Migration: Polen beginnt Grenzkontrollen – und nun?

Im Schengenraum gibt es keine Schlagbäume und Grenzposten mehr – eigentlich. Aber seit zwei Jahren kontrolliert Deutschland an den Ostgrenzen. Nun reagiert Polen. Was für Folgen hat das?

Wer von Polen nach Deutschland einreist, muss sich schon seit Oktober 2023 auf deutsche Grenzkontrollen einstellen. Die Bundesregierung will damit irreguläre Migration eindämmen. Die Folge sind oft lange Staus auf polnischer Seite. 

Jetzt reagiert Polen. Von diesem Montag an sollen zunächst bis 5. August auch Reisende, Pendler und Laster in die Gegenrichtung kontrolliert werden, also auf polnischer Seite. Es ist eine weitreichende Entscheidung mit nicht ganz absehbaren Folgen.

Was bedeuten die Grenzkontrollen für Reisende aus Deutschland

Die Menschen müssen sich auf Wartezeiten vor der polnischen Grenze einstellen. Die Kontrollen sollen stichprobenartig vor allem Busse, Kleinbusse und Pkw mit vielen Insassen betreffen, wie Konrad Szwed vom polnischen Grenzschutz der Nachrichtenagentur PAP sagte. „Auch Fahrzeuge mit getönten Scheiben werden im Fokus stehen.“ Es werde keine Schlagbäume oder Absperrungen geben. Allerdings würden vor den Kontrollpunkten entweder die Fahrbahnen verengt oder Schilder zur Verlangsamung des Verkehrs aufgestellt. 

An den Einreiseregeln selbst ändert sich aber nichts. Polen ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union und seit 2007 auch Teil des Schengenraums, der eigentlich unbegrenzte Reisefreiheit verspricht. Für das Reisen reicht also der Personalausweis, einen Pass braucht man nicht.

Was bedeuten sie für Pendler und den kleinen Grenzverkehr?

Vor allem für Pendlerinnen und Pendler seien die deutschen Kontrollen schon länger eine Belastung – und nun kämen auch noch die auf polnischer Seite dazu, klagt Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD). „Lange Wartezeiten, Planungsunsicherheit und gestörter Warenverkehr schaden am Ende allen Beteiligten.“ Der Sprecher von Polens Grenzschutz sagte dazu, die Beamten würden sich bemühen, Berufspendler aus den grenznahen Gebieten ohne große Verzögerungen durchzulassen. 

Allein nach Sachsen pendeln täglich 13.000 Menschen aus Polen. In Brandenburg sind es nach Angaben der Industrie- und Handelskammern täglich mehr als 14.000. Im Grenzgebiet fahren zudem viele Menschen aus Deutschland zum Tanken oder Einkaufen nach Polen, wo günstige Preise locken. Mit beidseitigen Kontrollen befürchtet Brandenburgs Innenminister René Wilke „mögliche Verkehrskollapse“. Hunderttausende seien betroffen.

Wie kam es eigentlich dazu?

Deutschland begann mit den Kontrollen 2023, um Migranten ohne die nötigen Papiere die Einreise zu verwehren. Mit Start der neuen Bundesregierung Anfang Mai wurden die Regeln verschärft: Abgewiesen werden können nun – anders als zuvor – auch Menschen, die ein Asylbegehren äußern. 

Die vorläufige Bilanz der Bundespolizei: Seit 8. Mai wurden an allen deutschen Landgrenzen 7.960 unerlaubte Einreisen registriert und 6.193 Menschen unmittelbar zurückgewiesen oder zurückgeschoben (Stand 1. Juli). Darunter waren 285 Menschen, die ein Asylbegehren geäußert hatten. Allein an der deutsch-polnischen Grenze gab es laut Innenministerium rund 1.300 Zurückweisungen, in jedem zehnten Fall wurde ein Asylgesuch geäußert.

Warum reagiert Polen jetzt? 

Das hat vor allem innenpolitische Gründe. Die Zurückweisungen aus Deutschland sind ein Reizthema für viele Polen. Die rechtskonservative Oppositionspartei PiS greift das auf, um antideutsche Ressentiments mit dem Schüren der Angst vor Migranten zu verbinden. Vertreter der PiS werfen der proeuropäischen Regierung von Donald Tusk vor, sie akzeptiere von Deutschland bereitwillig eine große Zahl von Migranten und habe keine Kontrolle über die Situation an der Grenze. Die PiS, deren Kandidat Karol Nawrocki kürzlich die Präsidentenwahl gewann, hofft auf eine Rückkehr an die Macht. Sie hatte den Druck auf Tusk erhöht, bis sich dieser zu Einführung der Grenzkontrollen entschied. 

