Arbeitsmarkt: Wie mehr Menschen mit Behinderung Arbeit bekommen können

Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt in Rheinland-Pfalz hat deutlich zugenommen. Sie könnte aber noch viel besser sein.

Unbegründete Vorbehalte bei Arbeitgebern und Scheu bei Bewerbern: Das ist nach Einschätzung der Arbeitsagentur einer der Gründe, weshalb noch immer zu wenig Menschen mit schweren Behinderungen eine Arbeitsstelle haben. „Schwerbehinderte trauen sich nicht, sich zu bewerben und Arbeitgeber sagen, die bewerben sich ja nicht“, berichtete die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Mainz, Heike Strack. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie viele Menschen mit Behinderungen sind arbeitslos?

Menschen mit Behinderung seien überproportional stark von Arbeitslosigkeit betroffen und zugleich besonders lange arbeitslos, sagt die Landesbehindertenbeauftragte Ellen Kubica. „Darunter sind auch viele besonders gut ausgebildete Menschen, was mit Blick auf den Fachkräftemangel widersinnig ist.“ Die IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz sieht in der Inklusion auch einen wichtigen Baustein zur Fachkräftesicherung, wie Sprecherin Julia Schneider sagt.

Rund 6.900 schwerbehinderte Menschen waren im Juli 2025 in Rheinland-Pfalz laut Arbeitsagentur arbeitslos. Das waren 100 Personen oder 1,6 Prozent mehr als im Juni. Gegenüber dem Vorjahresmonat wurden 40 Arbeitslose mehr gezählt (plus 0,6 Prozent). Gemessen an allen Arbeitslosen betrug der Anteil der Menschen mit einem schweren Handicap im Juli 5,4 Prozent. 

Schwerbehinderte Menschen waren durchschnittlich 335 Tage arbeitslos. Nicht-Schwerbehinderten nur 240 Tage.

Wie hat sich die Beschäftigung entwickelt?

Von 2013 bis 2023 ist die Zahl der Beschäftigten mit einer schweren Behinderung jedoch um 18,2 Prozent oder 6.600 Menschen auf rund 42.700 gestiegen. Die Zahlen beziehen sich nur auf Unternehmen mit mindestens 20 Arbeitsplätzen, und neuere gibt es noch nicht. 

Im Vergleich zu allen Beschäftigten (plus 13,5 Prozent) sei der Anstieg überdurchschnittlich hoch gewesen, sagt die Chefin der Regionaldirektion für Rheinland-Pfalz, Heidrun Schulz. Frauen profitierten von dem Zuwachs besonders. 

Wie sind arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung qualifiziert?

Überdurchschnittlich gut. Etwa die Hälfte hatte 2024 laut Arbeitsagentur eine abgeschlossene Berufs- oder Hochschulausbildung. Bei den nicht schwerbehinderten Arbeitslosen war es nur gut ein Drittel (34 Prozent). 

Wie viele Betriebe kommen ihrer Pflicht nach?

Knapp 37 Prozent der Arbeitgeber kommen der Pflicht voll nach, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen, wie Schultz sagt. Darunter seien mehr öffentliche Arbeitgeber als private. Weitere 37 Prozent erfüllten die Pflicht teilweise und gut jeder vierte (26 Prozent) gar nicht. Arbeitgeber, die der Pflicht nicht nachkommen, müssen zwischen 140 und 720 Euro pro Monat und Arbeitsplatz bezahlen. 

Der öffentliche Dienst habe auch Nachholbedarf, sagt die Landesbeauftragte Kubica. Die allgemeingültige Quote von fünf Prozent der Mitarbeitenden werde knapp unterschritten. Dabei habe sich das Land selbst mit sechs Prozent ein ehrgeizigeres Ziel gesetzt. 

Was sind die wesentlichen Gründe für die Arbeitslosigkeit?

„Der Arbeitsmarkt ist für Menschen mit Behinderungen nach wie vor eher exklusiv als inklusiv“, stellt die Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland, Susanne Wingertszahn fest. „Zu oft existieren Barrieren in unseren Köpfen, das ist ein gesellschaftliches Problem, dem wir nur mit Aufklärung begegnen können.“

So würden Menschen mit Behinderung fälschlicherweise oft weniger leistungs- und widerstandsfähig eingeschätzt. Die Arbeitsagentur nennt auf der Basis einer Erhebung des Instituts für deutsche Wirtschaft von 2023 noch eine Reihe anderer „Denkschubladen“. Zu den falschen Annahmen von Arbeitgebern gehört demnach laut Strack : Schwerbehinderte Beschäftigte seien zu teuer, nicht kündbar, nicht produktiv, häufig krank oder nicht belastbar. 

