Schwangerschaftsabbruch : Klein, aber oho? Warum ein schlichter Satz nun zu Koalitionskrach führt

Die SPD fordert die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – und beruft sich dabei auf den Koalitionsvertrag. Damit ist Streit mit der Union programmiert.  

Hat sich die Regierung aus Union und SPD vorgenommen, den Schwangerschaftsabbruch zu legalisieren, ohne dass davon bislang jemand etwas mitbekam? Was absurd klingt, wird dieser Tage in der Hauptstadt diskutiert, weil Union und SPD einen Satz aus dem Koalitionsvertrag nun gänzlich anders verstehen. Was dahintersteckt.

Streit um Schwangerschaftsabbruch: Worum geht’s? 

Losgetreten hat die Debatte Frauke Brosius-Gersdorf – also jene Juristin, die die SPD für einen Sitz im Bundesverfassungsgericht vorschlug, dem die Union zunächst zugestimmt hat, bevor sie es sich kurz vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag dann anders überlegte. Brosius-Gersdorf, die von vielen in CDU und CSU unter anderem wegen ihrer Position zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen abgelehnt wird, sagte in einer Talkshow: „Im Koalitionsvertrag steht genau das, was ich vorgeschlagen habe.“

Weil sich die Koalition vorgenommen habe, in mehr Fällen als bislang die Kosten für den Abbruch zu tragen, gehe der Koalitionsvertrag davon aus, „dass der Schwangerschaftsabbruch in der Frühphase rechtmäßig ist“, denn nur für einen rechtmäßigen Eingriff dürften die Krankenkassen die Kosten überhaupt übernehmen – so das Argument der Potsdamer Rechtswissenschaftlerin.

Was genau steht im Koalitionsvertrag? 

Wörtlich steht im Koalitionsvertrag von Union und SPD, man wolle „Frauen in Konfliktsituationen“ den Zugang zu medizinisch sicherer und wohnortnaher Versorgung ermöglichen. Und, der entscheidende Teil: „Wir erweitern dabei die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung über die heutigen Regelungen hinaus.“

Das heißt, in mehr Fällen als bislang sollen die Kosten des Eingriffs, meist zwischen 500 und 800 Euro, von der Krankenkasse bezahlt werden. Bislang ist das nur so, wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für die Frau darstellt oder sie durch eine Vergewaltigung schwanger wurde. Für Frauen, die sich den Abbruch finanziell nicht leisten können, weil sie weniger als 1500 Euro netto im Monat verdienen, übernimmt zunächst die Krankenkasse, die das Geld im Anschluss vom Land erstattet bekommt.

Entscheidet sich eine Frau aus anderen Gründen dafür, die Schwangerschaft nicht austragen zu wollen, trägt sie die Kosten dafür selbst. Das liegt daran, dass dieser Eingriff nach der derzeitigen Rechtslage zwar nicht bestraft wird, aber trotzdem rechtswidrig ist – eine Regelung, die sich seit den 90er-Jahren im deutschen Gesetz findet, mit dem erklärten Ziel, ungeborenes Leben zu schützen. Die Krankenkassen, finanziert aus den Beiträgen aller Versicherten, können ihre Mittel nicht zur Finanzierung eines illegalen Eingriffs verwenden.

Und was bedeutet das? 

Bei den Krankenkassen rätseln sie bislang, was mit der Erweiterung gemeint sein könnte. „Grundsätzlich wäre es möglich, dass der Gesetzgeber die GKV verpflichtet, Kosten für den Schwangerschaftsabbruch zu übernehmen“, sagte eine Sprecherin des GKV-Spitzenverbands dem stern. Hierbei sei aber der rechtliche Rahmen zu berücksichtigen.

Die SPD interpretiert den Satz ähnlich wie die Juristin Brosius-Gersdorf, nämlich dass das Ziel aus dem Koalitionsvertrag eine Änderung der rechtlichen Lage zum Schwangerschaftsabbruch voraussetze, genauer: die Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 218, wofür sich viele in der SPD schon in der vergangenen Legislaturperiode vehement eingesetzt haben.

Allerdings steht das nicht im Koalitionsvertrag, jedenfalls wenn man sich die genaue Formulierung anschaut. Schließlich bedeutet eine erweiterte Kostenübernahme nicht automatisch, dass alle Schwangerschaftsabbrüche künftig bezahlt würden. Technisch wäre der Satz beispielsweise ebenso erfüllt, wenn die Einkommensgrenze für diejenigen, die einen Abbruch finanziert bekommen, nach oben gesetzt würde und dadurch in der Zukunft für mehr Frauen die Kosten übernommen werden.

Was folgt daraus? 

Ganz eindeutig ist die Lage trotzdem nicht. Schon allein, weil Kanzler Friedrich Merz sich bei einer Nachfrage auf der Sommerpressekonferenz auch nicht ganz sicher zeigte, welche Auswirkungen die Umsetzung des Koalitionsvertrags in der Hinsicht habe. „Welche Rechtsfolgen das hat, möglicherweise auch auf den Paragraphen 218 Strafgesetzbuch, kann ich jetzt nicht abschließend beurteilen“. Seine Vermutung sei aber, „wir werden daran deswegen jedenfalls nichts ändern“.

Andere in seiner Fraktion sind da deutlicher. Für viele in der Union ist die Abschaffung des Paragrafen 218 ein rotes Tuch – unvorstellbar, dass sie sich auf eine Formulierung im Koalitionsvertrag eingelassen hätten, die dies vorsehen würde. „Eine Veränderung bei Paragraf 218 ist nicht vereinbart und stünde im klaren Widerspruch zur Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Ungeborenen und zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes“, sagte die Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker der „Welt“. Mit der Formulierung sei lediglich die Verbesserung der finanziellen Unterstützung für bedürftige Frauen gemeint. 

Die SPD aber dürfte die Formulierung weiterhin als Hebel dafür begreifen, die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs einzufordern. Man habe im Koalitionsvertrag „auch die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung fest vereinbart“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede „Table.Briefings“. „Hierfür müssen wir als Gesetzgeber nun alle notwendigen Voraussetzungen schaffen.“

Auf der Ebene der Regierung gibt man sich zugeknöpft. Das Justizministerium, SPD-geführt, verweist auf Anfrage des stern auf das CDU-geführte Gesundheitsministerium. Dort heißt es: Der Koalitionsvertrag sei „Richtschnur“ für die Reformvorhaben der Bundesregierung. Die Beratungen über den genannten Punkt seien „innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen“.

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