Die Sozialdemokratin ist über Parteigrenzen hinaus beliebt. Vor einem Jahr trat sie als Ministerpräsidentin zurück, weil ihr die Kraft für das Amt ausging. Ihr Leben hat sich seither stark verändert.
Ein Jahr nach ihrem Rücktritt aus der Politik genießt Malu Dreyer ihr Leben nach dem großen Stress – mit Kaffee am Morgen, spontanen Treffen mit Freunden und Sport. Nachzuholen habe sie nichts, sagt die 64-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Klare Prioritäten für den neuen Lebensabschnitt nennt sie aber sehr wohl.
„Es ist einfach schön, jetzt ein Leben zu führen ohne Druck“, sagt die Wahl-Triererin. Den hatte die in Neustadt an der Weinstraße geborene Dreyer über viele Jahre, als rheinland-pfälzische Sozialministerin von 2002 bis 2013, als kommissarische Bundesvorsitzende der SPD 2019 und vor allem elf Jahre lang von 2013 bis 2024 an der Spitze der Landesregierung.
Den selbstgewählten Schritt aus dem Rampenlicht hatte sie damit begründet, dass ihr die Kraft für das Amt ausgehe. „Meine Akkus laden sich nicht mehr so schnell auf.“
„Will kaum einen Tag missen“
„Natürlich habe ich mein Amt unheimlich gerne ausgefüllt, ich will auch kaum einen Tag missen“, sagt sie mit Blick auf ihre Zeit in der Mainzer Staatskanzlei. Nichtsdestotrotz sei der vergangene Sommer der richtige Moment gewesen für ihren Abschied. Das sage sie auch, weil nach ihrer Einschätzung die Landespolitik mit ihrem Nachfolger Alexander Schweitzer (auch SPD) und der Ampel-Koalition einen guten Weg gehe.
Wichtig sei ihr nach dem Ausscheiden aus dem Amt gewesen, zunächst einmal runterzukommen, auch körperlich, nach zahlreichen durchgetakteten Jahren. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem früheren Trierer Oberbürgermeister Klaus Jensen, mit dem Dreyer seit 2004 verheiratet ist, sei sie drei Wochen in Mecklenburg-Vorpommern gewesen, für eine Ayurveda-Kur.
Genau das habe sie sich gewünscht, um ihrem Körper, ihrem Geist und ihrer Seele etwas Gutes zu tun, um nicht in ein Loch zu fallen. Sie habe das sehr genossen: Yoga, Meditation, Öl-Massagen. „Und es war der Liebesbeweis meines Mannes“, sagt Dreyer schmunzelnd. „Er hasst nämlich eigentlich Öl auf dem Körper.“
Qigong oder einfach nur ein Kaffee am Morgen
Fast genau zwölf Monate nach ihrem Abschied und der Wahl Schweitzers zu ihrem Nachfolger am 10. Juli 2024 sagt sie, vollgepackte Tage fehlten ihr so gar nicht. „Jetzt kann und darf ich sagen: Leben ohne Druck hat wirklich eine besondere Qualität“, erzählt Dreyer in sommerlich blauer Bluse und Sportschuhen.
„Ich genieße es total, einfach mal so lange schlafen zu können, wie ich möchte“, sagt die Ex-Politikerin. Sie könne sich spontan mit Freunden treffen, einfach eine Stunde länger bleiben, kurzfristig ins Kino oder Theater.
Grundsätzlich sei sie ein Morgenmensch, könne sich in ihrem neuen Leben aber morgens eine gewisse Gemütlichkeit erlauben. Oft setze sie sich mit einem Kaffee auf eine Bank vor die Tür ihrer Wohnung im Schammatdorf, einem inklusiven und generationenübergreifenden Wohnprojekt in Trier, das der Lebensmittelpunkt von Dreyer und ihrem Mann schon seit Jahren ist. Sie quatsche dann mit Nachbarn, sagt sie, gehe mal zur Physiotherapie oder zum Qigong in einem Hof des Wohnprojekts.
