BSW-Chefin Sahra Wagenknecht fordert die AfD auf, sich hinter ihren Antrag zur Neuauszählung der Bundestagswahl zu stellen. Die Konkurrenzpartei reagiert prompt.
In ihrem Kampf um eine Neuauszählung der Bundestagswahl hat die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht um die Hilfe der AfD geworben – mit Erfolg. „Ich fordere auch die AfD auf, eine Neuauszählung zu unterstützen“, sagte sie dem stern. „Es wäre ein Offenbarungseid, wenn die AfD im Hinterzimmer als Stütze der Merz-Regierung agiert, weil auch sie bei einem Bundestagseinzug des BSW einen Teil ihrer Mandate verlieren würde.“
Fast sieben Monate ist die Wahl her, bei der das BSW nach dem geltenden Ergebnis knapp den Einzug in den Bundestag verpasste. Nur etwa 9500 Stimmen fehlten, um über die Fünf-Prozent-Hürde zu gelangen. Die Partei, aber auch Mitglieder und Wahlberechtigte hatten danach beim Bundesverfassungsgericht Klagen und Eilanträge eingelegt, um die Wahl neu auszuzählen.
Doch das Gericht verwies auf den Bundestag. Zuerst müsse der Wahlprüfungsausschuss des Parlaments über den Einspruch des BSW befinden. Danach sei der Rechtsweg nach Karlsruhe offen.
Der Prüfausschuss prüft noch
Bisher allerdings hat der Ausschuss noch keine Entscheidung getroffen. Laut Auskunft des Gremiums gegenüber dem Bayerischen Rundfunk werden derzeit die Stellungnahmen der Bundeswahlleiterin und der Landeswahlleitungen sowie die Erwiderung des BSW ausgewertet. Ein Zeitpunkt für eine mögliche Entscheidung wurde nicht genannt.
Das Grundgesetz sieht dafür auch keine Frist vor; das Bundesverfassungsgericht spricht nur von einem „Zügigkeitsgebot“. Vom Ausschuss heißt es, dass die Beschwerde des BSW „priorisiert behandelt“ werde. Insgesamt seien mehr als 1000 Einsprüche eingegangen.
Die AfD unterstützt nun Wagenknechts Anliegen. „Die anderen Fraktionen scheinen auf Zeit zu spielen“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Stephan Brandner dem stern. „Aus unserer Sicht muss so schnell wie möglich eine Entscheidung her.“
Brandner amtiert auch als Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion und Obmann im Wahlprüfungsausschuss. „Falls es nur irgendeinen Zweifel daran gibt, dass der Bundestag nicht korrekt zusammengesetzt ist, muss neu ausgezählt werden“, sagte er. Für die AfD gelte das Prinzip: „Im Zweifel zu Gunsten der Neuauszählung.“ Die Auszählung von Wählerstimmen sei „kein politischer Akt, sondern schlichte Mathematik“.
Dass die AfD wie die anderen Fraktionen mit einem Einzug des BSW eigene Sitze im Bundestag verlöre, ist aus Sicht von Brandner in Kauf zu nehmen. „Wenn wir dann Mandate verlieren und zusätzlich Konkurrenz bekommen würden, wäre das natürlich nicht schön“, sagte er. Aber: „Korrekte Demokratie schlägt Eigeninteresse.“
Erhielte das BSW nachträglich die notwendigen Stimmen für einen Einzug in den Bundestag zugesprochen, hätte dies immense machtpolitische Auswirkungen. So besäße die aktuelle Koalition von Union und SPD keine Mehrheit im Bundestag mehr. Gleichzeitig verfügten AfD und BSW über mehr als ein Viertel der Sitze – und damit über ausreichend Stimmen, um gemeinsam Untersuchungsausschüsse zu beschließen.
Sahra Wagenknecht: „Merz sehr wahrscheinlich ohne demokratische Legitimation“
Darauf verwies auch Wagenknecht. „Wir könnten dann endlich einen Corona-Untersuchungsausschuss oder einen zur Nordstream-Sprengung einrichten“, sagte sie. Denn dazu sei die aktuelle Opposition im Bundestag bislang nicht bereit. Schon jetzt gilt für Wagenknecht: „Friedrich Merz ist sehr wahrscheinlich der erste Bundeskanzler, der ohne demokratische Legitimation ins Amt gekommen ist.“
Ähnlich argumentiert jetzt Brandner für die AfD: „Die Frage, ob der Bundeskanzler und damit auch alle Minister und parlamentarischen Staatssekretäre legitim im Amt sind und die Regierungsmehrheit überhaupt existiert, muss korrekt und ohne politische Spielchen beantwortet sein.“
Ein Parlament mit dem BSW könnte sich auch strategisch als „höchst interessant“ erweisen, sagte er. „Nicht nur, dass die Regierung Merz am Ende wäre – auch alle ihre Entscheidungen einschließlich der Parlamentsbeschlüsse stünden dann infrage.“
Prüfung der Bundestagswahl 2021 dauerte auch mehr als ein Jahr
Dass der Wahlprüfungsausschuss, in dem die Koalitionsfraktionen die Mehrheit besitzen, dem Einspruch des BSW stattgeben wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Die Bundeswahlleiterin betont etwa, dass die Eingaben des BSW schon vor der Feststellung des amtlichen Endergebnisses angemessen berücksichtigt worden seien.
Bei einer Ablehnung bliebe dem BSW allerdings noch die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Dabei kann sie auch auf wissenschaftlichen Zuspruch zählen. Eine bundesweite Neuauszählung sei „angesichts des knappen Ausgangs und vieler Ungereimtheiten“ nicht nur sinnvoll, sondern „dringend geboten“, erklärten die Politologen Eckhard Jesse und Uwe Wagschal Anfang September in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Dass die Wahlprüfung im Parlament länger dauert, ist übrigens nicht neu. So währte es nach der Bundestagswahl 2021 fast 14 Monate, bis der zuständige Ausschuss – und danach das gesamte Parlament – die fehlerhafte Abstimmung in 455 Berliner Wahlbezirken für ungültig erklärte. Weil unter anderem die Unionsfraktion gegen diese Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht klagte, fand die Wiederholungswahl sogar erst im Februar 2024 statt.