Der DGB sieht auch strukturelle Probleme und fordert barrierefrei gestaltete Arbeitsstätten, eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte betrieblicher Interessenvertretungen sowie einen gesetzlichen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung nach längerer Erkrankung.

Wo und welche Unterstützung gibt es? 

Die Landesbehindertenbeauftragte Kubica spricht von „Unsicherheiten auf beiden Seiten“. Das habe unter anderem eine Messe im Sozialministerium gezeigt, bei der sich Arbeitgeber und Arbeitssuchende mit Behinderungen kennenlernen konnten. Zehn bis zwölf Arbeitsverhältnisse seien daraus entstanden. 

Solche Kennenlerngespräche und Bewerbertage unterstützt auch die Arbeitsagentur, wie Strack sagt. Praktika und Probearbeiten könnten auch helfen. 

Die Bundesagentur für Arbeit biete neben einer intensiven Beratung viele Förderleistungen zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt. Arbeitshilfen, Zuschüsse zu Ausbildungsvergütungen und Eingliederungszuschüsse nennt Strack als Beispiele. 

Kubica sieht es auch als ihre Aufgabe, Unsicherheiten abzubauen und an der Bewusstseinsbildung zu arbeiten. Sie sei im Land auch unterwegs, um das Budget für Arbeit sowie die Einheitlichen Ansprechpartner für Arbeitgeber (EAA) bekannter zu machen.

Was sind denn EAA und das Budget für Arbeit?

Sie beraten Arbeitgeber zu rechtlichen, technischen und finanziellen Fragen bei der Einstellung, Ausbildung und Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen. Die IHK-Arbeitsgemeinschaft im Land ermutigt die Betriebe nach eigener Darstellung ausdrücklich, diese Potenziale der EAA zu nutzen. Es gibt neun in Rheinland-Pfalz, analog zu den Arbeitsagenturbezirken.

Das Budget für Arbeit soll Menschen mit Behinderung helfen, einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Bekommen können es Personen, die in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten oder das Recht hätten, dort zu arbeiten, wie Kubica erläutert. Dabei würden bis zu 75 Prozent des Lohns übernommen. Die 2018 eingeführte Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben umfasse neben finanzieller Unterstützung eine notwendige Assistenz der Betroffenen am Arbeitsplatz.

Welche Vorteile gibt es? 

Menschen mit Behinderungen bringen mehr ein als ihre Qualifikation, wie Strack betont. Wer Barrieren im Alltag meistere, bringe oft Durchhaltevermögen mit. Studien zeigten auch eine höhere Mitarbeiterbindung. „Sie verlassen ein Unternehmen nicht so schnell wieder.“ Sie stärkten die Diversität des Teams, und Vielfalt mache innovativer. Inklusive Teams stärkten das Betriebsklima und die Mitarbeiterzufriedenheit insgesamt. 

Was lässt sich aus einem Best Practice Beispiel lernen?

Der auf Reparaturen in der Informationselektronik spezialisierte Mainzer Familienbetrieb Service Center Schmidt GmbH&Co KG etwa hat unter seinen 22 Beschäftigten auch einen Mitarbeitenden mit Handicap. Den Mann mit Asperger-Syndrom habe er schon als Azubi eingestellt und nach der Gesellenprüfung übernommen, berichtet Seniorchef Wolf-Dieter Schmidt.

Die Unterstützung der Arbeitsagentur sei extrem hilfreich gewesen und habe gezeigt, „was möglich ist, wenn man Vertrauen, Geduld und Engagement mit sich bringt“, betonte Schmitt. Er habe einen hoch qualifizierten, hoch motivierten und sehr zuverlässigen Mitarbeiter gewonnen. Die pädagogische Betreuung der Berufsschule während der Ausbildung sei allerdings „mangelhaft“ gewesen. Sein Appell lautet dennoch: „Stellt ein, es lohnt sich!“

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