Mit den Gladiators in die Basketball-Bundesliga
Sehr gerne schaue sie sich Basketballspiele der Gladiators Trier an, seit ihrem Rücktritt habe sie eine Dauerkarte. Den Aufstieg in die Bundesliga habe sie eng begleitet, sei bei den Playoffs ständig in der Halle gewesen. „Man muss sich vorstellen, dass jetzt so Mannschaften wie Bayern und Alba Berlin wieder nach Trier kommen“, sagt sie. „Das ist schon richtig toll.“
„Ich bin ein ganz großer Sportfan“, erzählt Dreyer, die an Multipler Sklerose erkrankt ist und immer wieder auch mal ins Fußballstadion geht – zuletzt bei Mainz 05. In ihrer Freizeit spiele Sport auch eine große Rolle. „Ich mache jetzt viel mehr für meine Gesundheit.“
„Die Hauptherausforderung in meinem Privatleben ist jetzt die Mobilität.“ Als Ministerpräsidenten habe sie immer Menschen um sich gehabt, die geholfen hätten. „Das hat sich verändert, aber ich schaffe das ganz gut.“ Mal sei sie mit ihrem „Silberpfeil“ unterwegs, einem silbernen Gehwagen, der schon auf Dienstreisen in Ruanda, Berlin oder im Ahrtal mit dabei war, mal nimmt sie Stöcke mit, etwa wenn sie Bus und Bahn fährt.
Neue Herausforderungen
Ungewohnt sei gewesen, das erste Mal wieder alleine im Auto von Trier nach Mainz zu fahren, wo sie und ihr Mann eine Zweitwohnung und Freunde haben. Unzählige Male sei sie die Strecke gefahren, aber im Dienstwagen mit Fahrer. Nun sitzt sie wieder selbst am Steuer und findet Gefallen daran. „Es ist auch ein schönes Gefühl, einfach die Freiheit zu haben und nicht im Auto arbeiten zu müssen.“
Sich um Organisatorisches wieder komplett selbst kümmern zu müssen, sei ebenfalls eine Umstellung gewesen. An alle Termine zu denken, nichts zu verpassen, könne durchaus eine Herausforderung sein. Und untätig ist Dreyer nicht. Etwa zwei Tage pro Woche seien mit Arbeit fest ausgefüllt.
Dreyer ist noch Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrats und – als Person gewählt – im Senat der Max-Planck-Gesellschaft. Auch in der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft engagiert sie sich.
Viele Anfragen lehne sie ab, vor allem, wenn es um die Verlängerung einer Tätigkeit gehe, die sie so ähnlich als Ministerpräsidentin gemacht habe, berichtet Dreyer. Sie diskutiere aber gerne mit Studierenden und sei auch gerne mit jungen Frauen im Austausch und berichte von ihren Erfahrungen.
„Das Leben schreibt auch eigene Pläne“
Ein neuer Schwerpunkt ist die gemeinsame Arbeit mit ihrem Mann in der nach ihm benannten Klaus Jensen Stiftung. „Wir wollten schon immer mal Dinge zusammen machen.“ Derzeit arbeiteten sie zusammen mit Wissenschaftlern und Praktikern an einem parteipolitisch neutralen Konzept zur Demokratieförderung und Vernetzung, möglicherweise auf der Ebene von Dorfgesprächen.
Die Landes- und Bundespolitik sowie die internationale Politik beobachtet Dreyer nach wie vor mit großem Interesse und mit Sorge, was die Kriege, den wachsenden Antisemitismus und das Erstarken des Rechtsextremismus angehe.
Sie sei aber froh, dass sie nicht mehr innerhalb von einer halben Stunde nach einem Ereignis sprechfähig sein müsse. „Ich kann das auch erst zwei Stunden später erfahren und ich kann mir sogar erlauben, erst drei Tage später eine Meinung dazu zu haben“, sagt Dreyer.
Eine Liste an Reisen und Aktivitäten, die sie noch unbedingt machen wolle, gebe es nicht, sagt Dreyer. „Man hat Pläne und das Leben schreibt dann trotzdem andere Pläne“, sagt sie. „Die Priorität ist im Moment ganz klar bei den Menschen, die mich brauchen im privaten Umfeld.“