Niedersächsische Innenministerin: „Bei Messern haben wir ein Problem mit jungen, männlichen Ausländern“

Die Messergewalt in Niedersachsen ist binnen fünf Jahren stark angestiegen. Innenministerin Daniela Behrens erklärt, warum Angst nicht angebracht ist.

Frau Behrens, zu Beginn eine persönliche Frage. Haben Sie manchmal Angst, sich auf öffentlichen Plätzen zu bewegen?
Diese Frage stellt sich für mich nicht. Als Innenministerin bin ich in der privilegierten Situation, dass ich mich mit Personenschutz bewege. Aber auch vor meiner Zeit als Ministerin hatte ich keine Angst. Angst ist nie ein guter Berater und macht einen klein. Daher war und ist das kein Thema, das mich persönlich beschäftigt.

Die Angst beschäftigt laut Umfragen in Deutschland immerhin 40 Prozent der Bevölkerung. In Niedersachsen gibt sogar jeder zweite Befragte an, nachts Angst an öffentlichen Orten zu haben.
Es hat mich überrascht, dass die Zahlen so hoch sind. In Niedersachsen kann man sich sachlich betrachtet überall sicher fühlen. Wenn Menschen aber Angst haben, dann ist das deren Perspektive und die muss ich ernst nehmen. Und ich kann nicht hinnehmen, dass Menschen sich beispielsweise nachts an ÖPNV-Haltestellen unsicher fühlen. Daran werde ich arbeiten.

Die Zahlen sprechen tatsächlich dafür, dass sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert hat. Die Messergewalt in Niedersachsen ist laut der Polizeilichen Kriminalstatistik seit 2019 um 34,5 Prozent gestiegen. Was ist da bei Ihnen im Land los?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, diese Entwicklung kann niemand vollständig erklären. Weder die Polizei noch die Wissenschaft. Fakt ist jedoch, dass wir ein Problem mit Messerkriminalität haben. Bei manchen Jugendlichen ist das Messer zu einem Statussymbol geworden. Wir hatten elf Menschen, die vergangenes Jahr erstochen wurden. Mich besorgt das und die Zahlen müssen dringend runter.

Wenn man auf die Zahlen schaut, dann sind 41 Prozent der Tatverdächtigen bei Messerstraftaten in Niedersachsen Nichtdeutsche.
Beim Thema Messergewalt müssen wir leider feststellen, dass ausländische Tatverdächtige überproportional vertreten sind. Vor allem junge, ausländische Männer nutzen das Messer als Tatmittel.

Und was leiten Sie daraus ab?
Daraus leite ich Maßnahmen ab. Ich habe gerade eine Initiative zur Waffenrechtsverschärfung im Bundesrat durchgebracht. Wir weiten in Niedersachsen die Waffenverbotszonen aus und wir erhöhen die Kontrolldichte und die Polizeipräsenz. Mit solchen Maßnahmen können wir viel besser um Bahnhöfe herum kontrollieren oder an anderen Orten, wo es Kriminalitätsschwerpunkte gibt. Das hilft bei der Prävention.

Die meisten Kriminologen sagen, dass Kriminalität nichts mit der Nationalität, sondern mit sozialen Merkmalen zu tun hat. Das geht in der aktuellen Debatte aber unter. Auch Sie verweisen offensiv auf den Ausländeranteil bei Messerdelikten.
Es stimmt, dass vor allem der soziale Status ein entscheidender Faktor dafür ist, wer kriminell wird und wer nicht. Die Debatte rund um Ausländerkriminalität, wie sie aktuell geführt wird, ist besorgniserregend. Wir dürfen nicht die populistische Diskussion der Extremisten von der AfD führen und sie beflügeln. Man muss sensibel sein. Das heißt aber nicht, dass man offenkundige Entwicklungen nicht ansprechen darf. Beim Thema Messer haben wir ein Problem mit jungen, männlichen Ausländern. Das kann man nicht wegreden. 

Sie meinen, es liegt doch an der Staatsangehörigkeit? 
Nein, wir müssen genau hingucken, warum die Zahlen so sind, wie sie sind. Und wir müssen das Problem bekämpfen. Dazu gehört Polizeiarbeit genauso wie Sozial- und Jugendarbeit.

