Die erneute Verletzung von Nationalspielerin Lena Oberdorf steht exemplarisch für ein Problem mit Kreuzbandrissen im Frauen-Fußball. Was lässt sich dagegen tun?
Wieder das rechte Knie, wieder ein gerissenes Kreuzband. Gerade einmal 50 Tage nach ihrem Comeback fällt Fußball-Nationalspielerin Lena Oberdorf mit derselben Verletzung erneut monatelang aus. Im Bundesligaspiel gegen den 1. FC Köln musste die Spielerin des FC Bayern gestützt von Betreuern den Platz verlassen.
Der erneute Ausfall der 23-Jährigen ist nicht nur bitter für die Münchnerinnen und das DFB-Team, er steht auch sinnbildlich für ein allgemeines Problem im Frauen-Fußball. Denn laut des Portals „Soccerdonna“ fehlen bei den 14 Bundesliga-Teams derzeit insgesamt 16 Spielerinnen aufgrund eines Kreuzbandrisses.
DFB-Sportdirektorin Nia Künzer forderte nach dem Schock um Oberdorf mehr medizinische Forschung. Sie könne nur appellieren, „weiter dranzubleiben, zu forschen und dann zu schauen, was man möglicherweise präventiv noch mehr dagegen tun kann.“ Künzer weiß, wovon sie spricht: Die ehemalige Nationalspielerin hatte in ihrer Karriere viermal einen Kreuzbandriss.
Woran liegt es, dass Fußballerinnen so anfällig für diese Verletzung sind? Und was lässt sich dagegen tun?
Kreuzbandriss-Risiko bei Fußballerinnen mindestens doppelt so hoch
Frauen haben aus verschiedenen Gründen ein höheres Risiko als Männer, im Sport und vor allem im Fußball eine Kreuzbandverletzung zu erleiden. „Die Wissenschaft geht mindestens von einem doppelt so hohen Risiko aus. Einige Quellen sprechen sogar von einem fünf bis sechs Mal so hohen Risiko“, erklärte Ingo Froböse von der Sporthochschule Köln der Nachrichtenagentur DPA.
Die bisher erforschten Ursachen fasst Froböse so zusammen: „Anatomische Gründe wie eine Neigung zu leichten X-Beinen bei Frauen, eine engere knöcherne Führung des Kreuzbandes, weniger Muskelmasse, schwächeres Bindegewebe.“
Meist sei das Kreuzband von Frauen dünner, zusätzlich werde es durch hormonelle Einflüsse wie die Menstruation geschwächt. Eine erhöhte Belastung entstehe auch durch andere Bewegungsabläufe als bei Männern. Das liegt demnach an der anatomischen und physiologischen Struktur des weiblichen Körpers.
Ist Stress ein weiterer Faktor?
Der Münchner Orthopäde und Unfallchirurg Leonard Achenbach ist Koordinator Fußballmedizin beim DFB und betreut die Frauen des FC Bayern. Ihm zufolge gibt es Anzeichen, dass Kreuzbandrisse in Karrierephasen mit mehr Stress auftreten. „Derzeit stützen sich diese Annahmen ausschließlich auf Erfahrungswerte, eine fundierte wissenschaftliche Analyse steht noch aus“, sagte Achenbach.
Das will die Uefa nun weiter untersuchen lassen und hat daher die Forschung der geschlechterübergreifenden Ursachen zur obersten Priorität ihrer Abteilung Medizinisches und Antidoping erklärt. Sie unterstützt das Projekt „Give the Voice Back“ („Eine Stimme geben“). Betroffene Spielerinnen und Spieler können dabei ihre persönlichen Geschichten teilen, wodurch sich neue Erkenntnisse gewinnen lassen.
Training soll sich am Zyklus orientieren
Zudem finanziert der Weltverband Fifa eine Studie zum Einfluss des Menstruationszyklus auf Verletzungsrisiken im Spitzensport an der englischen Universität Kingston. Und der DFB setzt sich für Zyklus orientiertes Training ein, das in vielen Klubs bereits umgesetzt wird.
Weitere präventive Maßnahmen sind speziell im Frauen-Fußball wichtig. Thomas Tischer von der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin erklärte im Interview mit dem ZDF, wie Spielerinnen Knieverletzungen vorbeugen können: „Frühzeitiges Training von Landetechnik, Kraft und Körperstabilisierung verringert die Gefahr von Verletzungen des Kreuzbandes.“
Zudem bieten Sportartikelhersteller mittlerweile Schuhmodelle an, die nicht für Fußballerinnen vermarktet werden, sondern auch auf deren Bedürfnisse ausgerichtet sind. In der Regel haben Frauen ein höheres Fußgewölbe, mehr Volumen im Mittelfuß und eine schmalere Ferse als Männer.
Bundestrainer besorgt: „Müssen uns Gedanken machen“
Das Problem mit Kreuzbandrissen im Frauen-Fußball ist beim DFB bekannt. Zuletzt waren auch die deutsche EM-Stürmerin Giovanna Hoffmann bei RB Leipzig und die frühere DFB-Torhüterin Merle Frohms bei Real Madrid mit einem Kreuzbandriss ausgefallen. In der Saison 2023/24 registrierte der Deutsche Fußball-Bund insgesamt 26 Kreuzbandrisse in der ersten und zweiten Frauen-Bundesliga.
Die Auswertung erfolgt über ein zentrales Verletzungsregister, das unter der wissenschaftlichen Leitung des Universitätsklinikums Regensburg steht. Die Zahlen zur Spielzeit 2024/2025 stehen noch aus. Analysiert würden unabhängig davon aber sämtliche Verletzungssituationen und Muster, teilte der DFB mit.
Dass sich angesichts der vielen Kreuzbandrisse etwas ändern muss, findet auch Bundestrainer Christian Wück. Der 52-Jährige hatte für das Nations-League-Halbfinale gegen Frankreich am Freitag (17.45 Uhr/ARD) wieder mit Oberdorf geplant, jetzt nominierte er Teamkollegin Linda Dallmann von Bayern München nach. „Es trifft nicht nur uns, die anderen Nationen haben die gleichen Probleme. Im Großen und Ganzen müssen wir uns da Gedanken machen, wie wir das medizinisch besser in den Griff kriegen“, sagte Wück.
Auch längere Genesungszeit bei Frauen
DFB-Sportdirektorin Künzer verweist darauf, dass sich die Bedingungen seit ihrer aktiven Zeit „enorm verbessert“ hätten: „Wir haben im medizinischen, im athletischen, im Physio-Bereich natürlich wahnsinnige Fortschritte gemacht“, sagte die 45-Jährige. „Trotzdem müssen wir feststellen, dass es die Verletzung immer noch in einer bestimmten Häufigkeit gibt.“
Fußballerinnen erleiden nicht nur häufiger einen Kreuzbandriss als männliche Profis, sondern brauchen auch länger, um sich davon zu erholen. Lena Oberdorf kehrte erst über ein Jahr nach ihrer Verletzung zurück. Nun muss sie diesen langen Weg wieder gehen.