Unser Kolumnist Micky Beisenherz fragt sich: Ist Friedrich Merz der Klinsmann unter den deutschen Kanzlern? Er tanzt im Ausland herum und lässt andere die Hausarbeit machen.
Wir müssen uns Friedrich Merz als glücklichen Menschen vorstellen. Zumindest wirkte der Mann sehr erleichtert, als er unlängst mit Markus Söder auf der Zugspitze herumstand. Vielleicht war er einfach dankbar, nicht vom ambitionierten Franken vom Gipfel gestoßen worden zu sein. An der Spitze ist es einsam. Schlimmer nur, wenn man sie sich mit Markus Söder teilen muss.
Dass der Trip nach Bayern und zu dessen verhaltensauffälligem Ministerpräsidenten so gut gelaufen ist, ist exemplarisch für die ersten Monate des Bundeskanzlers. Solange es nur darum geht, Deutschland zu verlassen, um exzentrische Figuren zu treffen, steht Merz gut da. Auf der internationalen Bühne ist er sprechfähig, zugewandt und verbindlich. Fast wie ein Helmut Kohl auf Ozempic in seiner Strickjackenhaftigkeit.
Doch, ach: Dem Außenkanzler droht ein wenig das Innere abzugehen. Mit einem freundlichen „Macht ihr mal!“ geht’s in den Regierungsflieger, und bei der Rückkehr findet er eine politische Situation vor wie Eltern, die nachts um drei heimkommen und feststellen, dass ein 16-Jähriger kein allzu kontrollierter Gastgeber ist.
Zuletzt zu bemerken bei der jämmerlich vergeigten Personalie der möglichen Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf. Ein Doppelname, der im Schreckensranking konservativer Männer bereits rangiert zwischen Strack-Zimmermann und Creutzfeldt-Jakob. Deren Wahl hätte Fraktionschef Jens „wir werden einander viel verkaufen müssen“ Spahn organisieren sollen. Doch Spahn – als rhetorischer Laubbläser immer vorne dabei, sich lautstark eine Schneise zu pusten – musste feststellen: Eine Fraktion zusammenzuhalten ist komplizierter, als bei Kumpels Masken zu shoppen.
Micky Beisenherz: Merz müsste mal wieder den Puls der Partei fühlen
Der Eindruck verfestigt sich: Der Chefarzt müsste mal wieder Visite machen und der Partei den Puls fühlen. In der CDU mehren sich Stimmen, die erinnern an Uli Hoeneß, der vor 20 Jahren über den Bundestrainer Klinsmann lederte: „Der soll nicht in Kalifornien rumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen.“
Mit dem Scheiß eines ampelesken Koalitionsunfriedens geht es jetzt in die Sommerpause. Die miese Stimmung in der Fraktion zu erspüren, wäre die Aufgabe von Spahn gewesen, aber auch die von Merz. Speziell Letzterer begreift sich eher in der Rolle des Kapitäns auf der Brücke und weniger des Schraubers im Maschinenraum. Was okay wäre, wenn diejenigen im Unions-Organigramm unter ihm wüssten, was sie tun. Stattdessen fallen sie auf rechte Shitstorms rein oder lassen sich von der halb so großen SPD über den Tisch ziehen. Die nun auf ihrer Richterin Brosius-Gersdorf besteht – oder sich deren Nicht-Wahl teuer bezahlen lässt. Eine Koalition hält man nicht allein dadurch zusammen, dass man den Wurstbaron Söder mit fünf Milliarden Mütterrente sediert.
Vor nicht langer Zeit hat Merz den da noch amtierenden Kanzler Olaf Scholz gescholten als „Klempner der Macht“. Man hat ihm das schnell als Handwerkerverachtung ausgelegt. Nun fühlt man sich bestätigt: Etwas mehr Blaumann wäre nicht verkehrt. Team Merz ist zwar in der Lage, Absichten rhetorisch wuchtig zu formulieren, doch es fehlt derzeit das Handwerkszeug, diese auch organisatorisch sauber zusammenzulöten. Fast ein wenig schade, dass ein mehr als nur ordentlicher Start auf diese Weise so verschattet wird.
Wenn sich das nach der Sommerpause nicht ändert, wird die Luft dünner als auf der Zugspitze. Und ob beim nächsten Mal wieder zwei vom Gipfel hinabsteigen, ist bei einem engen Partner wie Söder nie sicher.