Sie war die selbstbewussteste und frechste Frau an Hitlers Seite. Der wachte eifersüchtig über seiner Nichte – bis Geli Raubal ihr Leben im goldenen Käfig nicht mehr ertrug.
Adolf Hitler bewohnte seit Ende der 1920er-Jahre für mehrere Jahre eine großzügige Wohnung in der Prinzregentenstraße in München. Möglich machten dies unter anderem die Tantiemen aus dem Verkauf seines Buches „Mein Kampf“. Damit finanzierte er einen Lebensstil, der im Kontrast zu seinen früheren Jahren als mittelloser Künstler in Wien stand. Noch war er jedoch nicht an der Macht, und es gab keine Möglichkeit, die öffentlichen Kassen für seinen späteren beträchtlichen Lebensaufwand anzuzapfen.
Hitlers Haushalt führte damals seine Halbschwester Angela Raubal. Von all seinen Verwandten hatte er zu ihr das engste Verhältnis. Dieses löste sich erst, als Eva Braun einen größeren Platz in seinem privaten Leben einnahm.
Mit Raubal traten ihre Töchter Geli und Friedl in den Dunstkreis des späteren Führers und Massenmörders. Die damals 20-jährige Geli zog Anfang 1929 sogar in die Prinzregentenstraße zu Hitler. Sie war nach München gekommen, um Medizin zu studieren, hatte aber auch künstlerische Ambitionen. Geli wollte Sängerin werden. Sie besuchte kulturelle Veranstaltungen in München und zeigte ein lebhaftes Interesse an Musik und Theater, zum Missfallen ihres Onkels.
Hitler kontrollierte Geli Raubals Leben
Das Verhältnis zwischen dem 19 Jahre älteren Hitler und seiner Nichte war eng, aber angespannt. Ihr Onkel hielt Geli an der kurzen Leine. Schon vor ihrem Umzug kontrollierte er ihr Leben und war stets besorgt, sie könnte auf Abwege geraten. Angesichts des selbstbewussten und unbekümmerten Wesens der jungen Frau, die auch keine Scheu vor Männern hatte, war dies nicht ganz abwegig. In München untersagte Hitler ihr, das Haus allein zu verlassen. Angeblich aus Sicherheitsgründen sollte sie stets von einem Angestellten oder Parteigenossen begleitet werden. Bereits 1927 flirtete Geli mit Hitlers persönlichem Chauffeur Emil Maurice.
Im Dezember 1927 hielt Maurice bei seinem Chef um die Hand der Nichte an. Hitler war außer sich und warf Maurice, immerhin Mitbegründer der SS, sofort hinaus. Auch später wurde Maurice kaltgestellt und mit einem unbedeutenden Versorgungsposten abgefunden. Dies war ein ungewöhnlicher Schritt für Hitler, da die Beziehung zu den Menschen seines Haushalts eng war und insbesondere die Chauffeure eine wichtige Rolle im Privatleben des Autoliebhabers einnahmen.
Einen weiteren Verehrer Gelis aus Österreich wies Hitler ebenfalls ab. Seine Nichte wollte wegen ihrer Gesangskarriere nach Wien zurückkehren, doch auch dies verbot er. Er bestand darauf, dass sie studierte, fürchtete aber von Anfang an, dass Geli nicht über das zweite Semester hinauskommen würde, weil sie einen Mann heiraten könnte.
Kein Hinweis auf eine sexuelle Beziehung
In der damaligen Gesellschaft, in der enge familiäre Beziehungen nicht unüblich waren, führten die exklusive Nähe und Hitlers Kontrolle über Geli zu zahlreichen Gerüchten und Spekulationen über den Charakter ihrer Beziehung. Auf jeden Fall reagierte Hitler eifersüchtig und zeigte ein aus heutiger Sicht übertrieben beschützendes Verhalten.
Für eine sexuelle Beziehung gibt es aber keine Hinweise. Das Gegenteil lässt sich zwar nicht belegen, aber eine Liebesaffäre wäre sehr unwahrscheinlich. Hitler war zu diesem Zeitpunkt nie allein, sondern stets von seiner Entourage aus Leibwächtern, Parteigenossen und Bediensteten umgeben. Viele von ihnen lebten noch nach dem Krieg, doch niemand konnte eine Mesalliance bestätigen.
