Meinung: Fall Julia Ruhs: Wer Meinungsfreiheit will, muss sie aushalten

Der NDR setzt nach internen Protesten die Journalistin Julia Ruhs als Moderatorin der Sendung „Klar“ ab. Das ist ein Fehler. Damit schadet der Sender sich selbst.

Vor vielen Jahren arbeitete ich bei einer früheren beruflichen Station mit einem Kollegen zusammen, der heute vermutlich die AfD wählt. Über fast alles stritten wir, teils erbittert: Über den Umgang mit Flüchtlingen, Sicherheit in Deutschland, Geschlechterfragen.

Trotzdem fand ich es immer wichtig, dass dieser Kollege mit im Team war. Nicht nur, weil ich wusste, dass er mit seinen Kommentaren bei einigen unserer Leser und Leserinnen einen Nerv traf. Sondern auch, weil er, ein wirklich kluger Mensch und guter Journalist, mich immer wieder in meinen eigenen Positionen herausforderte und mich zwang, diese zu überprüfen.

Man muss die Positionen der Journalistin Julia Ruhs nicht teilen, um ihre Absetzung als Moderatorin der Sendung „Klar“ durch den NDR für falsch zu halten. Man muss es auch nicht gut finden, dass Ruhs einen Großteil ihrer Karriere darauf aufgebaut hat, vor allem mit provokanten Positionen in Erscheinung zu treten. Der Soziologe Steffen Mau hat das einmal mit dem Begriff „Polarisierungsunternehmer“ beschrieben.

Wer Georg Restle aushält, muss auch Julia Ruhs aushalten

Damit ist sie freilich nicht die einzige, auch nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch ein Kollege wie Georg Restle, Moderator des ARD-Politmagazins Monitor, spielt damit, dass er seine Thesen in eine politische Richtung permanent zuspitzt.

Fakt ist auch, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk den Auftrag hat, die Meinungsvielfalt in der Gesellschaft widerzuspiegeln. Es ist deshalb richtig, wenn der „Deutschlandfunk“ regelmäßig auch AfD-Politiker interviewt. Und zur Meinungsvielfalt gehört auch, eine Moderatorin zu Wort kommen zu lassen, die eine andere Position vertritt als die Mehrheit der Redaktion, die aber der Meinung vieler Menschen im Land entspricht.

Die Grenzen sind klar

Die Grenzen sind leicht zu definieren: Fake News und offenkundig substanzlose Diffamierungen haben im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nichts zu suchen. Allem anderen sollte man Raum geben, zumal die Rundfunkbeiträge von Menschen mit sehr unterschiedlichen Ansichten gezahlt werden.

Hinzu kommt, dass der NDR mit seiner dürren Begründung für diesen Schritt den Eindruck bei einigen verschärft, hier werde gegen eine unbequeme Stimme vorgegangen – und damit jenen Nahrung gibt, die ihm das Propagieren „linksgrünwoker“ Ansichten vorwerfen. Gut also, wenn der Bayerische Rundfunk Ruhs weiter als Moderatorin der Sendung in den von ihm produzierten Folgen einsetzt. Eine hohe Einschaltquote dürfte ihm nach der Kontroverse um ihre Absetzung durch den NDR gewiss sein.

Die Absetzung des US-Moderators Kimmel

Es ist ein zeitlicher Zufall, dass kurz nach Bekanntwerden der Causa Ruhs aus den USA eine andere Nachricht eintraf: Die Sendung des überaus populären Moderators Jimmy Kimmel ist bis auf Weiteres abgesetzt. Er hatte es gewagt, in seiner Show zu kritisieren, dass das Trump-Umfeld den schrecklichen Anschlag auf den Aktivisten Charlie Kirk für politische Zwecke instrumentalisiert.

Unwahrscheinlich, dass die, die bei Julia Ruhs jetzt Cancel-Culture rufen, Ähnliches auch bei Kimmel sagen würden. Das gilt aber auch umgekehrt: Wer sich bei Kimmel echauffiert, wird sich kaum mit der gleichen Verve für Julia Ruhs einsetzen.

Genau aber darum geht es: Wer Meinungsfreiheit wirklich und mit ganzem Herzen will, der muss auch andere Meinungen aushalten. „Es ist klar, dass jeder, der einen Menschen, seinen Bruder, wegen dessen abweichender Meinung verfolgt, eine erbärmliche Kreatur ist“, hat der französische Philosoph Voltaire gesagt. Das war ein treffender Satz. Er gilt bis heute.

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