Lamin Leroy Gibba : Ihr habt keine Rollen für Schwarze? Dann „Goodbye, Deutschland!“

Lamin Leroy Gibba fand in den USA Bestätigung als schwarzer, queerer Künstler. Warum er trotzdem nach Deutschland zurückkam und wie er hier das Unmögliche schaffte.

Eigentlich hätte es die ARD-Serie „Schwarze Früchte“ gar nicht geben dürfen. Der Cast? Zu unbekannt. Die Perspektive der queeren, schwarzen Community in Deutschland? Zu nischig. Die Tonalität? Weder Drama noch Comedy. In der Branche war man sich einig: So etwas kann in Deutschland nicht gelingen. Dass sie doch gelang, liegt vor allem an Lamin Leroy Gibba, Hauptdarsteller und gleichzeitig Headautor und Schöpfer der Serie. 

Schwarze Früchte“ ist sein Herzensprojekt, jahrelang kämpfte er dafür, dass die Geschichte um den von ihm verkörperten Lalo, einem schwarzen, schwulen Mann aus Hamburg, erzählt wird. „Es war sehr lange mein Job, Leute davon zu überzeugen, dass ‚Schwarze Früchte‘ erfolgreich sein kann. Dass sich jede Person mit der Geschichte und den Figuren darin identifizieren kann. Dass es für die einen wie ein Spiegel sein wird, der dringend gebraucht wird, weil sie sich nicht repräsentiert fühlen. Und für die anderen wie eine Tür, hinter der sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten gleichermaßen auftun,“ sagt Gibba im Gespräch mit dem stern.

Bayerischer Fernsehpreis für Lamin Leroy Gibba

Demnächst bekommt der 31-Jährige für die Serie den Blauen Panther den bayerischen Fernsehpreis verliehen, auch für den Grimme-Preis war „Schwarze Früchte“ nominiert. „Voll darauf gehofft“, habe er immer, sagt Gibba über die Anerkennung und hört sich dabei fast ein wenig wie seine Rolle Lalo an. Der Erfolg der Serie dürfte auch an ihren lässigen Dialogen liegen, die wie improvisiert klingen, aber messerscharf beobachtet und präzise geschrieben sind. Gibbas Lalo stolpert in der „Schwarze Früchte“ von einem Cringe-Moment zum nächsten: Er ist kein klassischer Sympathieträger, sondern ein Studienabbrecher, der an einer toxischen Beziehung festhält, schnell passiv-aggressiv wird und ziemlich verloren wirkt – auch, weil sein Vater gerade gestorben und das Verhältnis zur Mutter schwierig ist.

Lamin Leroy Gibba als Lalo in „Schwarze Früchte“, zu sehen in der ARD Mediathek
© ARD Degeto/Jünglinge Film/Studio Zentral/Claudia Schröder (Repro) Die großen Themen Rassismus, Sexismus und Homophobie tauchen in „Schwarze Früchte“ als Alltäglichkeiten auf, rücken nie in den Mittelpunkt. „Es ging darum, diese Geschichte mit einer Selbstverständlichkeit zu erzählen. Das Ziel war es nicht, einer weißen Mehrheit diese Lebensrealitäten zu erklären„, sagt Gibba. Stattdessen setzte er auf einen Insider-Blick, ließ sich und das ist die nächste Besonderheit vertraglich zusichern, dass auch hinter der Kamera vor allem queere Personen und People of Color zum Einsatz kamen. Eine Ansage an die deutsche Filmbranche und die ewige Ausrede: Wir finden niemanden! 

„Schwarze Früchte“ ist ein Triumph für Gibba, der 1994 in Münster geboren und in Hamburg aufgewachsen ist, als ältestes von sechs Geschwistern. Schon seine Kindheit ist geprägt vom Geschichtenerzählen, mit elf schreibt er seinen ersten Roman, später spielt er Theater am Jungen Schauspielhaus. „Es war sofort klar, dass Lamin hochbegabt ist“, sagt die Schauspielerin und Regisseurin Luisa Taraz, die ihn dort unterrichtet hat. Und schon damals ging es auch um Werte, nicht nur um Fähigkeiten. „Wir haben oft darüber gesprochen, wer man als Künstler sein will“, erinnert sie sich.

Er sei auf jeden Fall hartnäckig, sagt Gibba über sich selbst. „Er gibt nie auf“, erzählt seine Mentorin, die glaubt, sein Ziel sei es, sich immer treu zu bleiben. „Das können wenige so konsequent,“ so Taraz.

„Ach so, so seht ihr mich?“

Bestärkt hat Gibba vor allem seine Studienzeit in New York. In Hamburg hatten ihm ältere schwarze, queere Kollegen vom Schauspieljob abgeraten: Vergiss es, hier gibt es keine spannenden Rollen für uns. Wenn, dann musst du ins Ausland! Also ab in die USA: Mit 19 wird er an der New Yorker Universität „The New School“ angenommen, Marlon Brando hat dort studiert. Die Semestergebühren gehen bei 30.000 Dollar los, neben Schauspiel werden auch Regie und Drehbuchschreiben gelehrt. Schon in den ersten zwei Wochen trifft Gibba bei Talks auf Hollywood-Größen wie Julianne Moore oder Emma Stone. Dass er, der Sohn einer deutschen Büroangestellten und eines Lagerarbeiters aus Gambia, es dorthin geschafft hat, ist wieder so eine Unmöglichkeit, die für ihn möglich wurde.

Die Schauspielerin und Regisseurin Luisa Taraz inszenierte Gibba in New York in Georg Büchners „Lenz“
© Jeanne Degraa

 „Ich bin noch immer so dankbar für diese Zeit“, sagt Gibba, der ein Stipendium ergattert hatte. „DieHälftemeinerDozent:innenwaren schwarzundvielemeiner Mitstudierenden auch. Das hat etwas gemachtmitmeinerSelbstwahrnehmung. Dort war es eben nicht total ‚crazy‘, wenn ich als schwarze, queere Person Shakespeares Hamlet gespielt habe. Das war eine ganz andere Stärkung.“

In Deutschland war das anders. Mit elf spürte Gibba zum ersten Mal, wie stark Selbst- und Fremdwahrnehmung kollidieren. Am Theater spielten sie „Pippi Langstrumpf“, alle Kinder sollten für eine Szene im Klassenzimmer sitzen, nur Gibba nicht – weil es in Schweden damals keine Schwarzen gegeben habe. „Das war das erste Mal, dass ich gemerkt habe: Ach so, so seht ihr mich? Ich hatte mich immer mit allen identifiziert, in meinem Kopf war ich Pippi, Tommy, Annika.“

„Ich war wirklich so: Goodbye, Deutschland!“

Auch deshalb wollte Lamin Leroy Gibba eigentlich nicht nach Hause zurück. „Als ich gegangen bin, war ich wirklich so: Goodbye, Deutschland!“, sagt er. Als Schauspieler sei er glücklich in den USA gewesen, habe nach dem Studium erste Jobs an Land gezogen. „Aber als Autor hat es sich irgendwann nicht mehr richtig angefühlt, nur noch im amerikanischen Kontext zu schreiben.“ Weil ihm die schwarzen Perspektiven im deutschen Film und Fernsehen wichtig erschienen – gerade weil sie so selten gezeigt werden.

Nach fünf Jahren in den USA zog Gibba nach Berlin, die Idee für „Schwarze Früchte“ schon im Kopf. Spannende Rollen, die ihn herausfordern, sind in Deutschland rar, also schrieb er sich Lalo selbst. Gibba feierte erste Erfolge, schaffte es auf die Forbes „30 unter 30“-Liste, gewann für einen Kurzfilm einen Preis und war einer der über 180 queeren deutschen Schauspieler, die sich an der Initiative „Act Out“ der „Süddeutschen Zeitung“ beteiligten und 2021 mit einem Manifest mehr Sichtbarkeit und Inklusion forderten. 

Mit „Schwarze Früchte“ sei es anfangs zäh vorangegangen: viel Warten, viel Überzeugen, viel Erklären. Was ihm in der Zeit geholfen hat, dranzubleiben? „Ich hab immer gewusst: Wenn ich keine Förderung bekomme, mach ich das an ein paar Wochenenden mit Friends halt selbst!“ Für Lamin Leroy Gibba scheint das der Schlüssel zu sein, um Unmögliches möglich werden zu lassen: Im Zweifel selber machen.

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