Die Fußball-Nationalspielerinnen packen im fulminanten Sieg gegen Frankreich verloren geglaubte deutsche Tugenden aus. Sie zeigen eine Leistung, die beeindruckt – mit einem Aber.
Spielverderber mag niemand. Im Fall der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen muss man aber attestieren: Das Spielverderbertum steht dem Team von Bundestrainer Christian Wück ganz ausgezeichnet, weil es Tugenden mit sich bringt, die dem deutschen Fußball oft genug abhandenkommen. Stehaufqualitäten zum Beispiel.
Denn eigentlich musste man sich vom Viertelfinalspiel der Deutschen bei der EM gegen Frankreich schon nach 13 Minuten emotional verabschieden, um am Ende nicht in den großen Trennungsschmerz zu geraten. Da nämlich zog die deutsche Verteidigerin Kathrin Hendrich ihrer Gegnerin Griedge Mbock Bathy so beherzt an deren Haarzopf, dass die Französin im deutschen Strafraum ausgebremst wurde. Im Strafenkatalog des Fußballs sind die Haare eine ebenso verbotene Zone wie das Abseits, ihr Betreten wird aber schärfer geahndet. Hendrich sah also zurecht die Rote Karte, Frankreich traf per Elfmeter und die deutsche Stimmung war am Boden.
Es war ein so eklatanter Aussetzer von Hendrich, dass sich zurecht die Frage stellte, was da noch alles kommen soll. Die individuellen Fehler der Deutschen hatten sie schon in der Gruppenphase begleitet, früh im Turnier war klar, dass wichtige fehlende Säulen der Mannschaft wie Lena Oberdorf oder Giulia Gwinn nicht adäquat zu ersetzen sind. Die Zeichen hätten also ab der 14. Spielminute gegen Frankreich besser stehen können, denn die deutschen Gegnerinnen waren das individuell stärkere Team. Schneller, technisch besser, kreativer. Es musste ein Lehrstück her, um die Partie noch zu drehen. Und das Lehrstück kam.
Wück opferte sein kreatives zentrales Mittelfeld, um die dezimierte Defensive zu stärken. Nach vorne ging von da an nur noch wenig, aber die Deutschen spielten so unbarmherzig, dass sie den Französinnen den Spaß am Spiel nahmen. Viele kleine und große Fouls setzten den Favoritinnen merklich zu. Das war das eine.
Verdienter Sieg des DFB-Teams bei der Frauen-EM
Das andere waren einzelne Spielerinnen, die in einem Team, das über sich hinaus wuchs, noch ein kleines bisschen mehr wuchsen. Allen voran die Torhüterin Ann-Katrin Berger, die während der regulären Spielzeit stark hielt und im Elfmeterschießen noch stärker (und selbst einen Elfmeter verwandelte). Oder Sjoeke Nüsken, die zunächst den 1:1-Ausgleich köpfte, um später einen Strafstoß so halbherzig zu treten, dass die französische Keeperin damit keine Probleme hatte. Es wäre das 2:1 für Deutschland gewesen und ganz vielleicht der Siegtreffer. In Unterzahl wohlgemerkt. Es hätte aber auch der nächste dunkle deutsche Moment der Partie sein können, hätte das Team am Ende noch verloren. So aber nahm sich Nüsken später im Elfmeterschießen nochmals den Ball und verwandelte derart sicher, als habe sie alles aus ihrem verschossenen Elfer gelernt, was man davon lernen kann.
Auch Jule Brand machte ein starkes Spiel. Wenn es gefährlich wurde vor dem französischen Tor, dann in der Regel durch ihre Tempoläufe. Sie holte den Elfmeter raus, den Nüsken verschoss. Dass sie in der ein oder anderen Situation lieber das Abspiel gesucht hätte, statt ins Dribbling zu gehen? Geschenkt. Die Reihe an besonderen Spielerinnen ließe sich noch beliebig fortsetzen. Sie alle offenbarten etwas, das im Fußball eigentlich immer dann zur Argumentation genommen wird, wenn einem die Argumente fehlen: Mentalität. In diesem Spiel war die Mentalität tatsächlich das Argument.
Mentalität, Körperlichkeit, eine starke Torhüterin und ein Sieg im Elfmeterschießen. Das klingt schon sehr nach deutschem Fußball.
Doch bei all der berechtigten Euphorie über den verdienten Sieg muss auch gesagt sein: Diese deutschen Tugenden allein werden im weiteren Turnierverlauf kaum reichen. Denn sie täuschen nicht darüber hinweg, dass fußballerisch noch Luft nach oben ist im DFB-Team. Im Halbfinale wartet Spanien. Es wäre ein guter Moment, neben den kämpferischen Qualitäten auch die spielerischen auszupacken.