Rekultivierung: Keine Kohle mehr: Wie eine neue alte Landschaft entsteht

2038 ist Schluss für die Kohle. Aber es entsteht Neues. Aus Gruben werden Seen, auf Kippen wächst Wald. Der Fotograf Thomas Victor hat die Rekultivierung begleitet.

Oben, auf dem Berg, zwischen den noch jungen Bäumen, spürt Ari einem Hasen nach, der gerade über den Weg gelaufen ist. Henryk Siwik lässt seinen Jagdhund gewähren. Der Förster will jetzt sein Revier zeigen. Von hier aus, in 160 Meter Höhe, ist alles gut zu sehen, der Wald, die Felder – und natürlich: der Wein. An 26.000 Rebstöcken reifen Grauburgunder, Riesling und Cabernet. Siwik, 45, ist der Stolz auf sein Werk anzusehen. Er hat das Revier nicht einfach so übernommen. Er hat es mit erschaffen.

Der Förster und seine Kollegen von der LEAG, der Lausitzer Energie AG, entschieden gemeinsam, wo die Eichen, Buchen und die Pappeln gepflanzt wurden – und wo die Kiefern, Lärchen und Douglasien. Sie bestimmten die erste Fruchtfolge auf den Feldern und unterstützten den Weinanbau.

Keine vom Eis geformte Endmoräne

Der Berg ist keine vom Eis geformte Endmoräne, sondern eine durch und durch künstliche Erhebung, geschaffen von Baggern, Jahr für Jahr, Meter um Meter gewachsen. Noch Ende der 1980er-Jahre befand sich hier das Dorf Wolkenberg, auf Niedersorbisch Klěšnik. Etwa 300 Menschen lebten hier. Ihnen erging es wie Tausenden im Süden Brandenburgs oder im nördlichen Sachsen: Eines Tages mussten sie die Koffer packen und dem Braunkohletagebau weichen. Nachdem ihre Häuser abgerissen waren, fraßen sich die Schaufel- und Eimerkettenbagger 80 bis 120 Meter in die Tiefe. Die Kohle brachten sie fort, den Abraum kippten sie auf die Halde.

Orte wie Wolkenberg finden sich überall in der Lausitz, wo 1789 das erste Flöz angebohrt wurde. Im 20. Jahrhundert verschlang der Tagebau Hunderte Ortschaften, raubte Zehntausenden Menschen ihre Heimat und zerstörte systematisch ihre Umwelt. Vor allem in der DDR-Zeit wurde ein großer Teil der Braunkohle, aber auch ein Teil des Abraums direkt in der Region verbrannt oder zu Briketts verarbeitet. Asche, Schwefeldioxid, Schwermetalle und Dioxine vergifteten Luft und Wasser.

Karte Braunkohlereviere Ostdeutschland

Das ist heute dank moderner Filter- und Entschwefelungsanlagen längst anders. Aber noch immer stoßen die Kraftwerke Jänschwalde, Schwarze Pumpe, Boxberg und Lippendorf jedes Jahr Abermillionen Tonnen an Kohlendioxid aus.

Die Menschen arrangierten sich mit der Kohle, weil sie mehr als ein Jahrhundert lang sichere Arbeit und moderaten Wohlstand bedeutete. Die Unternehmen und ihre Steuern finanzierten Straßen und Wohnanlagen, Einkaufsläden und Hotels, Theater und Kindergärten. Mit den Bergleuten entwickelte die Region eine eigene, selbstbewusste Identität, die jetzt akut gefährdet ist. Der Kohleausstieg ist für 2038 beschlossen, was danach kommt, das weiß niemand so genau.

Wird neue Arbeit entstehen? Oder werden noch mehr Menschen wegziehen?

Die Reparatur der geschundenen Landschaft ist der Anfang von etwas Neuem. Ausgekohlte Tagebaue werden mit Abraum verfüllt und anschließend rekultiviert, also wiederhergestellt für die Landwirte und Förster wie Henryk Siwik. Oder sie werden renaturiert, also in einen möglichst naturnahen Zustand zurückgebracht. Oder sie laufen über Jahre kontrolliert mit Wasser voll und verwandeln sich in Seen. In den kühnen Träumen der Planer wird das Revier zur Riviera – und lockt Touristen in die Region.

Ein Milliardenprojekt

Die Rekultivierung ist beinahe so alt wie der Bergbau selbst. Aber sie funktionierte phasenweise bestenfalls eingeschränkt. Ab Mitte der 1970er-Jahre kamen die DDR-Betriebe, die immer schneller immer mehr Braunkohle fördern sollten, mit den Aufräumarbeiten nicht mehr hinterher. Musterprojekte wie der Senftenberger See, der mit der Flutung des Tagebaus Niemtsch entstand, vermochten das ökologische Großdesaster nicht zu überdecken.