Dennoch war das Verhältnis der beiden sehr eng. Die junge Frau wurde von ihrem Onkel gegängelt, aber trotzdem ernst genommen. Anders als Eva Braun, die sich in Gegenwart anderer nie in politische Fragen einmischen durfte, nahm Geli an Beratungen und Sitzungen der Parteispitze wie selbstverständlich teil und äußerte ihre Meinung – etwas, das Hitler später keiner anderen Frau gestattete. Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess schrieb über Geli: „Das Nichtchen des Tribunen ist ein hübscher 19-jähriger Backfisch. Immer lustig und so wenig auf den Mund gefallen wie der Onkel, im Gegensatz zu ihm: Kaum dass dieser gegen ihr schlagfertiges Mundwerk ankommt.“ Nach Henriette von Schirach – Tochter des Hitler-Fotografen Heinrich Hoffmann – war Geli außerordentlich hübsch, doch ihr Reiz sei nicht fotografierbar gewesen.
Hoffmann, Hitlers Leibfotograf, notierte: „War Geli am Tisch, drehte sich alles um sie, und Hitler versuchte niemals, das Gespräch an sich zu reißen.“ Hoffmann betonte, dass Hitler sich stets korrekt benahm und seine Gefühle für seine Nichte nur ein aufmerksamer Beobachter bemerken konnte.
Lautstarker Streit
Am 18. September 1931 wollte Hitler nach Nürnberg reisen, als seine Nichte vorschlug, während seiner Abwesenheit nach Wien zu fahren. Es kam zu einem lautstarken Streit, weil Hitler ihr die Reise verbot. Am nächsten Tag erfuhr er, dass sich seine Nichte in der Münchner Wohnung umgebracht hatte. Sie hatte sich in die Brust geschossen. Sofort gab es Spekulationen über ihren Tod und sogar Gerüchte, dass Nazis die junge Frau umgebracht hätten. Emil Maurice sagte später, sie habe wohl unter dem Leben in diesem „goldenen Käfig“ gelitten. Eine Affäre zwischen Onkel und Nichte habe es nicht gegeben. „Er liebte sie, aber es war eine seltsame, uneingestandene Liebe.“
Hitler selbst kommentierte Gelis Selbstmord nicht. Nach ihrem Tod verfiel er in eine schwere Depression. Zeitweilig zog er sich zurück und vermied gesellschaftliche Anlässe, was für den sonst öffentlichkeitsbewussten Hitler ungewöhnlich war. Sein Chauffeur Streck soll Hitlers Pistole an sich genommen haben, um einen weiteren Selbstmord zu verhindern. Langjährige Weggefährten berichteten, dass der Tod seiner Nichte Hitler tief verändert habe – eine seltsame Parallele zu Stalin, dem eine ähnliche Reaktion nach dem Selbstmord seiner Frau nachgesagt wurde.
Hitler am Generationenproblem gescheitert
Gegen eine übermäßige Trauer spricht jedoch, dass Hitler seine Parteiarbeit nahtlos fortsetzte und auch seine Liebeleien mit Frauen nicht endeten. Über Geli sprach er nur selten und wenn, dann in einem ungewöhnlich selbstkritischen Ton. Einmal erklärte er, seine Überzeugung, dass alte Männer keine Jugendlichen anführen könnten, rühre aus seinem Versagen bei seiner Nichte her.
Die Beziehung zu Geli sei „restlos am Generationenproblem“ gescheitert. Bis zu seinem Ende blieb Geli Raubal in Hitlers Leben präsent. Porträts und Fotografien seiner Nichte standen im Berghof und in seinem Arbeitszimmer in der Reichskanzlei. Ihr Zimmer in München blieb so, wie sie es hinterlassen hatte.
Der Hitler-Biograf Joachim Fest entwickelte ein feines Verständnis für das Wesen seines Forschungsgegenstands. Er schrieb, Geli Raubal sei Hitlers große Liebe gewesen und Eva Braun lediglich seine Mätresse. Andere Historiker wie Ian Kershaw betonen ebenfalls die besondere Bedeutung von Geli für Hitler und sehen in ihrem Tod auch einen Wendepunkt in seinem inneren Wesen.