morgen|stern: Wie lange müssen wir denn noch arbeiten? Die Lage am Morgen

Katherina Reiches Vorschlag für Rente und Wohlstand, Tote bei Zugunglück, Zolldeal zwischen EU und USA und: besseres Recycling für Kaffeekapseln. Das ist heute wichtig.

Guten Morgen, liebe Leserinnen und Leser! 

Hatten Sie ein schönes Wochenende? Ich hoffe, Sie konnten die Arbeit ruhen lassen. Doch wenn es nach Wirtschaftsministerin Katherina Reiche geht, könnte das bald seltener der Fall sein. Sie fordert: Wir müssen in Zukunft mehr und länger arbeiten.

„Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen“, sagte die CDU-Politikerin der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Es kann jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen.“ 

Müssen wir wirklich mehr für die Rente arbeiten?

Die sozialen Sicherungssysteme stehen unter Druck, so Reiche. Damit hat sie recht. Und die Lage dürfte sich verschärfen. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass immer mehr Menschen – bald die „Boomer“-Generation – in Rente gehen, während immer weniger Erwerbstätige die Renten finanzieren. Gleichzeitig verlängert die höhere Lebenserwartung die Rentenbezugszeit. Das bringt das System ins Wanken. Reiches Lösung: einfach länger arbeiten.

Ein Vorschlag, der bei Bundeskanzler Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann auf Zustimmung stoßen dürfte. Beide hatten sich in der Vergangenheit ähnlich geäußert.

Doch nicht alle in der CDU jubeln. Der Sozialflügel der Partei (CDA) sieht Reiches Forderung kritisch. CDA-Vize Christian Bäumler erklärte: „Wer als Wirtschaftsministerin nicht erkennt, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit hat, ist fehl am Platz“, sagte er. Autsch.

Auch von SPD, Linken, AfD, Gewerkschaften und Sozialverbänden kam Widerspruch. Christoph Ahlhaus, Geschäftsführer des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft, sagte den „Funke“-Zeitungen, man solle eher auf höhere Produktivität setzen.

Lob gab es hingegen (Überraschung!) vom Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger. „Wirtschaftsministerin Reiche spricht Klartext – und das ist gut so. Wer jetzt mit Empörung reagiert, verweigert sich der Realität“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Reiche fordere eine umfassende Reformagenda, die auch die sozialen Sicherungssysteme umfasse. „50 Prozent Sozialversicherungsbeitrag sind keine Verheißung, sondern ein Warnsignal“, sagte Dulger. Wer angesichts des demografischen Wandels untätig bleibe, handle verantwortungslos gegenüber künftigen Generationen. „Deutschland muss wieder mehr arbeiten, damit unser Wohlstand auch morgen noch Bestand hat“, mahnte er. 

Immerhin: Die Debatte über die Stabilisierung von Wohlstand und Rentensystem nimmt Fahrt auf. Vor allem bei der Rente drängt die Zeit. Sonst droht den Jüngeren eine doppelte Last: Sie müssen nicht nur ihr eigenes Leben finanzieren, sondern auch die Renten der Älteren.

Wer hat recht? Wahrscheinlich alle ein bisschen. Länger arbeiten ist ein Ansatz, ebenso wie mehr Vollzeitbeschäftigung und höhere Produktivität.

Allerdings müssen zwei Dinge beachtet werden. Erstens: Wer Schreibtischtäter ist, kann vielleicht bis 70 durchhalten. Eine Pflegekraft oder eine Bauarbeiterin wohl kaum. Und zweitens: Auch wenn in der Union „Work-Life-Balance“ und Viertagewoche durchaus verteufelt werden – ohne genug Erholung werden Beschäftigte krank, unproduktiver oder müssen im schlimmsten Fall wegen Berufsunfähigkeit in Frührente – oft unfreiwillig.

Wie so oft ist es doch so: Die einfache Lösung gibt es nicht. Aber eines ist klar: Wir brauchen sie dringen.

Was meinen Sie, liebe Leserinnen und Leser? Müssen wir wirklich mehr arbeiten? Oder gibt es bessere Wege?

