können? Liebe, Herzschmerz, und Freundschaft seien Bereiche, die gut funktionieren, sagt Dorn. 

„Somethin‘ so out of the ordinary. You got me kissin‘ the ground of your sanctuary“, singt Alex Warren in seiner Liebesballade „The Ordinary“, zu der auf Tiktok und Instagram aktuell geheiratet wird, Familien gegründet, Freunde wiedergetroffen, Abnehmreisen gefeiert und Kuchen gebacken werden – ein universelles Thema, das zieht. 

Und noch ein Kriterium erfüllt der Song: Wo können ganz verschiedene „Bubbles“ einen Sinn drin sehen? Obwohl das Lied ursprünglich eine Liebesballade ist, können nicht nur verliebte Pärchen daran anknüpfen. Alles, was „out of the ordinary“ – also außergewöhnlich – ist, wird mit dem Song unterlegt. Und mit einer eingängigen Melodie kann er auch noch punkten.

Mikro-Influencer helfen bei der Vermarktung

Manchmal reiche genau das: Ein Musiker oder eine Musikerin lädt einen Song auf der Videoplattform hoch, das Publikum findet ihn gut, der Algorithmus greift ihn auf, spielt ihn mehr Menschen aus, sie verwenden den Sound – ein Hit entsteht. Das sei „das Magische“ an Social Media, man müsse den Song nicht erst an Labels schicken, sondern die Leute würden über den Erfolg entscheiden, sagt Delfendahl. „Das Problem ist, die Wahrscheinlichkeit, dass das klappt, ist sehr gering.“

Deshalb gibt es noch die zweite Ebene, um einen Song geplant viral gehen zu lassen: die Vermarktung über Social Media. Musikerinnen und Musiker bewerben sowie teilen ihre Werke auf Social Media. Aber das ist erst der Anfang des modernen Songmarketings. Agenturen haben in ihrer Datenbank zahlreiche größere, aber auch kleine Influencer, die dazu aufgerufen werden, einen Sound auf ihren Profilen zu verwenden, der dann wiederum von ihren Fans verwendet wird. Eine Kettenreaktion entsteht. „Und auf einmal haben wir einen unfairen Vorteil im Algorithmus“, sagt Dorn.

So lief es bei „9 bis 9“ von Bausa, Badchieff und Sira, an dessen Vermarktung Enkime beteiligt war. Statt die Künstler*innen selbst posten zu lassen, arbeitete die Agentur mit Influencerin Shirli zusammen. Sie veröffentlichte eine eigene Version, Mikro-Influencerinnen sprangen auf, die Musikerinnen und Musiker reagierten, die Fans waren begeistert. Was von außen wie eine spontane Interaktion aussah, war ein lang geplanter Deal und eine ausgeklügelte Marketingstrategie. Und die ging auf: Der Song war 2023 sechs Wochen auf Platz eins der Spotify-Charts.

84 Prozent der Songs in den Charts 2024 gingen vorab auf Tiktok viral

84 Prozent der Songs, die 2024 in den Billboard Global 200 Charts gelandet waren, seien zuerst auf Tiktok viral gegangen, schreibt die Plattform selbst in ihrem „Music Impact Report“, den sie mit dem Marktforschungsunternehmen Luminate durchgeführt hat. Social Media sei die Vermarktungsplattform Nummer eins für Künstlerinnen und Künstler, das werde vielen immer mehr bewusst in der Branche, sagt Delfendahl. Selbst Superstars wie Taylor Swift, die vermeintlich nicht auf diese Vermarktung angewiesen sind, laden nur dafür Songabschnitte mit kurzen Choreografien hoch. 

Zwischenzeitlich verschwanden jedoch die Songs von Taylor Swift und anderen großen Namen wie Billie Eilish oder Adele von der Plattform. Universal Music zog Anfang 2024 nach Ablauf des Lizenzdeals die Musik seiner Künstler zurück, nach eigenen Angaben aus Sorge um Vergütung und KI-Nutzung. Tiktok warf dem Label Gier vor. Inzwischen sind die Songs wieder verfügbar. Auch Dorn und Delfendahl gehen davon aus, dass Sorge bestanden habe, Musik werde nur noch über Tiktok konsumiert werden. „Die Frage ist: Welchen Wert gibt die Musik der Plattform? Welchen Wert gibt die Plattform der Musik?“, sagt Delfendahl. 

Dieser Zwiespalt sei der Grund, warum manche Interpreten nach wie vor nicht auf den sozialen Netzwerken gefunden werden könnten. Das Hochladen sei nicht schwer: Einmal gehe das offiziell über ein Label, noch einfacher sei es, einfach ein Video mit der Musik hochzuladen, erklärt Delfendahl. Damit hat Tiktok eine Möglichkeit geschaffen, über Nacht zum Star zu werden – auch wenn das eher die Ausnahme bleibt. Meist steckt ein Plan dahinter und ein Algorithmus, der mitspielt.

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