Prozess: Wie Jugendliche im Internet zu radikalen Islamisten werden

Die Verbreitung von Propaganda der Terrororganisation IS und der Aufruf zu Straftaten werden einem 16-Jährigen vorgeworfen. Der Prozess findet wegen seines Alters hinter verschlossenen Türen statt.

Die Radikalisierung des Schülers im Internet begann im Alter 14 Jahren – spätestens. Von der Faszination für islamistische, extremistische und terroristische Vereinigungen bis zur Verbreitung von Gewaltvideos und Propaganda des IS in sozialen Netzwerken und dem Aufruf zu Straftaten dauert es nicht lange. 

Vor dem Landgericht Mainz muss sich der mittlerweile 16-jährige Jugendliche aus dem Kreis Mainz-Bingen ab Freitag wegen dieser Delikte sowie der Finanzierung von Terrorismus verantworten. Ist das Verfahren gegen den Jugendlichen ein Einzellfall? Wie kann eine Radikalisierung so schnell vonstattengehen? 

Sehr heterogene islamistische Propaganda 

Islamisten nutzten das Internet, um Botschaften zu verbreiten, Anhänger zu rekrutieren und immer häufiger auch, um junge Menschen für das Durchführen von Anschlägen zu missbrauchen, berichtet die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter. Die islamistische Propaganda sei jedoch sehr heterogen und teilweise schwer zu durchschauen. Es gebe Influencer, die vordergründig Tipps für eine islamkonforme Lebensweise geben würden, tatsächlich aber ein Weltbild predigten, das mit der freiheitlichen Grundordnung nicht vereinbar sei.

Damit aus einer Faszination für einen fundamentalistischen Islam die Bereitschaft entsteht, Gewalt zu unterstützen oder sogar selbst zu verüben, brauche es aber eine weitere Stufe der Radikalisierung, erklärt die Direktorin des „Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam“ (FFGI). Diese werde von Influencern durch die falsche Behauptung herbeigeführt, dass der Westen einen Krieg gegen den Islam führe.

Fünfstufiges Radikalisierungsprogramm

Die Islamwissenschaftlerin spricht von einem fünfstufigen Programm der Radikalisierung: 

Propagierung eines salafistischen Islam, der inneren Frieden und eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten verspricht. Entfremdung von Familie und Freunden durch das Betonen von Unvereinbarkeiten zwischen den Normen des „wahren“ Islam und denen der deutschen/westlichen Gesellschaft.Erzeugung eines Gefühls von Feindschaft gegenüber der Gesellschaft.Glorifizierung des Dschihads als gottgefälliges Handeln für den „wahren“ Islam. Eigenes Engagement für den Dschihad, entweder durch das Verbreiten entsprechender Videos oder durch einen Anschlag.

Gerade Jugendliche seien für islamistische Botschaften empfänglich, weil sie die sozialen Netzwerke stärker nutzen als Erwachsene und dort einen sozialen Raum vorfinden, in dem sie unbeobachtet sind, sagt Schröter. Sie seien begeisterungsfähiger und damit für radikale Ideen ohnehin ansprechbarer als abgeklärte Erwachsene. Dazu komme, dass Jugendliche noch zu unerfahren seien, um Fake News erkennen zu können.

Festnahme im November 2024

Der Jugendliche aus Rheinland-Pfalz wurde im November 2024 nach Angaben der Ermittler vor allem deshalb festgenommen, weil es seinerzeit Anhaltspunkte dafür gab, dass er an einer Rohrbombe baut. Der Vorwurf der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wird inzwischen nicht mehr aufrechterhalten.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hatte zu diesem Zeitpunkt mitgeteilt, dass bei einer Hausdurchsuchung neben zwei Bajonetten auch vier Rohrstücke gefunden wurden – allerdings kein Sprengstoff und auch keine Substanzen für die Herstellung eines Zündmechanismus. 

Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Seit November 2024 sitzt der Jugendliche in Untersuchungshaft. In dem Verfahren vor dem Landgericht Mainz wird ihm die Verbreitung von Propaganda der Terrororganisation Islamischer Staat (IS), der Aufruf zu Straftaten sowie der Finanzierung von Terrorismus vorgeworfen. Wegen des Alters des Angeklagten wird die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit laufen. Angesetzt sind zunächst 17 Verhandlungstage bis Anfang Dezember.

„Eine juristische Ahndung halte ich für sinnvoll, weil damit erfahrbar wird, dass das eigene Tun Konsequenzen hat“, sagt die Islamwissenschaftlerin zu dem Prozess. Wichtig wäre eine professionelle Deradikalisierung des Jugendlichen. 

Zu den wichtigsten Präventionsmaßnahmen gehören nach Einschätzung von Schröter die Vermittlung von Medienkompetenz sowie eine kompetente Aufklärung über Islamismus in der Schule und der politischen Bildung. Außerdem sollten gewaltverherrlichende Internetaccounts abgeschaltet werden.

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