Kampf gegen Korruption: Selenskyj kündigt Lügendetektortests für Staatsdiener an

Nach massivem Druck stellt Wolodymyr Selenskyj die Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden wieder her. Vollkommen beruhigt sind seine Kritiker aber nicht.

Nach scharfer Kritik der EU und massiven Protesten Tausender Ukrainer hat Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew einen Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Anti-Korruptionsbehörden vorgelegt. Um einen russischen Einfluss in den staatlichen Stellen auszuschließen, sollen alle Mitarbeiter mit Zugang zu Staatsgeheimnissen Lügendetektortests unterzogen werden, kündigte Selenskyj in seiner abendlichen Videobotschaft an. „Und das müssen regelmäßige Kontrollen sein“, sagte er.

Zuvor hatte Selenskyj einen entsprechenden neuen Gesetzentwurf zur Arbeit der Anti-Korruptionsbehörden in das Parlament – die Oberste Rada – eingebracht. Dieser sieht Lügendetektortests innerhalb von sechs Monaten vor.

Trotzdem gab es in Kiew und anderen Städten des Landes erneut Proteste. Hintergrund war ein Gesetz, das die  Anti-Korruptionskämpfer der Generalstaatsanwalt und dem Präsidenten unterstellen sollte. Selenskyj hatte es am Dienstag in einem Eilverfahren unterschrieben.

Ukraine und EU sahen Gesetzesänderung kritisch

Die Protestierenden forderten die Verabschiedung des neuen Gesetzes, das den Anti-Korruptionskämpfern ihre bisherigen Vollmachten wieder zubilligt. Die Gesetzesänderung am Dienstag hatte nicht nur Proteste in verschiedenen ukrainischen Städten ausgelöst.

Auch in der EU stieß die Entscheidung auf Unverständnis. Der NABU und SAP waren 2015 mit westlicher Hilfe gegründet worden, um die notorische Korruption vor allem bei hochrangigen Politikern und in der Verwaltung zu bekämpfen. Das in die EU strebende Land gilt der Nichtregierungsorganisation Transparency International nach trotz aller Reformen als eines der korruptesten Länder Europas.

Kritiker warfen Selenskyj autoritäre Tendenzen vor, indem er sich die lange Zeit unabhängige Behörden unterwerfen wollte. Dass er nun scheiterte, bezeichneten Kommentatoren als eine herbe politische Niederlage, die den Präsidenten angeschlagen zurücklasse.

Parlament wird frühestens mit August abstimmen

Das neue Gesetz soll die Unabhängigkeit der Behörde wiederherstellen. „Der Gesetzentwurf stellt alle prozessualen Vollmachten wieder her und garantiert die Unabhängigkeit vom Nationalen Antikorruptionsbüro (NABU) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP)“, schrieben die beiden Behörden nach Bekanntwerden von Selenskyj neuem Gesetzestextes auf ihren Telegramkanälen. NABU und SAP waren demnach an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt.

Ein Zeitpunkt der Abstimmung in der Rada war zunächst nicht klar. Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk versprach bei Facebook, das Dokument in der nächsten Sitzung zur Abstimmung zu stellen. Abgeordneten zufolge ist die Oberste Rada allerdings erst einmal bis Mitte August in den Sommerferien.

Europäische Partner sollen neuen Gesetzentwurf begutachten

Selenskyj informierte nach eigenen Angaben auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) über die jetzigen Änderungen. Er habe „Deutschland eingeladen, sich an der Begutachtung des Gesetzentwurfs durch Experten zu beteiligen. Friedrich hat mir seine Bereitschaft zur Unterstützung zugesichert.“ Geplant sei auch eine Einbeziehung anderer europäischer Partner wie Großbritannien und die EU.

„Wir waren uns alle einig, dass es keine Einmischung oder Einflussnahme Russlands auf die Funktionsweise unserer Antikorruptionsinfrastruktur geben darf“, teilte Selenskyj nach einem Treffen mit den Behördenvertretern mit. „Jeder, der Zugang zu Staatsgeheimnissen hat – und das gilt nicht nur für das NABU und die SAP, sondern auch für das Staatliche Büro für Ermittlungen, unsere nationale Polizei – muss sich einem Lügendetektortest unterziehen. Und das müssen regelmäßige Kontrollen sein“, sagte Selenskyj.

Schon bisher gab es solche Tests, aber nicht in der nun geplanten Dichte. Das NABU teilte am Abend erleichtert mit, dass laut dem Gesetzentwurf nicht der Geheimdienst SBU die Tests führe, sondern eine verwaltungsinterne Kontrollstelle. Der auf der Rada-Seite veröffentlichte Text spricht aber bei der ersten Kontrolle nach Inkrafttreten des Gesetzes explizit vom SBU. Alle nachfolgenden Kontrollen sollen mindestens alle zwei Jahre durch interne Kontrollorgane erfolgen.

Selenskyj kündigt Antwort auf russische Angriffe an

Der ukrainische Präsident verurteilte in seiner Abendbotschaft einmal mehr die andauernden russischen Angriffe – ungeachtet der direkten Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau am Mittwoch in Istanbul. Russland zeige mit den Attacken – wie auf den Markt in Odessa und auf die Stadt Charkiw, wo es mehr als 40 Verletzte gab –, dass es kein Interesse an einem Frieden habe. Auch viele andere Städte waren einmal mehr Ziele russischer Drohnen- und Bombenangriffen, es gab Tote und Verletzte.

„Natürlich werden wir Russland auf all das antworten“, kündigte Selenskyj an. Die Ukraine greift in ihrem Abwehrkampf gegen den seit mehr als drei Jahren andauernden Moskauer Angriffskrieg immer wieder auch russisches Staatsgebiet an. Bei einem Drohnenangriff auf das russische Gebiet Kursk starb eine Frau, wie Behörden dort am Abend mitteilten. Insgesamt stehen die Zahlen der Opfer und die Schäden in keinem Verhältnis zu den massiven Zerstörungen, vielen Toten und Verletzten durch die russischen Angriffe in der Ukraine.

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