Wir hatten in den letzten Jahren große Flucht- und Migrationsbewegungen. Die Gewaltkriminalität scheint parallel dazu angestiegen zu sein und der Anteil von nichtdeutschen Tatverdächtigen ist dabei überproportional. Gleichzeitig ist es kriminologischer Konsens, dass niemand kriminell auf die Welt kommt, sondern geringe Teilhabechancen oder traumatische Lebensumstände Kriminalität begünstigen. Kann es sein, dass der Staat schlicht bei der Integration versagt hat?
Diesen Schluss würde ich nicht ziehen. Die große, große Mehrheit der Geflüchteten ist nicht kriminell, sondern hält sich an Recht und Gesetz. Was die Datenlage hergibt, ist, dass wir in bestimmten Bereichen wie der Messerkriminalität Auffälligkeiten haben. Es stimmt: Kriminalität entwickelt sich durch mangelnde Perspektive, wenig Teilhabe und geringe Chancen. Da, wo Jugendliche vom Elternhaus oder Jugendhäusern nicht aufgefangen werden, haben wir eine schwierige Entwicklung. Das gilt übrigens für Deutsche wie für Nichtdeutsche. Aber klar, die Integration läuft nicht perfekt, keine Frage.

Warum reden eigentlich alle über Ausländerkriminalität und niemand über häusliche Gewalt, wenn es um Messer geht? Es ist nämlich viel wahrscheinlicher, von seinem Ehemann mit dem Küchenmesser abgestochen zu werden als nachts an der Bushaltestelle von einem Unbekannten.
Weil das für die Gesellschaft ein schwieriges Thema ist. Häusliche Gewalt betrifft potentiell jeden von uns. Und die gab es auch schon vor 2015. Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Expartner getötet. Es bleibt aber ein Tabuthema in der Gesellschaft, weil es die eigene Familie betrifft.

Sie könnten das Thema ja so offensiv setzen – das tun sie bei der Messergewalt und der sogenannten Ausländerkriminalität doch auch.
Wir widmen uns dem Thema häusliche Gewalt in Niedersachsen seit Jahren ausgesprochen intensiv. Ich persönlich habe das schon in verschiedenen Funktionen getan. Nur, weil ich mich aktuell auch dem Thema Messergewalt zuwende, lasse ich das Thema Gewalt gegen Frauen doch nicht ruhen.

Im Kampf gegen die Messerkriminalität wollen Sie zehn neue Waffenverbotszonen einrichten. Warum sollten die effektiv sein?
Erstens weisen die Schilder Menschen darauf hin, dass ein Messer im öffentlichen Raum nicht zur Standardausstattung gehört. Zweitens kann die Polizei in Waffenverbotszonen an besonders gefährdeten Orten leichter kontrollieren und Messer sicherstellen. Wir wollen dort allgemein die Kriminalität runterkriegen und auch dem subjektiven Unsicherheitsgefühl der Bevölkerung entgegenwirken.

Jedes Verbot ist nur so effektiv wie die Kontrolle des Verbots. Die Polizei ist nicht dafür bekannt, freie Kapazitäten zu haben.
Die Waffenverbotszonen sind keine Idee, die ich hier einsam am Schreibtisch geboren habe. Das geschieht in enger Abstimmung mit den jeweiligen Polizeidirektionen, die sich die Zonen sogar explizit gewünscht haben, und den Kommunen, um vor Ort besser für Sicherheit sorgen zu können.

Solche Waffenverbotszonen können Stadtteile stigmatisieren und Menschen immer wieder ungewollten Kontrollen aussetzen. Junge Männer mit sichtbarem Migrationshintergrund finden es sicherlich nicht lustig, permanent durchsucht zu werden, nur weil sie aussehen, wie sie aussehen.
Waffenverbotszonen sind ja kein neues Instrument. Die Polizei hat viel Erfahrung bei der Durchführung solcher Kontrollen und auch in der Einschätzung, wo es sich lohnt, nachzugucken und wo nicht. Da vertraue ich ganz auf die Kompetenz der Polizei.  Es ist ein Stück weit logisch, dass in einer Waffenverbotszone bei einem entsprechenden Verdacht auch Personen kontrolliert werden, von denen wir angesichts der polizeilichen Kriminalstatistik wissen, dass sie zu einer Risikogruppe gehören. Es geht ja auch darum, durch Ansprache und Prävention Menschen auf einen anderen Weg zu bringen. Aber ich gebe Ihnen Recht, dass die Polizei dabei sensibel vorgehen und ihr Vorgehen hinterfragen muss.

