Auf einem Lufthansa-Flug von Chicago nach Frankfurt rastet ein Passagier aus, die Maschine muss zwischenlanden. Was droht solchen Randalierern, auch „unruly passenger“ genannt?
Die schlechte Nachricht für alle, die ihren Flug wegen eines Störenfrieds an Bord nicht antreten konnten, abbrechen mussten oder deren Flieger gar nicht erst gestartet sind: Es wird dafür keine Entschädigung geben. Das hat der Europäische Gerichtshof vor ein paar Jahren entschieden. „Ein Randalierer an Bord, der die Sicherheit bedroht, ist nicht Teil der normalen Tätigkeit einer Fluggesellschaft“, heißt es in dem Urteil der Luxemburger Richter. Wer will ihnen da widersprechen?
Allerdings: Wenn es sie gibt, solche „unruly passengers“, richten sie erheblichen finanziellen Schaden an – und kosten noch mehr Nerven. Manchmal gefährden sie auch ernsthaft die Gesundheit der Passagiere. Wie vor wenigen Tagen, als ein 28-Jähriger auf der Strecke von Chicago nach Frankfurt/Main mit einer Gabel um sich gestochen und dabei einen Jugendlichen an der Schulter verletzt hat. Ein weiterer wurde am Hinterkopf getroffen.
Finger in den Mund – und „Abzug“ gedrückt
Auch auf ein Besatzungsmitglied sei der Mann losgegangen, so die zuständige Staatsanwaltschaft in den USA. Als die Crew eingegriffen habe, soll der Mann seine Finger in den Mund gesteckt und einen imaginären Abzug betätigt haben. Die Lufthansa-Maschine wurde nach Boston umgeleitet, wo der Verdächtige festgenommen wurde.
„Air Rage“ nennen die Amerikaner solche Ausfälle an Bord, die Randalierer „unruly Passengers“ – in etwa: unkooperative Fluggäste. Besonders schlimm war es zur Corona-Zeit. 2021 sprang die Zahl der bei der US-Luftfahrtbehörde gemeldeten Unruhestiftungen um fast 500 Prozent auf 5973 hoch. Seitdem sinkt die Zahl zwar, dennoch lag sie im vergangenen Jahr immer noch bei 2100. In Deutschland, rund ein Viertel so groß wie die USA, wurden 2024 auch 160 Fälle bekannt.
Die Schweizer Sängerin Aura Davis hat im Sommer einen dieser Übergriffe an Bord eines Flugs von New York nach Zürich mitbekommen: „Kurz nach dem Start verließ ein Mann seinen Platz in der Business Class, näherte sich einer Flugbegleiterin, ergriff mit beiden Händen ihre Brüste, schüttelte sie und schrie sie an“, berichtete sie dem FBI.
Gibt es eine erste Klasse, gibt es häufiger Randale
Offenbar wollte der Mann ins Cockpit eindringen. „Er schlug, trat und warf seinen Körper gegen die Tür. Dabei habe er nach der Crew geschrien und geflucht, man solle ihm die Cockpit-Tür öffnen.“ Auch in diesem Fall wurde der Flug abgebrochen und die Maschine musste nach New York zurückkehren.
Auch die europäische Flugsicherung beobachtet eine Zunahme von ungebührlichem Verhalten in Flugzeugen – und, anders als noch vor einigen Jahren, gibt es den nicht den typischen Randalierer. 2016 hatten zwei Forscher in einer Studie herausgefunden, dass Fluggäste vor allem dann ausfallend werden, wenn es auch eine erste Klasse an Bord gab. Über die genauen Gründe gibt es nur Spekulationen. Eine Ursache ist damals wie heute: Alkohol.
Die Enge, die Massen an Menschen, die Rücklehne der Vorderperson im Schoß und dann noch ein Schwips – manchen Menschen lässt das die Hutschnur platzen. Zumal, wenn vorher schon die Wartezeit mit ein paar Drinks überbrückt wurde. Dazu kommt: Wenn Teile des Eincheckens automatisiert ablaufen, wie die Gepäckannahme oder das Boarding, gibt es „kein Personal mehr, um einzuschätzen, ob beispielsweise schon jemand stark alkoholisiert oder auch aggressiv auftritt“, sagt Vivianne Rehaag, Vorständin der Pilotenvereinigung Cockpit.
Die Entscheidung darüber, welches Verhalten nur extrem nervig oder schon „unruly“ ist, trifft übrigens der Flugkapitän. Gelingt es der geschulten Crew nicht, die Situation zu deeskalieren, kann der Pilot den Flug abbrechen oder seine Maschine zwischenlanden. Der oder die Randalierer dürften sich dann auf eine gepfefferte Rechnung einstellen. Denn sämtliche entstehenden Kosten wird die Airline auf den Übeltäter abwälzen. „Das kann schnell in fünfstellige Bereiche gehen“, sagt Joachim Lang, Direktor der deutschen Luftverkehrswirtschaft. Ryanair verlangte etwa von einem überalkoholisierten Passagier 15.350 Euro Schadenersatz für eine außerplanmäßige Landung.
Hilft Tiktok bei Randalen im Flugzeug?
Was möglicherweise hilft, zumindest auf längere Sicht: der digitale Social-Media-Pranger. Auf Tiktok und Instagram kursieren hunderte Videos von ausfälligen Flugpassagieren. Allein der Kanal „Passenger Shaming“ hat anderthalb Millionen Follower. Und der Name ist Programm: Wer sich an Bord eines Flugzeugs danebenbenimmt, kann davon ausgehen, dass die Bilder davon sehr schnell die Runde machen werden.
Quellen: ADAC, „Spiegel„, RTL, Tagesschau, PNAS, DPA