Nach Kritik am Umgang mit Gewaltverbrechen beenden Anwalt Alexander Stevens und der BR ihre Podcast-Zusammenarbeit. Im Interview verteidigt der Jurist seinen True-Crime-Ansatz.
Er ist einer der bekanntesten Strafverteidiger Deutschlands und dazu regelmäßig in einem der erfolgreichsten True-Crime-Podcasts des Landes zu hören – zumindest bis vor Kurzem. Denn jetzt ist bei „Bayern 3 True Crime“ für Alexander Stevens Schluss (der stern berichtete). „Seit Ende der aktuellen Staffel wird der Podcast weiterentwickelt – sowohl inhaltlich als auch personell“, erklärte der Bayerische Rundfunk (BR) auf stern-Anfrage, ohne jedoch konkrete Gründe für das Ende der Zusammenarbeit mit dem Star-Anwalt zu nennen.
Sicher ist: In den vergangenen Monaten hatte es vermehrt Kritik an dem Podcast gegeben: Neben dem „humorigen Plauderton“, in dem wahre, oft schwere Gewaltverbrechen abgehandelt werden, kritisierte unter anderem das medienkritische Portal „Übermedien“, Stevens schlachte Fälle aus seiner eigenen Anwaltstätigkeit zu Unterhaltungszwecken aus – zu Lasten des Opferschutzes und der gebotenen Objektivität einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, die das Format verantwortet.
Auch an der True-Crime-Liveshow, mit der Stevens und seine Podcast-Partnerin, die freie BR-Moderatorin Jacqueline Belle, durchs Land touren, entzündete sich Kritik. Der darin behandelte Fall wurde nach Beschwerden von Hinterbliebenen eines Mordopfers geändert. Die Bühnenshow wird zwar vom BR präsentiert, nicht aber veranstaltet – der Sender habe dennoch „darauf hingewirkt, dass der Fall ausgetauscht wird“, teilte eine Sprecherin des BR mit.
Jacqueline Belle und Alexander Stevens bei ihrer True-Crime-Bühnenshow im Februar in Düsseldorf
© Pedro Becerra
Obwohl Podcast und Liveshow unter unterschiedlicher Verantwortung stehen, dürfte diese Gemengelage auch zum Aus für Stevens bei „Bayern 3 True Crime“ beigetragen haben.
Strafverteidiger Alexander Stevens im Interview
Im stern-Interview spricht der Strafverteidiger über die Kritik an True-Crime-Formaten – und an ihm selbst:
Herr Stevens, wie unterhaltsam sind Gewaltverbrechen?
Ich würde in dem Zusammenhang nicht von Unterhaltung sprechen. Solche Straftaten haben etwas Düsteres an sich, das die Menschen interessiert – und zwar schon deutlich länger als True-Crime-Podcasts existieren, denken Sie zum Beispiel an Jack the Ripper. Aber nicht nur die Faszination des Bösen, vor allem auch das strafrechtliche Interesse steht im Vordergrund. True Crime bedient ein Stück weit die Urangst, dass einen selbst solche Taten ereilen. Es ist ein Blick über den eigenen Tellerrand, ohne direkt in die Fälle involviert zu sein.
In Ihrem Podcast plaudern Sie mit Jacqueline Belle über Ihr Privatleben, um kurz darauf über schwerste Verbrechen zu sprechen. Das kann man – insbesondere aus Opferperspektive – auch befremdlich finden.
Setzen Sie sich einmal in den 35. Hauptverhandlungstag eines Mordverfahrens, auch dort geht es mal ein bisschen lockerer zu. Die Beschäftigung mit solchen Fällen ist unser Beruf. Oder wie meine bekannte Strafverteidigerkollegin Regina Rick einmal gesagt hat: „Ein Arzt kann auch nicht mit jedem Patienten mitsterben, den er verliert. Ohne eine gewisse emotionale Distanz kann man den Beruf des Strafverteidigers nicht ausüben.“ Dass ich mich mit meiner Podcast-Kollegin Jacqueline Belle, die ich seit vielen Jahren kenne, auch über Persönliches oder Verspätungen bei der Bahn austausche, geschieht im Übrigen in keinem Kontext zu dem jeweiligen Fall – da muss man auch mal die Kirche im Dorf lassen.
Warum machen Sie neben Ihrer Anwaltstätigkeit überhaupt Podcasts und Bühnenshows über schwere Verbrechen oder schreiben Bücher darüber? Was ist das Ziel?
