Meinung: Fall Brosius-Gersdorf: Männer, einfach mal die Klappe halten!

Gegen Frauke Brosius-Gersdorf gibt es wilde Polemiken –vor allem von Männern. Warum sie in diesem Fall einfach nichts sagen sollten

Fünf Milliarden Euro hat der deutsche Staat im vergangenen Jahr an Unterhaltsvorschuss gezahlt. Also als Ersatz für Väter, die ihre Kinder eher verhungern lassen würden, als ihrer finanziellen Verantwortung nachzukommen. Theoretisch kann man von ihnen das Geld zurückfordern. In der Praxis geschieht das meist nicht. Zu kompliziert, zu langwierig.

Was hat das mit dem Fall der umstrittenen SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, zu tun hat? Eine ganze Menge. Denn es zeigt, wie falsch die Debatte verläuft.

In dieser melden sich vor allem Männer lautstark zu Wort. Sie prangern die Juristin mit Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Potsdam insbesondere für ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch an. 

Da polemisiert der Anwalt einer renommierten Kanzlei auf Twitter, in Deutschland werde jetzt wieder diskutiert, ob Menschenwürde in Gramm abgewogen werden kann. Eine für einen Juristen bestürzend unterkomplexe Reduzierung der Frage, ab wann menschliches Leben beginnt und damit besonders schützenswert ist. Andere Männer stellen Brosius-Gersdorf in die Tradition von Richtern des Nationalsozialismus. Der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl sprach im Zusammenhang mit der Juristin in einer Predigt gar von einem „Abgrund an Menschenverachtung“. Inzwischen sagt er, er sei falsch interpretiert worden.

Männer werden nie schwanger sein

Was haben all diese Männer gemeinsam? Sie werden niemals vor der Frage stehen, ob sie ein Kind zur Welt bringen sollen. Sie werden niemals spüren, wie ein anderes Wesen ihren Körper „übernimmt“ und diesen teilweise für immer verändert. Sie werden nie die existenzielle Erfahrung einer Geburt machen, die für viele Frauen mit Schmerzen verbunden ist, wie sie sie nie zuvor erlebt haben und auch nie wieder danach erleben werden.

Auch die Entscheidung, ob man für die lebenslange Verantwortung für ein Kind bereit ist, obliegt in vielen Fällen immer noch den Frauen. Zwar sind Männer theoretisch ab dem Moment der Geburt genauso betroffen. In der Praxis entziehen sich aber immer noch in großer Zahl: Auch 2024 waren 85 Prozent der Alleinerziehenden weiterhin Frauen.

Brosius-Gersdorf und eine diffizile rechtliche Frage

Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, ist eine der weitreichendsten des Lebens. Eine Ehe kann man per Scheidung beenden, ein Eigenheim wieder verkaufen, den Job kündigen.

Kinder bleiben. 

Bei der Schwangerschaftsabbruch-Debatte stehen zwei fundamentale Rechte einander gegenüber: das Recht des ungeborenen Lebens auf besonderen Schutz und das Selbstbestimmungsrecht der Frau, über ihren Körper und über ihr Leben. Dieses auch juristisch diffizile Verhältnis hat Brosius-Gersdorf versucht, auszuleuchten. Man muss ihren Standpunkt (pro Liberalisierung des Abtreibungsrechts) dabei ebenso wenig teilen wie den der Gegenseite (Verschärfung des geltenden Rechts).

Aber so zu tun, als ließe sich die Frage leicht beantworten, ist eine Lüge. Würde man der Argumentation, dass ungeborenes Leben um jeden Preis zu schützen ist, folgen, dürfte es keine Abtreibungen in Deutschland mehr geben. Mit Ausnahme der medizinischen Indikation, also, wenn eine Schwangerschaft das Leben der Frau in Gefahr bringt. Eine solche Haltung ist aus gutem Grund in unserer Gesellschaft nicht mehr konsensfähig. Weil sie das Recht von bereits geborenem Leben, in diesem Fall, dem der Frauen, verachtet.

Die Sehnsucht nach dem Patriarchat

Was treibt Männer an, sich trotzdem mit solcher Polemik in die Debatte einzuschalten? Ist es ein Versuch, sich wichtig zu machen? Oder die heimliche Sehnsucht nach jenen Zeiten, in denen sich alle Frauenrechte aus den Vorgaben einer patriarchalischen Gesellschaft ableiteten?

So oder so gilt wie so oft: Wenn man keine Ahnung hat (in diesem Fall von Schwangerschaft und Geburt), sollte man einfach mal die Klappe halten!

Aber, Moment: Es gibt viele Dinge, die Männer lautstark fordern könnten, wenn es ihnen wirklich um Lebensschutz ginge. Zum Beispiel, dass ihre Geschlechtsgenossen bei Schwangerschaften, die mit ihnen zu tun haben, Verantwortung übernehmen und der werdenden Mutter finanzielle und emotionale Unterstützung anbieten – selbst, wenn zum Zeitpunkt der Zeugung keine Beziehung besteht und diese auch nicht angestrebt wird.

Wenn sich hier ein echter Mentalitäts- und Kulturwandel vollziehen würde, brächte dies weit mehr im Kampf gegen Abtreibungen als jede billige und spaltende Polemik.

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