Richterin Brosius-Gersdorf: „Ihr Rückzug verhindert, dass das schwarz-rote Debakel größer wird“

Die Union demontiert eine Verfassungsgerichtskandidatin und das Vertrauen des Koalitionspartners SPD gleich mit. So kommentiert die Presse den Rückzug von Brosius-Gersdorf.

„Rhein-Neckar-Zeitung“:Frauke Brosius-Gersdorf ist nicht die erste geeignete Kandidatin, der es verwehrt ist, Bundesverfassungsrichterin zu werden. Doch sie ist die erste, mit der so schändlich umgegangen wurde. Erst Zustimmung, dann Ablehnung, dann Verunglimpfung. Das alles fällt zwar auf die Unionsfraktion, ihren unfähigen Vorsitzenden Spahn und auch auf Kanzler Merz zurück. Doch den eigentlichen Schaden hat die Staatsrechtlerin, die mit unhaltbaren Vorwürfen überzogen worden war. Die Sommer-Posse könnte dafür sorgen, dass künftig geeignete Bewerber lieber nicht ihren Hut in den Ring werfen. Denn wer garantiert, dass nicht wieder eine Bundestagsfraktion auf einen radikalen Mob hereinfällt, und dessen Lügengeschichten eins zu eins übernimmt?“

Vielleicht sollte Merz auch einen Klempnerkurs besuchen

„T-online“: „Beschädigt ist damit auch die Koalition als Ganzes, inklusive ihres Kanzlers, der seinen Vorgänger Scholz einmal abschätzig einen ‚Klempner der Macht‘ genannt hat. Vielleicht sollte Friedrich Merz in dieser hohen Handwerkskunst doch besser nochmal einen Schnellkurs besuchen, bevor sich ein Vorgang dieser Dimension wiederholt. Seine eigene Wahl ging schließlich auch fast in die Hose. Es ist ein großes Privileg, als Abgeordneter oder Abgeordnete nur dem eigenen Gewissen gegenüber Rechenschaft schuldig zu sein. Dieses Privileg ist aber verbunden mit der Pflicht, vorher das Hirn einzuschalten und nicht aus dem Rückenmark heraus zu agieren.“

„Stuttgarter Zeitung“: „Der Vorgang hat großen Schaden angerichtet. Die Koalition ist geschwächt, denn die SPD bekam vor Augen geführt, dass die Union Zusagen nicht einhalten kann, wenn der populistische Flügel seine Muskeln spielen lässt. Es gibt auch langfristig wirkende Folgen der Causa Brosius-Gersdorf: Nach der beschämenden gemeinsamen Abstimmung im Bundestag von Union und AfD demonstrieren die Christdemokraten erneut, dass es heute schon Politikbereiche gibt, in denen sie keiner anderen Partei näherstehen als den Rechtsaußen.“

„Kölner Stadt-Anzeiger“: „Der Vorgang ist ein Debakel. Denn in Frage stehen die Verlässlichkeit der Union als Koalitionspartner und damit die Stabilität der Koalition. Und es ist ein schlechtes Zeichen, wenn rechtspopulistische Kampagnen bei Regierungsparteien verfangen. Es ist schwer vorstellbar, wie eine Koalition auf dieser Basis weiter miteinander arbeiten kann. Wie soll die SPD sicher sein, dass Zusagen künftig eingehalten werden? Es gibt ja noch deutlich kontroversere Vorhaben. Auch bei anderen Themen wird es Kampagnen geben, womöglich als erstes bei den nächsten Richterkandidaten. Es hat ja schon einmal geklappt.“

Brosius-Gersdorf hat blind um sich geschlagen

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Die Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf hat ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurückgezogen. Damit findet ein Schauspiel ein Ende, in dem sie sich wiederfand, seit die Union ihrer Wahl zur Richterin zunächst zustimmte, um sie dann abzulehnen. In der Erklärung ihres Rückzugs geht allerdings auch bei Brosius-Gersdorf einiges durcheinander. Wer sich auf seine eigene Rationalität und Wissenschaft so viel zugutehält, sollte selbst in einer schwierigen Situation nicht blind um sich schlagen.“

„Heilbronner Stimme“: „Dass die Union der Mobilisierung durch rechte Akteure derart schnell auf den Leim gegangen ist, ist beschämend. Und es zeigt, wie viel Einfluss rechtspopulistische Netzwerke auf die Partei haben. Ihre Qualifikation und Kompetenz als Rechtswissenschaftlerin ist nicht zu bestreiten, doch das spielte in der Debatte keine Rolle mehr. Die Verantwortung für dieses Desaster liegt bei der Union. Sie muss sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, den sie selbst so oft insbesondere gegen die Grünen erhebt: ideologiegetrieben zu handeln. Nun ist der Schaden angerichtet und Gewinner gibt es wieder einmal nur einen: die AfD.“

„Reutlinger General-Anzeiger“: „Der Bürger fragt sich mittlerweile zurecht, welchen Einfluss Bundeskanzler Merz oder Fraktions-Chef Spahn noch auf ihre Abgeordneten haben. Denn eigentlich sollte der Richterstreit in der Sommerpause ‚in Ruhe‘ geklärt werden. Ein ‚gemeinsames Ergebnis‘, wie Friedrich Merz betonte, sieht anders aus. Der Wähler fragt sich zudem, wie zahlreiche Bundestagsabgeordnete in ihrer Meinungsbildung auf eine mittlerweile nachgewiesene, rechtspopulistische Schmutzkampagne hereinfallen konnten und nun an ihrer nicht-faktenbasierten Entscheidung festhalten. Nicht einmal ein Gesprächsangebot mit Brosius-Gersdorf wollte die Union wahrnehmen. Entweder zeugt das von beispielloser Ignoranz, oder Teile der Union stehen deutlich weiter rechts, als es der Bundeskanzler wahrhaben will.“

Die Glocke“: „Brosis-Gersdorf stellt das Gelingen des Gesamtprozesses und das Ansehen des höchsten deutschen Gerichts über die eigene Karriere – ein starkes Zeichen von Integrität und Verantwortungsbewusstsein, das Respekt verdient. Mit ihrem Rückzug will sie vermeiden, dass durch ein Aufschnüren des Gesamtpakets die Kandidaten Ann-Katrin Kaufhold und Günter Spinner nicht mehr zum Zuge kommen. So zu handeln, scheint fast selbstlos, hat aber angesichts der Anfeindungen – etwa die unberechtigten Plagiatsvorwürfe – auch mit Selbstachtung zu tun.“

„Südwest Presse“: „Dass der schwarz-rote Scherbenhaufen noch größer wird, das hat Brosius-Gersdorf mit ihrem Rückzug verhindert. Doch dürfte der Schaden auch so groß genug sein. Schon vorher gab es viele Abgeordnete in der SPD-Fraktion, für die eine Zusammenarbeit mit der Union von Spahn, Kanzler Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder eine gigantische Zumutung darstellt. Und auch in der Unionsfraktion glauben viele nicht, mit den in vielen Wahlen massiv geschwächten und durch und durch verunsicherten Sozialdemokraten eine Koalition führen zu können. Was das Bündnis zusammenhält, sind derzeit ihre Spitzen, Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil. Auf sie kommt es nun an, dass die Risse der vergurkten Richterwahl nicht das Fundament der gesamten Koalition sprengen.“

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