Deepfakes & Co: Wie die AfD wieder die Konkurrenz im Netz abhängt

Die AfD setzt vergleichsweise viel Künstliche Intelligenz im Netz ein. Sie bewegt sich damit bewusst in einer rechtlichen Grauzone – und ist damit doch wieder Avantgarde. 

Ein glühend heißer Sommertag. Eine junge Frau steht allein im Schwimmbecken. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Blick flackert. Hinter ihr: eine Gruppe dunkelhaariger Männer, die sie anstarren, um schließlich auf sie zuzustürmen. Aus dem Off warnt eine Stimme: „Die Zahl sexueller Übergriffe in Bayerns Schwimmbädern ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent gestiegen. Fast 60 Prozent der Tatverdächtigen sind Ausländer.“ 

Die Bilder sind nicht real. Die Frau existiert nicht. Auch die Männer sind bloße Pixel. Alles an diesem Video ist von Künstlicher Intelligenz (KI) gemacht. Doch es wirkt wie echt. Es ist ein sogenannter Deepfake. 

Das Video stammt von der AfD und wird überall dort verbreitet, wo die Partei traditionell stark vertreten ist: Auf Tiktok, Facebook, X und sonstigen Kanälen im Internet.  

Keine Parlamentspartei arbeitet häufiger mit KI

Es gibt noch viele andere derartige Beispiele. Keine andere Parlamentspartei arbeitet gleichermaßen so skrupellos und effektiv mit generativer KI wie die AfD. Eine Auswertung der Universität Mainz von über 70.000 Social-Media-Posts zur Bundestagswahl zeigte, dass nur 500 Werbebeiträge (0,3 Prozent) KI-Elemente enthielten. Doch bei der AfD war der Anteil zehnmal höher (über drei Prozent). Und das dürfte erst der Anfang sein.

Dass Social Media heute entscheidend für die Reichweite und die Wirkung politischer Botschaften sein kann, zeigt ein Blick in die Statistik: Bei Tiktok kommt die AfD auf mehr als 620.000 Follower – mehr als CDU, SPD und Grüne zusammen. 

Nur die Linke liegt mit knapp 410.000 Folgenden nicht ganz so weit zurück. Parteichefin Alice Weidel zählt dort fast eine Million Follower – deutlich mehr als Linken-Politikerin Heidi Reichinnek (620.000). Zwar sehen die Zahlen auf Instagram etwas anders aus – dort übertrifft Heidi Reichinnek mit 766.000 Followern Alice Weidel knapp (750.000 Follower).

Gold für Algorithmen

Soziale Medien sind das natürliche Habitat der AfD. Im Unterschied zu den etablierten Medien muss sie sich hier nicht mir Recherche auseinandersetzen oder Kritik gefallen lassen. Stattdessen funktioniert ihr politisches Geschäftsmodell besonders gut.

„Die AfD hat wenig Berührungsängste mit neuen Plattformen“, sagt Politik- und Digitalberater Martin Fuchs. „Sie hat verstanden, was Gold ist für die Algorithmen der Unterhaltungsplattformen, nämlich: Polarisierung, Zuspitzung, Provokation und Emotionen.“  

Vor allem auf TikTok sei das sichtbar, sagt Fuchs. Vier Jahre lang habe die AfD dort so gut wie allein propagiert, bevor die anderen Parteien nachgezogen seien. „Das sind vier Jahre Erfahrungsvorsprung.“ In dieser Zeit habe die Partei ein digitales Vorfeld aufgebaut, aus Anhängern, die von sich aus Werbung machten. „Acht von zehn Beiträgen über die AfD kommen gar nicht von der Partei selbst“, sagt Fuchs. „Organic Content“ heiße das. 

„Die AfD spielt nicht mit fairen Karten“

Und jetzt kommt noch die KI hinzu, wo sich die Partei wieder im Vorteil befindet. „Selbstverständlich spielt hier die AfD nicht mit fairen Karten“, sagt der Politikberater. „Sondern sie bewegt sich im Graubereich dessen, was gesetzlich gerade so noch okay ist.“

Was Fuchs meint: Die Partei und ihre Unterstützer kennzeichnen die mit KI generierten Beiträge nicht extra. Sie ignorieren damit die KI-Verordnung der EU (AI Act), die klar regelt: Wer Deepfakes veröffentlicht, muss deutlich machen, dass sie künstlich erzeugt sind. Ausnahmen gelten nur für offensichtlich satirische und kreative Werke. 

Doch der Verordnungsteil, der die Kennzeichnung vorschreibt, tritt formal erst in einem Jahr in Kraft. Entsprechend vage gibt sich die AfD auf eine Anfrage des stern. Die Auswirkungen der EU-Verordnung würden derzeit „geprüft“, erklärte ein Parteisprecher. Dabei greife man „sowohl auf gängige Anbieter als auch auf hausinterne KI-Programme“ zurück. 

Aus Sicht des KI-Rechtsexperten Andreas Daum geht jedoch die AfD mittelfristig ein Risiko ein. Noch werde die Partei nur als Betreiber eingestuft. Falls sie aber KI-Software für die eigenen Zwecke stark anpasse, könne sie selbst als Anbieter eines „Hochrisiko-KI-Systems“ gelten. Dann unterläge sie strengeren Regularien. 

Es geht um „gefühlte Realitäten“

Die AfD verweist in ihrer Antwort vorsorglich auf „interne Prüfprozesse“ und „verpflichtende Schulungen“. Doch für Daum klingt das wenig überzeugend. „Die Verantwortlichen müssen sicherstellen, dass die KI-Anwender über ein ausreichendes Verständnis zur KI verfügen – einschließlich der sozialen und ethischen Implikationen“, sagt er. „Und sie müssen ihr Personal auch dazu schulen, in welchen Fällen ein unzulässiger KI-Einsatz im Wahlkampf vorliegt.“ 

Für Martin Fuchs ist die technische Frage noch nicht einmal das größte Problem. „Viel entscheidender ist der Inhalt, der gezeigt wird“, sagt er. KI ermögliche es, täuschend echte Bilder für jedes vorstellbare Szenario zu erschaffen. Als Beispiel nennt Fuchs angebliche „Messermänner“, die gerade eine Gewalttat begehen. „Solche Bilder gibt es in keiner Datenbank“, sagt Fuchs. „Also lässt man sie sich generieren“ und schaffe „gefühlte Realitäten“.

KI wird laut Fuchs in den nächsten Wahlkämpfen noch eine viel größere Rolle spielen. Was fehle, sei eine echte Debatte im politischen Raum dazu: „Wie wollen wir KI einsetzen? Was ist KI? Wo ist unsere rote Linie? Was geht – und was nicht?“ Zwar gebe es erste Schritte, etwa bei der Linkspartei oder der früheren FDP-Fraktion, die interne Verhaltenskodexe erarbeitet hätten. Aber das reiche nicht.

Kein Automatismus

Insgesamt sei das Bewusstsein für die Problematik noch zu gering, bestätigt SPD-Digitalpolitiker Johannes Schätzl. Die digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Donata Vogtschmidt, wirft wiederum der AfD vor, bestehenden Regelungslücken bewusst auszunutzen. Nötig seien deshalb schärfere Kontrollen und strukturelle Reformen, sagt sie. Statt Plattformen, die auf Reichweite und Werbung ausgelegt seien, brauche es gemeinwohlorientierte Alternativen.

Doch noch ist die Realität eine andere. Und auch in ihr sieht Martin Fuchs keinen Automatismus, der für die AfD spricht: „Zur letzten Bundestagswahl waren SPD und Linke auf Tiktok sogar erfolgreicher.“

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