Sie wollen außerdem bundesweit ein Messerverbot in Bussen und Bahnen einführen. Wer soll das, bitte, kontrollieren?
Dafür sind die Verkehrsträger in Abstimmung mit der Polizei zuständig. Im Herbst planen wir in Niedersachsen gemeinsam mit dem Verkehrsminister eine Veranstaltung mit den Trägern des ÖPNV und da werden wir auch das besprechen.

Sie wollen die Waffenkontrolle also nicht der Polizei überlassen, sondern Schaffnern aufbürden, neben den Fahrscheinkontrollen künftig auch nach Messern zu suchen?
Die Polizei ist zuständig für alles, was im öffentlichen Raum passiert. Dazu gehört aber nicht, durch Bus und Bahn zu laufen und Fahrgäste zu kontrollieren. Verkehrsträger, die mit den Ländern einen Beförderungsvertrag geschlossen haben, müssen mit solchen Anforderungen umgehen können. Es gibt ja auch Sicherheits- und Ordnerdienste in Fußballstadien. Die Schaffner sollen ja auch nicht die Fahrgäste auf Messer durchsuchen, sondern in Einzelfällen in enger Abstimmung mit der Polizei handeln.

Der Bundesrat hat auf Ihre Initiative hin beschlossen, Springmesser, Kampfmesser und Messer mit feststehenden Klingen über sechs Zentimeter zu verbieten. Die alte Grenze liegt bei zwölf Zentimetern. Auch die Bundesinnenministerin hat sich hinter Ihren Vorschlag gestellt. Mit sechs Zentimetern kann man aber immer noch jemanden verletzen.
Der Vorschlag ist auf Grundlage der Fachleute in meinem Haus, also einer polizeilichen Einschätzung, zustande gekommen. Man kann sich immer über einen Zentimeter mehr oder weniger streiten. Auch ein Kugelschreiber eignet sich im schlimmsten Fall als Mordwaffe. Ich bin der festen Überzeugung: Wir brauchen jetzt ein Signal.

Warum verbietet man Messer nicht einfach gänzlich im öffentlichen Raum?
Für diesen Vorschlag hätte ich sogar viel Sympathie. Aber man braucht für politische Vorschläge immer auch Verbündete und es war schon schwierig genug, für den jetzigen Vorschlag welche zu finden. Und wenn ich etwas einbringe, dann will ich auch eine realistische Chance haben, dass es beschlossen und umgesetzt wird.

Der Anteil psychisch kranker oder suchtkranker Personen ist bei Messertaten überproportional hoch. Sie sprechen aber vor allem über repressive Maßnahmen. Müsste nicht viel mehr über Prävention geredet werden?
Ich bin Innenministerin. Es gibt keine gute Begründung für Gewalt, und für Opfer ist ein Messerangriff unabhängig vom Motiv schrecklich. Natürlich können Waffenrechtsverschärfungen und Verbotszonen nur Bausteine bei der Bekämpfung dieses komplexen Phänomens sein. Wir müssen darüber hinaus als Gesellschaft darauf schauen, wie wir Risikogruppen begleiten. Wir brauchen das Elternhaus, die Schule, Jugendarbeit und Streetworker, die auch akzeptiert werden.

Sie haben es selbst gesagt: Niemand hat eine vollständige Erklärung für den Anstieg der Gewalt- und Messerkriminalität. Könnte es auch etwas mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun haben?
Wir haben keine abschließenden Erkenntnisse dazu, das stimmt. Ich nehme wahr, dass wir seit der Pandemie allgemein in der Gesellschaft eine kurze Zündschnur haben. Wir diskutieren sehr polarisiert und die Menschen fühlen sich unsicherer. Beim Thema junge Geflüchtete und Messer kann ich mir vorstellen, dass Traumatisierung eine gewichtige Rolle spielt. Diese Menschen haben sich auf einem gefährlichen Weg hierher durchgeschlagen, vielleicht war das Messer dabei eine Art Lebensversicherung. Jetzt kommen sie in eine wohlsituierte Gesellschaft, sollen sich schnell in der Schule eingewöhnen, eine Ausbildung machen, sich dem Apparat anpassen. Das ist nicht so einfach. Umso wichtiger ist es, dass wir neben konsequenter Strafverfolgung auf Jugend- und Sozialarbeit setzen und präventive Polizeiarbeit machen.

Frau Behrens, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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