Prozessberichterstattung findet in den allermeisten Fällen an genau zwei Tagen statt: Beim Auftakt, wenn die Anklage verlesen wird, und am Ende, wenn das Urteil fällt. Der ganze – im wahren Wortsinne – Prozess dazwischen wird journalistisch kaum begleitet. Die Öffentlichkeit kann oft überhaupt nicht nachvollziehen, wie ein Gericht zu diesem oder jenem Urteil kommt. Unter anderem darüber aufzuklären, war und ist der Ansatz für meine Bücher – und darüber bin ich auch zu den Shows und den Podcasts gekommen: Hier bekommt das Publikum Einsicht in Fälle von jemanden, der dabei war …
… der aber eben auch nur seine Sicht der Dinge verbreitet.
Als Anwalt, der sowohl Angeklagte als auch Nebenkläger vertritt, werde ich niemals komplett neutral sein, wenn es um „meine“ Fälle geht. Das werde ich auch nie von mir behaupten. Nichtsdestotrotz ist es völlig legitim, meine Sicht der Dinge zu schildern. Dürften Verurteilte oder deren Verteidiger die Öffentlichkeit nicht suchen, würde es zum Beispiel niemals irgendwelche Wiederaufnahmeverfahren oder Richtigstellungen von falschen Urteilen geben. Auch der Rechtsstaat darf, er muss sich sogar, hinterfragen lassen.
Der BR hat jetzt angekündigt, dass er seinen True-Crime-Podcast in Zukunft ohne Sie produzieren wird – ganz offensichtlich eine Reaktion auf die Kritik an Ihrem Umgang mit den besprochenen Fällen und die teils drastischen Schilderungen dessen, was Opfern widerfahren ist.
Für den Inhalt und Erstellung aller Skripte war ausschließlich der BR verantwortlich. Ich habe lediglich als Experte die juristischen Sachverhalte eingeordnet. Wir gehen sehr sensibel mit unseren Fällen um, gerade weil wir bei einem öffentlich-rechtlichen Sender sind. Wir ersparen dem Publikum noch schonungslosere Beschreibungen der physischen, aber auch psychischen Verletzungen der Opfer – gerade um diese zu schützen.
Unsere behandelten Fälle sind also mit dem Sender abgesprochen. Ich durfte sie zwar vorschlagen, am Ende hat der BR dann zugestimmt oder eben nicht. Der BR wirbt für den Podcast mit „Strafverteidiger Alexander Stevens präsentiert seine spektakulärsten Fälle“. Das ist quasi das Alleinstellungsmerkmal unseres Podcasts. Da kann doch niemand erwarten, dass ich mich dann als neutrale Instanz da hinsetze. Das thematisieren wir auch immer wieder in den Folgen.
Was ist dann Ihre Erklärung für den Schritt des BR?
Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.
Geht es bei dem Podcast-Aus für Sie auch ums Geld?
Überhaupt nicht – mir kann niemand unterstellen, dass ich den Podcast für den Kommerz mache. In den ersten Jahren habe ich überhaupt kein Geld bekommen, inzwischen ist es eine geringe Aufwandsentschädigung – für ein Format, das einen Werbewert von 30.000 Euro je Folge hätte.
Ihre Bühnenshow läuft weiter?
Da gibt es einen Vertrag, aus dem der BR auch gern rausgegangen wäre. Wir haben die Auflösung angeboten, aber dann hätte der BR natürlich für den Schaden aufkommen müssen. Er hat jedoch nicht einmal die Kosten erstattet, die durch den Austausch des Falls auf Wunsch des BR entstanden sind.
Sind Sie enttäuscht vom BR?
Die Art und Weise, wie man jetzt mit mir umgeht und nun versucht, sich aus der Verantwortung zu ziehen, ist natürlich ernüchternd.
Haben Sie zu Ihrem öffentlichen Umgang mit Ihren Fällen eigentlich mal etwas von der Rechtsanwaltskammer gehört?
Nein, das würde mich auch wundern. Alle Fälle, die ich zum Beispiel im Podcast behandle, sind so stark anonymisiert, dass selbst ein Mandant sich nicht wiedererkennen würde, oder mit den Mandanten abgesprochen. Zum anderen sind es ja Fälle, die in einem öffentlichen Gerichtsverfahren verhandelt wurden, über die man auch öffentlich sprechen darf.