Umso teurer wurde es nach der Wiedervereinigung. Allein die Nachsorge aller aufgegebenen DDR-Tagebaue kostete bisher fast 13 Milliarden Euro. Auch für die Rekultivierung der nach 1990 privatisierten Gruben werden mehrere Milliarden Euro veranschlagt.

Das Ergebnis ist eine Landschaft voller neuer Möglichkeiten. Aus dem Tagebau Cottbus-Nord entstand etwa der größte künstliche See Deutschlands mit einer Wasserfläche von knapp 19 Quadratkilometern. Und südlich von Leipzig ist auf einem vormaligen Kippengelände der riesige Vergnügungspark „Belantis“ entstanden, mit Achterbahn und Wildwasserfahrt.

Der komplexe Prozess, der alte Kohlegruben in Lebensraum und Wirtschaftsflächen transformiert, ist rechtlich streng geregelt. Und er ist ebenso durchorganisiert wie der Tagebaubetrieb. Auf dem Wolkenberg zeigt Förster Siwik Richtung Süden, wo hinter Weinreben, Bäumen und Feldrainen die Mondlandschaft des Tagebaus Welzow-Süd beginnt. Aus der Grube ragt wie ein stählerner Dinosaurier die etwa 500 Meter lange Förderbrücke. Parallel zur Rekultivierung legt das Ungetüm noch immer bis zu 20 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr frei.

Ein Band transportiert den Abraum auf die andere Seite des Tagebaus, wo ihn ein Absetzer aufbringt, bevor die Planierraupen anrollen. Zuweilen werden noch Sand und Löß angekarrt, dann beginnt das Pflanzen der Bäume. Sieben Jahre dauert es, bis die Felder verpachtet werden können. Wald benötigt doppelt so lange. 

„Das ist unsere Art von Kreislaufwirtschaft“, sagt Siwik. Inzwischen gebe es in seinem Revier mehr Tierarten als früher, vor dem Tagebau. Dass der Konzern dafür kritisiert wird, trotz des anhaltenden Wassermangels immer neue Gruben zu fluten und nur selten auf echte Renaturierung zu setzen, lässt der Förster nicht gelten. „Das ist kein Wunschkonzert“, sagt er. Er sei in der Lausitz geboren und wolle hier noch lange mit seiner Familie bleiben. Aber irgendwie müsse es ökonomisch weitergehen, auch ohne die Braunkohle.

Die Kraftwerke werden ab 2028 abgeschaltet, Jänschwalde ist als Erstes dran. Bis 2033 soll der Tagebau Welzow-Süd den Betrieb einstellen, bis mit dem Ausstieg 2038 auch das Werk Schwarze Pumpe vom Netz geht. 

Und dann? Das fragt sich auch Gudrun Jentsch. Sie lebt in Welzow, dem längst zusammengeschrumpften Bergbaustädtchen auf der anderen Seite der Grube. „Wir haben hier alle von der Kohle gelebt“, sagt sie, ihre Großeltern, ihre Eltern, sie und ihr Mann, der als Sprenger gearbeitet hat. „Und was bleibt uns jetzt?“

Gudrun Jentsch führt das einzige Hotel der Stadt, lange saß sie für die Linke im Stadtrat. In ihren 68 Jahren hat sie viel miterlebt. Die schwarze Asche in der Luft. Das Abbaggern von Wolkenberg und anderer Dörfer. Die Massenentlassungen nach 1990. Damals, erzählt sie, habe eine ganze Generation die Stadt verlassen – das könnte sich jetzt wiederholen. Die von der Bundesregierung versprochenen Fördermilliarden, die den Strukturwandel abfedern sollen, seien in Welzow bisher kaum angekommen.

Aber was ist mit der rekultivierten Landschaft, der schönen neuen Welt? Sie finde sie „wirklich toll“, sagt Gudrun Jentsch, aber der Zweifel schwingt in ihrer Antwort mit. Ob sich die touristischen Hoffnungen tatsächlich erfüllten, das wolle sie erst sehen. Und von der Forst- und Agrarwirtschaft werde die einstige Braunkohleregion kaum leben können. Nötig seien Ansiedlungen, sagt sie. Und gut bezahlte Arbeitsplätze. „Sonst geht hier in einigen Jahren das Licht aus.“

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