Meinung: Handyverbot an Schulen? Nehmt erst mal den Eltern das Handy weg!

Für Schüler werden Handyverbote gefordert, während Mama und Papa am Elternabend heimlich Whatsapp checken. stern-Autor Hannes Roß über unsere digitale Heuchelei.

Man muss heutzutage vorsichtig sein mit pauschalen Urteilen. Aber hier kommt eins: Wenn es um das Dauerbrennerthema „Wie Smartphones und Social Media unsere Kinder kaputt machen“ geht, ist ein Perspektivwechsel dringend nötig. Fangen wir doch erst einmal bei den Eltern an – bevor wir die Kinder retten wollen.

Man erlebt es auf Elternabenden: Da halten Väter oder Mütter emotionale Impulsreferate darüber, wie Instagram ihren Töchtern falsche Schönheitsideale propagiere. Andere klagen darüber, dass ihr Sohn nicht mehr sein Zimmer verlässt, weil er rund um die Uhr Fortnite zockt. Nach diesen Selbstoffenbarungen werden unter den viel zu kleinen Schülertischen, an denen die Eltern im Klassenzimmer hocken, erst einmal still und heimlich die zuletzt eingetroffenen Whatsapp-Nachrichten mit Lach-Emojis kommentiert.

Handyverbot? Eltern kommen selbst nicht vom Smartphone los

Manchmal bin ich schwer beeindruckt: Ich habe mal eine Mutter erlebt, die etwas schaffte, woran ich seit Jahren scheitere. Während sie sich diskret mit dem Handy im Schoß durchs Internet swipte, schaute sie gleichzeitig nach vorn, als lausche sie ganz aufmerksam dem Vortrag. Ich habe das schon ein paar Mal in Redaktionskonferenzen probiert – und bin jedes Mal aufgeflogen.

Ich habe es ja selbst nicht im Griff. Neulich habe ich mal mein Handy zu Hause liegen lassen – was mir aber erst in der S-Bahn auffiel. Panisch klopfte ich mich ab, durchwühlte meine Tasche. Die Fahrt dauert 40 Minuten, sie fühlte sich an wie die längste Fahrt meines bisherigen Lebens. Ich war umzingelt von Erwachsenen, erziehungsberechtigten Berufspendlern, die alle damit beschäftigt waren, auf ihre Handys zu starren. Ich fühlte mich plötzlich sehr einsam. Es ist kaum zu ertragen. In solchen Fällen hilft eigentlich nur eines: selbst das Handy aus der Tasche zu ziehen.

Die Aufmerksamkeitsspanne von Schülern ist oft nicht länger als ein Instagram-Reel

Und dann kommt sie wieder, die Generalforderung, mit der sich Verantwortung so elegant wie bequem outsourcen lässt: Handyverbot in der Schule! Die Lehrer sollen regeln, was die Eltern selbst nicht zu Hause hinkriegen. Sie sollen auch erklären, warum Pascal oder Anna-Lena plötzlich so schlecht in der Schule sind und sich nur noch so lange konzentrieren können, wie ein Instagram-Reel dauert.

Die Kinder sollen Selbstkontrolle lernen – aber von wem eigentlich? Von Erwachsenen, die beim Abendessen aufs Handy starren, als suchten sie dort den Sinn des Lebens. Oder wenigstens ein Rezept für vegane Bolognese.

Steve Jobs, der Erfinder des iPhones, hielt seine Kinder davon fern

Dass dieses kleine Gerät, das unser Leben so bereichert und gleichzeitig beschränkt, ein enormes Suchtpotenzial hat, ist kein Geheimnis. Das wusste sogar der Erfinder. Steve Jobs, der legendäre Apple-Chef und Vater des iPhones, war viel konsequenter als die meisten Eltern. Jobs ließ seine Kinder so gut wie gar nicht in die Nähe von iPhone und iPad – weil er wusste, dass am Ende nicht der Nutzer, sondern das Endgerät die Kontrolle übernimmt.

Was viele ja nicht wissen – oder lieber verdrängen: Erwachsene in Deutschland verbringen im Schnitt 2,5 Stunden täglich am Smartphone. Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren nutzen das Smartphone ähnlich lang, die älteren Jugendlichen sogar über drei Stunden täglich. Fast die Hälfte gibt an, ihre Eltern seien zumindest manchmal vom Smartphone abgelenkt, wenn sie mit ihnen zu sprechen versuchen. Dabei hält sich die große Mehrheit der Mütter und Väter für mustergültige Mediennutzer, nur drei Prozent sehen sich als wirklich schlechtes Vorbild.

Und manchmal wird’s tragisch: In Hamburg sind in den vergangenen Jahren mehrfach Kinder beinahe im Schwimmbad ertrunken – weil Eltern vom Handy abgelenkt waren. Einige Bäder denken inzwischen ernsthaft über Handyverbote nach – für die Eltern wohlgemerkt, nicht für die Kinder. Bundesweit haben Schwimmbäder bereits Hausverbote gegen „Handy-Eltern“ ausgesprochen.

Dabei geht’s auch anders – ganz ohne Strafen oder Kontrollwahn. Studien zeigen, dass Familien, die bewusst handyfreie Zeiten einführen, die problematische Mediennutzung ihrer Kinder deutlich reduzieren können – durch Nachahmung und gemeinsame Regeln.

Benutzen wir das Handy – oder benutzt es uns?

Und ja, ich verstehe die Ohnmacht vieler. Auch ich muss mich beim Schreiben dieses Textes immer wieder daran hindern, alle paar Minuten nach dem auf dem Schreibtisch liegenden Handy zu greifen. Dieses kleine Gerät, das wir alle ständig mit uns herumtragen, kann vieles: Es verbindet, informiert, unterhält uns und zeigt uns den Weg zurück nach Hause – aber ebenso verführt es uns, lenkt ab, manipuliert und belügt uns. Die Frage ist: Benutzen wir das Handy – oder benutzt es uns?

Weil das alles so unangenehm ist, wünschen wir uns einfache Lösungen. Mark Zuckerberg, der Chef von Facebook und Instagram, soll seine Angebote jugendfreundlicher machen. Ich weiß nicht, wie oft ich schon den verzweifelten Appell gehört habe: Wir müssen die Techkonzerne in die Verantwortung nehmen. Ja, ja, schöne Sonntagsreden. Als ob diese Milliardäre irgendein Interesse daran hätten, ihr extrem erfolgreiches, süchtig machendes Geschäftsmodell – das allein auf Gewinnmaximierung ausgelegt ist – zu verändern, nur damit wir nachts besser schlafen und unsere Kinder währenddessen unbeaufsichtigt durchs Internet spazieren können.

Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich bin dafür, dass wir die Techkonzerne so hart, wie es die Gesetze zulassen, in die Verantwortung nehmen – für Hassrede, Desinformation und Manipulation, die sie verbreiten. Nur mache ich mir da nicht allzu große Hoffnungen auf eine echte Verbesserung. Wir reden schon zu lange darüber, ohne dass sich etwas verändert hätte.

Wenn wir wollen, dass unsere Kinder klug und bewusst mit digitalen Medien umgehen, dann müssen wir ihnen das zeigen. Nicht durch Verbote, sondern durch Haltung. Durch Vorleben. Durch einen selbstbestimmten Umgang.

Handyverbot an Schulen? Von mir aus. Aber vielleicht sollten wir erst einmal lernen, beim Frühstück zehn Minuten lang nicht aufs Smartphone zu schauen. Das wäre schon ein Anfang – für uns alle.

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