Zugunglück in Baden-Württemberg fordert mehrere Tote

In Baden-Württemberg entgleist ein Regionalexpress mit Dutzenden Menschen an Bord. Drei Menschen sterben, rund 50 Menschen werden verletzt, 25 davon schwer. Die Unfallursache war zunächst unklar. Augenscheinlich könnte aber ein Erdrutsch dabei eine Rolle gespielt haben, sagte Kreisbrandmeisterin Charlotte Ziller. Mehr dazu lesen Sie hier: 

Ein Deal zwischen den USA und EU

Die Gefahr eines Handelskriegs zwischen den USA und der EU ist vorerst gebannt: Bei einem Spitzentreffen in Schottland einigten sich beide Seiten auf einen Grundsatzkompromiss. Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stimmten einem Basiszollsatz von 15 Prozent auf die meisten EU-Importe in die USA zu. Dieser gilt laut von der Leyen auch für Autos, Halbleiter und Pharmaprodukte. Die Vereinbarung legt zudem den Grundstein, um Zölle auf weitere Produkte künftig zu senken.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) begrüßte die Einigung, mit der es gelungen sei, „einen Handelskonflikt abzuwenden“. Doch ist der Deal ein Gewinn für die EU? Mein Kollege Timo Pache kommentiert:  

So könnte Merz heute seinen Israel-Kurs verschärfen

Die verheerende Hungerkrise in Gaza hat in den letzten Tagen scharfe internationale Kritik an Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausgelöst. Israel zeigt nun kleine Zugeständnisse und lässt mehr Hilfsgüter ins Küstengebiet. Doch das ändert kaum etwas an der Gesamtsituation. Die Frustration der Staats- und Regierungschefs bleibt groß. Auch Bundeskanzler Merz denkt über ein härteres Vorgehen nach. Eine Entscheidung könnte heute fallen. Worum es dabei geht und was diskutiert wird, analysieren die stern-Reporter Miriam Hollstein und Veit Medick im Podcast „5-Minuten-Talk“:

Und sonst? Weitere Schlagzeilen

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Das passiert am Montag, den 28. Juli

China und USA setzen Verhandlung über Zollkonflikt fortThailand-Kambodscha-Konflikt: Gespräche in Malaysia geplant“Hitler ist kein Ehrenbürger“: Gemeinderat in Offenburg entscheidet über Aberkennung formal fehlerhafter Ehrenbürgerwürden

Mal was Positives

Trinken Sie gerade Ihren Morgenkaffee, liebe Leserinnen und Leser? Kommt er aus einer Kapselmaschine? Der Kaffee mag gut schmecken und die Lebensgeister wecken, doch die Kapseln landen oft im Müll und bleiben unrecycelt. In Österreich etwa liegt die Recyclingquote bei nur 30 Prozent. Dort hat man nun ein Verfahren entwickelt, um mehr der kleinen Behälter wiederzuverwerten.

Das bisherige Problem: Der Kaffeesatz in den Aluminiumkapseln. Zwar lässt sich Aluminium recyceln, doch der Kaffee erschwert den Prozess. Ein Projekt an der Montanuniversität Leoben will das ändern. Mit einem neuen Verfahren entfernt man Kaffee, Öl und Lacke von den Kapseln, die anschließend unter Stickstoff erhitzt werden. Die Aluminiumreste werden verdichtet und mit Salz behandelt. Am Ende entstehen kleine Barren, die sich zu Folie walzen lassen – für neue Kaffeekapseln, Getränkedosen oder Laptops.  

Unsere stern+-Empfehlung des Tages

Ich wohne seit nun mehr als sechs Jahren in Hamburg. Für viele und insbesondere die Hamburger ist es die schönste Stadt der Welt. Für mich auch – nach Kopenhagen. Und jedes Viertel hat dabei seinen eigenen Vibe. Meine Kollegin Lisa Frieda Cossham hat in St. Pauli ein besonderes Lebensgefühl entdeckt: 

Wie hat Ihnen dieser morgen|stern gefallen? Schreiben Sie es mir gerne: [email protected]

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche! Herzlich, Ihr

Rune Weichert

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