Sylt ist berühmt für seine Strände, an denen sich Wohlhabende und Promis tummeln. Inzwischen verschaffen sich dort Punker mit einem Sommerlager Gehör. Ein Insel-Besuch.
„Kluntje, bitte zum Orga-Zelt kommen!“, schallt es per Mikro durch die verstärkte Box. Ein Blick über die Wiese am Rande Westerlands verrät: Kluntje hat verstanden. Er eilt herbei. Kluntje Schürmann ist Punk, „zwischen 20 und 30 Jahre alt“, wie er sagt und Mitorganisator der „Aktion Sylt„. Das Protest-Camp findet inzwischen zum vierten Mal statt. Bis zu 200 Personen tummeln sich auf einer Fußballfeld-großen Wiese.
Meine Erwartung: Schrammel-Sound, Bier-schwangeres Gegröle und Bahnhofstoiletten-Duft. So oder so ähnlich schwante es wohl auch den Syltern – sie erlaubten das Camp 2025 lediglich im Gewerbegebiet, außerhalb der Ortschaft Westerland. Beim Streifzug durch den Zeltplatz, neben akkurat aufgereihten Dixi-Klos und vorbei an zur Müllvermeidung-mahnenden Schildern fällt jedoch auf: Früher war mehr Punk. Statt Geschrammel trällern in einem Vorzelt drei „Punker“ ein Emo-Liedchen. Das Versorgungsteam karrt Spezi- und Regionalbier an. Der Platz teilt sich in Ruhe-Bereiche und Workshop-Areas. Als ein Streifenwagen das Camp befährt, schwinden auch die letzten Fehlvorstellungen: Beamte grüßen freundlich in Richtung Kluntje. Kluntje grüßt zurück.
„Kleine Paschas“
Ist das hier Punker-Urlaub vom Schnorrer-Dasein auf dem harten Asphalt deutscher Fußgängerzonen? Kluntje richtet sich auf, blickt konzentriert und erklärt – leicht kopfschüttelnd –, worum es ihm geht. Die drei größten Probleme unserer Zeit seien Rechtsruck, Klimawandel und soziale Ungerechtigkeit. Sofort kommen einem Bilder von Friedrich Merz ab dem Jahr 2022 – dem Premierenjahr des Camps – in den Sinn. Genervt von „kleinen Paschas“ fliegt er zur Hochzeit von Christian Lindner ein – mit seinem Privatflugzeug – und landet nur wenige hundert Meter von hier auf dem Flugplatz. Ist das hier gar eine Anti-Merz-Aktion? Einen besseren Ort dafür gäbe es eigentlich nicht.
Doch ähnlich schnell, wie Punker-Klischees verfliegen, verfliegen auch die Merz-Bilder. Kluntje und seinen Mitstreitern geht es ums große Ganze. Europa rückt politisch nach rechts – von Finnland über Ungarn bis Italien. Punk-Sein bedeutet für Kluntje Links-Sein. Solidarisch mit allen, die der Rechtsruck sorgt. Was können sie hier dafür tun? Stolz erzählt Kluntje nun vom Christopher-Street-Day, den sie hier feierten – solidarisch mit allen nicht-konservativen Lebensmodellen. Und Klimaschutz? Einen Parkplatz für Verbrennerautos sucht man hier jedenfalls vergebens. Punker fahren (meist) per Zug nach Sylt. Schließlich ging das ab 2022 sogar schon für neun Euro. Das sogenannte Deutschland-Ticket machte Reisen an diesen (geografischen) Rand der deutschen Gesellschaft bezahlbar.
Seit diesem Jahr kostet es jedoch schon 58 Euro und wir sind beim Thema soziale Ungerechtigkeit. Ein Thema, so vielschichtig und kompliziert, dass Kluntje ein wenig näher rückt, um besser hörbar zu sein und jetzt weit ausholen kann: Sylt gilt als Insel der Reichen, der Geld-Elite – kurz, wie „Die Ärzte“ singen: „Es ist zwar etwas teurer, dafür ist man unter sich“. Hamburg-Sylt ist laut Kluntje die häufigste Verbindung deutscher Privatflieger. Fakt sei aber, dass auch Nicht-Reiche hier wohnen und arbeiten. Für die und auch alle nicht-reichen Sylt-Urlauber ist der kumulierte Reichtum der Insel ein Problem. Kauf- und Mietpreise sind astronomisch. Angestellten in den Hotels und Restaurants fällt es immer schwerer, sich ihren Job „leisten“ zu können.
Sylter „Punker-Olympiade“
Diesen Kontrast möchte die „Aktion Sylt“ abbilden. Im Kleinen – man kauft fürs Camp gemeinsam ein, teilt Essen, Getränke, Zigaretten – und auch im Großen: Zwischen hochgestellten Weißkragen und adretten Sommerkleidern erregt etwa ein bunthaariger „Kotzreiz“-Band-Shirt tragender Punk nun mal Aufmerksamkeit auf dem Strand-Boulevard. Und mit dieser Aufmerksamkeit gelinge es leichter, die Botschaften des Protest-Camps unters (reiche) Volk zu bringen.
Macht das auch ein wenig Spaß? Kluntje strahlt erstmals übers ganze Gesicht. „Unbedingt“ mache es Spaß. Es gab Demos, eine Lesung, die „Punker-Olympiade“, etliche Workshops und sogar ein Boxturnier. Es war „richtig was los“.
Also alles Friede, Freude, Eierkuchen? Fast. Bei der Camp-Abschluss-Demonstration zeigte ein Teilnehmer einem Polizisten den Mittelfinger, wodurch sich dieser beleidigt fühlte und ihn festnahm. Kurz darauf kam er wieder frei. Es sei der erste Vorfall dieser Art während des dreiwöchigen Camps gewesen, sagt ein Camp-Sprecher. Und was sagt Sylt? „Auch zum Ende des diesjährigen Protest-Camps zeigt sich weiterhin ein friedlicher Verlauf, wie wir ihn aus den vergangenen Jahren kennen“, teilt die Inselverwaltung mit. Punk sei Dank steht damit einer Wiederholung 2026 nichts im Wege.