Wer steckt hinter den polnischen Bürgerwehren an der Grenze?

Seit einiger Zeit organisieren polnische Rechtsextreme Patrouillen, die an den Grenzübergängen eigenmächtig Fahrzeuge anhalten, Passanten nach Dokumenten fragen und nach Migranten fahnden. Hinter der „Bewegung zur Verteidigung der Grenzen“ steht der in Polen bekannte Rechtsradikale Robert Bakiewicz, der jährlich rechte Aufmärsche zum polnischen Unabhängigkeitstag in Warschau organisiert. Der Regierung in Warschau sind diese Gruppierungen ein Dorn im Auge. Innenminister Tomasz Siemoniak hat angekündigt, dass Fälle von Amtsanmaßung und Beamtenbeleidigung konsequent bestraft werden. 

Werden jetzt Asylbewerber hin und her geschickt? 

Das befürchtet die Gewerkschaft der Polizei. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) dagegen ist überzeugt, ein solches „Pingpong-Spiel“ werde es nicht geben. Er betont die gute Zusammenarbeit zwischen der Bundespolizei und den polnischen Grenzschützern. 

Unstimmigkeiten sind – so hört man aus der Praxis – tatsächlich selten. Kurz nach dem Beginn der verschärften Grenzkontrollen im Mai verweigerte Polen die Einreise von zwei afghanischen Männern, die bei Guben unerlaubt nach Brandenburg eingereist waren und sagten, sie wollten Asyl beantragen. Sie wurden daraufhin zur Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt gebracht. 

Was sagt die Wirtschaft dazu? 

Die Industrie- und Handelskammern in Brandenburg sprechen von einer Eskalation und schlagen Alarm. Polen sei Brandenburgs wichtigster Außenhandelspartner: 2024 seien Exporte für 4,1 Milliarden Euro aus dem Bundesland zu den östlichen Nachbarn gegangen und Waren für 4,5 Milliarden Euro in die Gegenrichtung. 

Aber Brandenburg, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern sind öfter noch Durchgangsstation für den Warenverkehr mit Osteuropa. Nach Angaben des Logistikverbands BGL verzeichnet die Mautstatistik 2024 gut 9,7 Millionen Ein- und Ausfahrten mautpflichtiger Lkw an den deutsch-polnischen Grenzübergängen. Mit Staus drohten Einbußen, warnt die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg. Hemmnisse in Europa und Verzögerungen beim Grenzübertritt wirkten sich auf den gesamten EU-Wirtschaftsraum aus, ergänzen die Industrie- und Handelskammern. 

Auch polnische Transportunternehmer sind in Sorge. Die Unternehmen würden in großem Maße Produktionslinien in Fabriken in Westeuropa mit in Polen herstellten Komponenten bedienen, sagte Jan Buczek, Vorsitzender des polnischen Verbandes der internationalen Transportunternehmen, der Zeitung „Dziennik Gazeta Prawna“. Die Ware müsse pünktlich geliefert werden, bei Verzögerungen drohten Strafen für den Hersteller und den Lieferanten. Er befürchte, dass die polnische Seite hundertprozentige Kontrollen durchführen wird, was auf dem Rückweg zu einer Blockade von mehreren Stunden oder sogar mehreren Tagen führen könne. 

Ist die grenzenlose Reisefreiheit in Europa am Ende? 

Nein, aber kontrolliert wird inzwischen wieder vielerorts im Schengen-Raum – obwohl dies eigentlich eine befristete Ausnahme sein sollte. Die frühere Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) führte im Oktober 2023 die Kontrollen an den Ostgrenzen ein und ab September 2024 dann an allen deutschen Landgrenzen. 

Österreich kontrolliert an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien. Auch Frankreich, die Niederlande und Slowenien machen von der Möglichkeit Gebrauch. Meist wird dies mit zu viel irregulärer Migration begründet. Zum Teil spielen aber auch Sicherheitsfragen eine Rolle, wie etwa in Frankreich, das auch terroristische Bedrohungen zur Begründung anführt.

Wie lange wird das andauern?

Die polnischen Kontrollen sind zunächst befristet bis 5. August. Aber wann sich die Lage insgesamt normalisiert, ist nicht abzusehen. Es hängt unter anderem davon ab, wie sich die Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in der Praxis bewähren. Sie sollen ab Mitte Juni 2026 gelten. Die Reform sieht vor, dass Schutzsuchende künftig an den EU-Außengrenzen registriert werden, inklusive Identitätsfeststellung und biometrischer Daten. Für Menschen aus Staaten mit niedriger Anerkennungsquote soll es beschleunigte Asylverfahren an den Außengrenzen geben.

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