Debatte: Kita-Standards und Kommunal-Finanzen in der Kontroverse

Der Direktor des Landkreistags hat mit seiner Forderung nach einer Absenkung von Kita-Standards heftige Kritik auf sich gezogen. Worum es in der Debatte geht, und was der Bildungsminister sagt.

Der Geschäftsführende Direktor des Landkreistags Rheinland-Pfalz, Andreas Göbel, macht sich angesichts der finanziellen Probleme der Kommunen für pragmatischere Lösungen stark – und warnt vor den Folgen der Finanzmisere für die Menschen und die Demokratie. Mit seiner Forderung, auch Kita-Standards auf den Prüfstand zu stellen, hat er jedoch viel Kritik geerntet.

„Wer heute nur an Partikularinteressen denkt und sich realistischen Lösungen verschließt, der kann schon mal für morgen die Kettensäge bestellen. Wenn wir nicht bald handeln, kollabiert das System“, hält Göbel seinen Kritikern im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) entgegen. „Und dann würden wir die Unterstützung für diejenigen gefährden, die am meisten auf Hilfe angewiesen sind.“

Der Anstoß der Kritik 

Alle Kreishaushalte seien finanziell in einer „dramatischen Schieflage“, hatte Göbel bei der Vorstellung der Klage zweier Kreise gegen das Land festgestellt. Seine umstrittene Forderung: „Wir benötigen weitere Schritte, insbesondere eine vollständige Übernahme der Altschulden, eine Reduzierung der Sozialkosten sowie ein Absenken der Standards, insbesondere im Kindertragessstättenwesen und im ÖPNV.“

Selbst der eigentlich reiche Kreis Mainz-Bingen habe kein Geld mehr für freiwillige Leistungen, was vor allem Musikschulen und Sprachkurse für die Integration betreffe, hatte Göbel argumentiert. Dies verursache absehbar soziale Probleme und ziehe noch höhere Kosten nach sich.

Eltern sprechen vom Schlag ins Gesicht 

Der Landeselternausschuss der Kindertagesstätten reagierte empört und sprach angesichts der Forderung zu den Kita-Standards von „einem Schlag ins Gesicht aller Familien, Fachkräfte und vor allem der Kinder„. 

Auch Minister Teuber gegen Senkung der Kita-Standards 

Der rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber (SPD) hält eine Absenkung der Kita-Standards in der Debatte um die Kommunalfinanzen ebenfalls für den falschen Weg. „Das wäre eine Bankrotterklärung unserer Gesellschaft, wenn wir jetzt sagen, wir haben zu hohe Standards für unsere Kinder und wir müssen daran sparen. Das kann nicht die Antwort sein“, sagte er der dpa. 

„Die Standards für unsere Kinder, von denen wir keins verlieren dürfen, können nicht hoch genug sein“, betonte Teuber. „Deswegen hat der Landeselternausschuss meiner Meinung nach einen Punkt, und ich glaube, wir sollten gemeinsam daran arbeiten, unseren Kindern die beste Qualität zu bieten.“

GEW hält Göbels Forderung für „absurd“

Scharfe Kritik an Göbels Forderungen kommt auch von der Bildungsgewerkschaft GEW: Diese Diskussion sei „brandgefährlich“. „Sie ignoriert nicht nur die Bedürfnisse der Kinder, sondern auch die Realität der Beschäftigten“, sagte die Landesvorsitzende Kathrin Gröning der dpa.

„Schon heute entsprechen die Bedingungen in den Kitas in Rheinland-Pfalz nicht dem, was wissenschaftlich begründet für gute frühkindliche Bildung notwendig wäre“, stellte Gröning fest. „Die Beschäftigten in Kitas arbeiten seit Jahren am Limit, mit zu wenig Personal, zu großen Gruppen und zu wenig Zeit für Vor- und Nachbereitung“, betonte Gröning. Göbels Forderung sei „absurd“ und vielmehr eine Debatte über mehr Investitionen notwendig. 

Göbel: Standards nicht zulasten der Kinder senken

„Es geht überhaupt nicht darum, Standards zulasten der Kinder zu senken“, betonte Göbel. Auch nicht darum, Fachkräfte zu ersetzen oder ihre Ausbildung zu verändern. „Die Fachkräfte sind enorm wichtig. Wir müssen sehen, dass wir sie immer weiter qualifizieren, und sie brauchen eventuell noch mehr Unterstützung als derzeit.“

Es gehe vielmehr um pragmatische, an die Realität angepasste Lösungen – im Sinne der Kinder und Eltern, betonte der Direktor des Landkreistags. 

Betreuung in den Randzeiten nennt er als Beispiel: Diese müsse nicht wie derzeit von zwei Fachkräften garantiert werden, wenn nur noch ganz wenige Kinder in der Kita seien. „Kinder werden doch auch zu Hause nicht rund um die Uhr von pädagogischem Fachpersonal betreut.“

Teuber verweist auf ungenützte Möglichkeiten 

„Wir haben heute 38.700 pädagogische Fachkräfte in den Kitas“, stellt Minister Teuber fest. Das seien etwa 30 Prozent mehr als vor zehn Jahren. „Obwohl andere Branchen Fachkräftemangel haben, gewinnen wir Fachkräfte. Es ist also offenbar Geld im System, diese Menschen da hin zu bringen.“

Schon heute könnten die Kitas 70 Prozent Fachkräfte und 30 Prozent Hilfskräfte beschäftigen. „Es werden von diesen 30 Prozent aber nur ungefähr die Hälfte überhaupt genutzt. Das heißt, wenn wir das Gesetz zugrunde legen, ohne Standards zu reduzieren, die wir im Gesetz haben, könnten die Kitas noch weitere 15 Prozent Hilfskräfte einstellen.“

Eltern mit Migrationshintergrund einbeziehen 

„Wir müssen viel fantasievoller werden“, forderte Göbel. „Wir haben ganz viele Kinder mit Migrationshintergrund. Warum können wir denn nicht versuchen, die ein oder andere Mutter oder den ein oder anderen Vater mit heranzuziehen?“ Viele von ihnen hätten durchaus Qualifikationen aus anderen Ländern, manche seien sogar Lehrer, könnten oder wollten hier aber nicht arbeiten. Versicherungs- und Haftungsfragen dürften nicht über das Wohl der Kinder gestellt werden. 

Er regte auch an, dass ähnlich wie in Hessen und Baden-Württemberg Kreise und Gemeinden zusammenarbeiten, experimentieren, was funktioniert und was nicht. „Wenn sich etwas bewährt ist es sinnvoll, das dann zu übertragen.“ 

Baustandards zu hoch

Der Vertreter des Kommunalen Spitzenverbands beklagte zudem zu hohe und teure Baustandards: „Wir bauen teilweise Belüftungsanlagen in Kitas ein. Zu Hause wird auch gelüftet und das Fenster aufgemacht.“ 

Bundesteilhabegesetz 

Finanziell problematisch seien auch die Folgen des Bundesteilhabegesetzes, das Kindern mit Förderbedarf eine eigene Kraft zugestehe. Dafür seien bundesweit 4.000 Stellen in der Verwaltung geschaffen worden, ohne dass sie den Bedürftigen zugutekämen. „Und wir haben immer mehr Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf.“

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