AfD-Hochburg Sachsen-Anhalt: SPD-Chef Lars Klingbeil: Auftritt im Existenzkampf

Lars Klingbeil besucht Sachsen-Anhalt, wo eine Umfrage der AfD 39 Prozent vorhersagt. Seine SPD kämpft ums politische Überleben – kann der Parteichef da helfen?

Lars Klingbeil arbeitet sich erstmal vorsichtig an sein Publikum heran. Er sei am Morgen in München gestartet, schon in Hannover gewesen und jetzt in Quedlinburg angekommen. „Ich kann Euch sagen: Hier ist das Wetter am besten. Das ist doch schon mal ein gutes Zeichen.“ Stimmungsaufheller Sonnenschein. Jede positive Botschaft scheint zu zählen, selbst wenn die SPD gar nichts dafür kann.

Die AfD erhält fünfmal so viel Zuspruch wie die SPD

Parteitag der Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt. Es ist gerade mal 48 Stunden her, dass eine Umfrage das Land erschütterte, in der für die AfD ein Jahr vor der Landtagswahl 39 Prozent gemessen wurden. Ein großer Vorsprung vor der CDU und mehr als fünfmal so viel Zuspruch wie für die SPD. Die Möglichkeit, dass ein AfD-Politiker Ministerpräsident wird, erscheint realistisch. Es wäre eine historische Zäsur. 

Sachsen-Anhalt, das wird in den nächsten Monaten ein Kampfplatz um die Zukunft der Demokratie – unter bundesweiter, vielleicht auch internationaler Beachtung.

Lars Klingbeil, Vizekanzler, Finanzminister und SPD-Co-Chef, ist der erste Bundespolitiker, der nach diesem demoskopischen Donnerschlag hier auftaucht. Was hat er seinen Genossen mitzuteilen? Kann er ihnen Mut machen?

Man kann Klingbeil jedenfalls nicht vorwerfen, dass er die Lage schönredet. Er sei zuletzt viel in Nordrhein-Westfalen im Kommunalwahlkampf unterwegs gewesen, berichtet der SPD-Chef. In jedem Bürgergespräch merke man, dass es „wahnsinnig anstrengende Zeiten“ seien, in denen „vieles durcheinander kommt“. Da sei „ganz viel Unsicherheit und Frustration“. Und das betreffe auch die SPD.

Das Bundestagswahlergebnis sei katastrophal gewesen, räumt Klingbeil ein. Es stehe am Ende eines längeren Prozesses, der bald 20 Jahre anhalte. „Wir haben Vertrauen verloren.“ Klingbeil macht es spannend mit dem Motivieren.

Lars Klingbeil erwähnt die AfD nicht 

In Sachsen-Anhalt war der Niedergang besonders krass. Von 25,4 Prozent 2021 rutschte die SPD auf 11 Prozent ab. In der Meinungsumfrage vom Donnerstag lag sie nur noch bei sieben Prozent. Für die Sozialdemokraten geht es also darum, überhaupt noch in den Landtag einzuziehen, was nicht leichter werden dürfte, wenn sich der Wahlkampf auf die Auseinandersetzung zwischen AfD und CDU zuspitzen sollte. Und wenn die SPD rausfliegt, könnte es für die AfD sogar noch leichter werden, den Ministerpräsidenten zu stellen, weil sie selbst ohne absolute Mehrheit der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate gewinnen könnte.

Klingbeil erwähnt die AfD mit keinem Wort. Er spricht über die Aufgaben der SPD, über die Sicherung von Arbeitsplätzen vor allem in der Industrie. „Das ist auch ein Kampf um die Demokratie“, sagt der SPD-Chef. Er versucht, ein laues Lüftchen zu Rückenwind aus der Bundespolitik hochzureden. Zwei Haushalte habe die neue Regierung schon auf den Weg gebracht, darin Investitionen in Rekordhöhe. Soll heißen: Da tut sich was. 

Klingbeil stellt das Investitionspaket von 500 Milliarden Euro heraus. „Das ist unser Erfolg“, ruft der SPD-Chef. „Darauf können wir auch stolz sein.“ Da müsse man nicht, wie es so sozialdemokratische Art sei, „nach 30 Minuten fragen: Was machen wir als Nächstes?“. Einen Investitions-Booster habe man beschlossen, Energiepreise für die Wirtschaft gesenkt. Dass das eigentlich auch für die Privathaushalte versprochen worden war, verschweigt er.

Sven Schulze, der Spitzenkandidat der CDU in Sachsen-Anhalt, hat am Morgen im Deutschlandfunk die Migration zum wichtigsten Thema erklärt. Als Ärgernisse zählte er kriminelle Ausländer und den Anteil von Geflüchteten etwa aus der Ukraine auf, die nicht arbeiteten, aber Bürgergeld bekämen. Der weithin unbekannte Schulze will die Nachfolge des beliebten CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff antreten und dafür offenkundig die AfD bekämpfen, indem er ihre Themen aufgreift.

Die SPD will das nicht. Jedenfalls nicht zu offensichtlich. An der Debatte ums Bürgergeld ärgere ihn, dass es nie um die 800.000 Menschen, vor allem Frauen, ginge, die sehr wohl arbeiteten, aber nicht genug verdienten und deshalb aufstocken müssten, sagt Klingbeil. Andererseits finde auch er, dass man denjenigen, die jeden Morgen zur Arbeit gingen, nicht vermitteln könne, dass andere Geld bekämen, die nicht arbeiteten, obwohl sie es könnten. 

Der Fokus sind die, die fleißig sind“, sagt Klingbeil. „Die, die erwarten, dass die SPD etwas für sie tut.“ Als Beispiel nennt er noch die Erhöhung der Pendlerpauschale, die demnächst ins Kabinett komme. Den Rest der Rede verwendet Klingbeil aber vor allem auf das, was er verhindern wolle. Steuerbetrug, Rente mit 70, Polarisierung.

Nach Klingbeils Rede – eine Aussprache will niemand

Etwas mehr als 20 Minuten redet Klingbeil. Reicht das, um die SPD in Sachsen-Anhalt zu begeistern? „Wir werden gut bestehen, wenn wir Zuversicht ausstrahlen“, sagt Klingbeil. Die Umfragen, wird er später noch vor Journalisten ergänzen, seien für ihn „Motivation“. Was man eben so behauptet in einer solchen Situation.

Im Saal ist der Applaus für den Parteichef freundlich, vom Stuhl gerissen hat er niemanden. Die Tagesordnung sieht als nächsten Punkt eine Aussprache vor. Doch die entfällt. Es gibt unter den knapp 90 Delegierten keine Wortmeldung. Es könnte ein Zeichen für Einigkeit sein – oder für Resignation.

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