In ihrem ersten „Tatort: Dunkelheit“ ermitteln Melika Foroutan und Edin Hasanović als Azadin und Kulina die Opfer eines Serienmörders.
Neustart im Frankfurter „Tatort„: Nach dem Serientod von Anna Janneke (Margarita Broich, 65) und Paul Brix (Wolfram Koch, 63) in „Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n“ im September 2024 bringt der Hessische Rundfunk zwei völlig neue Ermittler an den Start – und das auch noch mit einem völlig neuen Konzept. Melika Foroutan (geb. 1976) spielt die kühle und ambitionierte Ermittlerin Maryam Azadin, die als Leiterin und einzige Mitarbeiterin der Cold-Case-Abteilung in Frankfurt im Keller Akte um Akte studiert, um alte Fälle doch noch aufzuklären. Unterstützung bekommt sie von Edin Hasanović (33) als Hamza Kulina, der zwangsweise in die Einheit versetzt wurde und sich die Ermittlungen an den lange zurückliegenden Taten deutlich mehr zu Herzen nimmt als seine Kollegin.
Das führt dazu, dass er in ihrem ersten Fall „Dunkelheit“ (5. Oktober um 20:15 Uhr im Ersten) mehrfach den Tränen nah ist und von Albträumen geplagt wird. Kulinas Debüt wird also gleich genutzt, um seine Verletzlichkeit zu zeigen, die von einem unverarbeiteten Kindheitstrauma herrührt. Von der Figur Azadin erfährt man hingegen noch nicht allzu viel – außer, dass sie sich mit vollem Eifer in die Ermittlungen der Cold-Case-Fälle stürzt. Die beiden Kommissare suchen in ihrem Premierenfall nach den Opfern eines kürzlich verstorbenen Serienmörders.
Darum geht es in „Tatort: Dunkelheit“
Als Michaela Zeller (Anna Drexler) die Garage ihres verstorbenen Vaters Wolfgang Zeller ausräumt, der einst ein Entrümpelungsunternehmen hatte, macht sie einen grausigen Fund: In zwei Tonnen finden sich jahrzehntealte Leichenteile. Ein Fall für die Cold-Case-Einheit der Kripo Frankfurt, die seit Neuestem aus zwei Ermittlern besteht. Maryam Azadin und ihr neuer Kollege Hamza Kulina können die Leichen identifizieren und Zeller anhand von Beweisen als Täter ausmachen.
Schnell wird klar: Bei Zeller handelt es sich um den „Main-Ripper“, einen sadistischen Serienmörder, der mehrere Frauen im Raum Frankfurt auf dem Gewissen hat und grausam verstümmelte. Doch wie viele Opfer sind es genau? Weil ein True-Crime-Podcaster den Fund bereits öffentlich gemacht hat, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Die beiden Ermittler geben sich ein Wochenende Zeit, um Zeller alle passenden Tötungsdelikte bis in die 1970er Jahre zuzuweisen und die Angehörigen zu informieren, bevor man ihnen zuvorkommt. Doch nicht alle Morde lassen sich zweifelsfrei zuordnen. Hat Zeller wirklich alleine gehandelt – oder ist er mit einem Komplizen auch für den ungeklärten Mord an dem 13-jährigen Tobias (Jonathan Wirtz) verantwortlich?
Lohnt sich das Einschalten?
Ohne jeden Zweifel: ja. Dem Hessischen Rundfunk gelingt mit „Dunkelheit“ ein Einstand für die beiden neuen Ermittler, der sich gewaschen hat. Das Konzept der Cold-Case-Unit geht trotz aller Ungewöhnlichkeit voll auf: Statt nach dem Täter sucht man in dieser „Tatort“-Episode nach den Opfern. Der Einblick in ihre Geschichte mit Rückblicken, teils unterlegt mit echtem Archivmaterial aus Frankfurt, bewegt ebenso wie die Auseinandersetzung mit den Angehörigen.
„Man muss einerseits den Fall in der Vergangenheit durchdenken: Was ist damals geschehen und wie hat die Polizei gearbeitet? Was hat dazu geführt, dass der Fall ergebnislos zu den Akten wanderte? Und dann muss man genau durchdenken, warum der Fall wieder aufgerollt wird und was die neuen Ermittlungsergebnisse sein könnten“, erklärt Drehbuchautor Senad Halilbašić in der Pressemitteilung die Schwierigkeiten des Konzepts. Und tatsächlich: Diese Verknüpfung gelingt, die Schlüsse der Ermittler lassen sich nachvollziehen – und trotz des trockenen Aktenstudiums bleibt die Spannung erhalten. Dann doch wieder ganz „Tatort“-typisch gibt es am Ende einen klassischen Showdown – und wie so oft wird auch hier nicht alles restlos aufgeklärt.
Umso interessanter wird der Fall durch die wahren Begebenheiten: Der Film ist stark von dem Serienmörder Manfred S. inspiriert, der von der Presse auch als „Hessen-Ripper“ bezeichnet wurde. Der Entrümpelungsunternehmer starb 2014, nach seinem Tod entdeckte seine Tochter in seiner Garage Leichenteile. Fünf Morde werden ihm fest zugeordnet. In weiteren wird ermittelt, auch eine Beteiligung an dem aufsehenerregenden Mordfall Tristan wird nicht ausgeschlossen. Manfred S. wurde zum Gegenstand zahlreicher True-Crime-Podcasts und auch diese Tatsache wird im „Tatort“ kritisch aufgegriffen.
Souveräner Auftritt der neuen Ermittler
Und nun zu den Ermittlern: Edin Hasanović und Melika Foroutan spielen ihre Figuren von der ersten Minute an so souverän, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Dass sie sich schon seit seinem zwölften Lebensjahr kennen und jahrelang zusammen für „KDD – Kriminaldauerdienst“ (ZDF) vor der Kamera standen, kommt ihrem Zusammenspiel zugute. Beide Vorstellungen sind absolut gelungen, so unterschiedlich sie auch sind: Hasanovićs Rollengeschichte wird bereits offengelegt und man bekommt durch Besuche bei seiner Mutter Einblicke in sein Leben. Er spielt seine Figur entgegen aller Klischees so wunderbar verletzlich und einfühlsam, dass man ihn sofort ins Herz schließt. Die Vergangenheit von Foroutan bleibt (noch) im Dunkeln. Sie ist geheimnisvoll, aber keinesfalls von der Welt entrückt, wie es als „Keller-Ermittlerin“ klischeemäßig sein könnte.
Der Premieren-Titel ist somit auch in Bezug auf die Ermittler passend: Beide umgibt eine gewisse Dunkelheit, entweder mysteriöser oder tragischer Natur. Dass sie beide viel voneinander lernen und profitieren können und damit Licht in ihr Dunkel bringen, zeigt sich schon jetzt. Wenn Kulina am Ende die Vorhänge bei seiner Mutter aufzieht, um endlich etwas Licht hereinzulassen, kann das wohl durchaus symbolisch verstanden werden.
Ob es in den kommenden Folgen gelingt, das Aktenwälzen über 90 Minuten so spannend und abwechslungsreich zu gestalten wie beim Debüt, wird sich zeigen. Am 30. November läuft mit „Licht“ bereits der nächste Frankfurt-„Tatort“, ein weiterer mit dem Titel „Fackel“ wurde zeitgleich abgedreht.