Die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf wehrt sich nach der gescheiterten Verfassungsrichterwahl gegen Vorwürfe, die gegen sie erhoben werden. Diese Vorwürfe seien „diffamierend“ und „falsch“, schrieb die von der SPD nominierte Richterkandidatin in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Darin kritisiert Brosius-Gersdorf auch die Berichterstattung über sie als „unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“. Kanzler Friedrich Merz (CDU) sagte, die Koalition werde nun „in Ruhe“ über das weitere Vorgehen bei der Richterwahl beraten.
Brosius-Gersdorf kritisierte, die Berichterstattung sei „nicht sachorientiert“, sondern von dem Ziel geleitet gewesen, „die Wahl zu verhindern“. Dass sie als „ultralinks“ oder „linksradikal“ bezeichnet wurde, sei „diffamierend und realitätsfern“ gewesen, heißt es in der Erklärung, die eine Bonner Anwaltskanzlei im Auftrag der Juristin veröffentlichte.
„Ordnet man meine wissenschaftlichen Positionen in ihrer Breite politisch zu, zeigt sich ein Bild der demokratischen Mitte“, schreibt die Juraprofessorin.
Der Bundestag hätte am Freitag eigentlich drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht neu besetzen sollen. Im Wahlausschuss des Parlaments bekamen auch alle drei eine Mehrheit. In der Union gab es aber dann Vorbehalte gegen Brosius-Gersdorf. CDU/CSU forderten deshalb kurz vor der Abstimmung im Plenum von der SPD, die Kandidatin zurückzuziehen. Daraufhin wurde die gesamte Wahl abgesetzt. Die Union begründete ihre Kritik unter anderem mit der Haltung der Juristin zu den Themen Abtreibung und Kopftuchverbot.
Dagegen wehrte sich Brosius-Gersdorf nun inhaltlich: „Die Berichterstattung über meine Position zur Reform des Schwangerschaftsabbruchs entbehrte der Tatsachengrundlage“, erklärte sie. Der Hauptvorwurf, sie spreche dem ungeborenen Leben die Menschenwürdegarantie ab und sei für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt, sei „falsch“, „unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar“.
Beim Thema Kopftuchverbot sei es ihr um die Rechtsprechung beim Umgang mit dem Neutralitätsgebot des Staates gegangen. „Während ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen verfassungsrechtlich nicht zulässig sein soll, soll ein entsprechendes Verbot für Rechtsreferendarinnen in bestimmten Situationen im Gerichtssaal zulässig sein“, schrieb sie. „Hierin habe ich einen Widerspruch gesehen.“
Bundeskanzler Merz hält seine Koalition nach dem Streit um die gescheiterte Neuwahl von Verfassungsrichtern nicht für beschädigt. Bei einem Besuch des bayerischen Kabinetts auf der Zugspitze sagte Merz am Dienstag, in den mittlerweile zehn Wochen seiner Bundesregierung habe es zwei Themen gegeben, bei denen seine Regierung nachjustieren müsse. Kommunikativ sei die Debatte um die Stromsteuer nicht gut gelaufen, handwerklich das Thema Richterwahl.
„Das beschädigt nach meiner Auffassung die Bilanz nicht“, sagte Merz. Er werde jetzt bei der Kommunikation und der handwerklichen Vorbereitung nachjustieren. Neue Bundesregierungen hätten solche Themen immer zu Beginn erlebt, das sei nicht ungewöhnlich. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte gesagt, er halte die Regierungskoalition durch den Streit um die Richterwahl für beschädigt.
Merz sagte zur Neuwahl der Verfassungsrichter, er wolle „in Ruhe“ in der Koalition besprechen, wie das gelöst werden könne. „Mein Wunsch wäre, dass wir im Deutschen Bundestag zu Lösungen kommen und dass wir nicht den Ersatzwahlmechanismus auslösen müssen, dass der Bundesrat die Wahl vornimmt, die eigentlich der Bundestag vornehmen müsste.“ Dies sei „der wichtigste Wunsch“, den er habe.
Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) räumte in einem Brief an seine Abgeordneten ein, er und die Führung der Fraktion hätten „die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken“ gegen Brosius-Gersdorf unterschätzt. „Gegen die Emotionalisierung und Polarisierung der Debatte“ seien die Koalitionsfraktionen „nicht gut gewappnet“ gewesen. Das weitere Vorgehen solle jetzt im geschäftsführenden Fraktionsvorstand beraten werden.
Die Grünen drängen derweil in einem Brief an Spahn und SPD-Fraktionschef Matthias Miersch auf eine Bundestags-Sondersitzung zur Wiederaufnahme der abgesetzten Verfassungsrichterwahl – noch in dieser Woche. Eine „zeitnahe Wahl“ sei „dringend erforderlich“, betonen die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge.