Serie: stern-Legenden: Franz Beckenbauer – der letzte Kaiser

Weltmeister und Weltbürger: Franz Beckenbauer holte den Fußball in die Mitte der Gesellschaft. Und symbolisierte wie kaum ein anderer den Zeitenlauf der Bundesrepublik

Es gibt verschiedene Versionen, wie Franz Beckenbauer zu dem Namen Kaiser kam. Die gängigste geht so, dass er nach einem Freundschaftsspiel Anfang der 70er Jahre bei Austria Wien vom Fotografen Herbert Sündhofer neben eine Büste des Habsburger Kaisers Franz I. gestellt wurde. Beckenbauer in weißem Hemd und mit schräg gemustertem Sakko, fortan: Kaiser Franz, auch wenn seine Haus- und Hofpostille „Bild“ für sich reklamierte, sie habe den Titel erfunden. Ihm war’s wurscht. Er war der Kaiser.

Beckenbauer zerlegte mit sagenhafter Lässigkeit das Klischee des stets wackeren, aber selten virtuosen deutschen Fußballspielers. Teutonische Fußball-Ikonen waren eher kumpelige Typen wie Fritz Walter oder Uwe Seeler. Die rackerten und ihr Leben lang für einen Verein kickten und in bescheidenen Häusern mit Ziergarten lebten. Doch Beckenbauer war anders. Er spielte intuitiv. Und lebte intuitiv. Er war seiner Zeit voraus. Lief aufrecht, kerzengerade, den Blick nur selten auf den Ball gerichtet. Schlenzte Pässe aus dem Fußgelenk, so schön, so präzise und scheinbar mühelos. Er erhob Fußball in den Status der Kunst. Sein Spiel roch nie nach Schweiß und Arbeit.

„Er war mehr Brasilianer als Deutscher“

Das war neu und revolutionär. Zumindest in Deutschland. Pelé, sein Freund und späterer Mitspieler bei New York Cosmos, sagte über ihn, im Spiel habe ihn vor allem die Intelligenz ausgezeichnet. Und: „Er war mehr Brasilianer als Deutscher.“ Auf dem Platz mochte das stimmen. Andererseits: Franz Beckenbauer, geboren nur Monate nach Kriegsende, aufgewachsen in einer Münchner Arbeitergegend, war wie die Bundesrepublik. Er symbolisierte den Zeitenlauf der Bonner Republik. Die Bescheidenheit und Spießigkeit der Nachkriegsära, hernach das Wirtschaftswunderland, den Hedonismus der späten 60er- und der 70er-Jahre, den schnellen Wohlstand, aber auch die Gier.

Beckenbauer machte Werbung, sein Spot für Knorr-Suppen („Schmeckt prrima und so richtig krräftig, müssen Sie probieren!“) ist heute noch ein Youtube-Hit. Er sang („Gute Freunde kann niemand trennen“), und selbst dieser peinliche Tonträger schaffte es in die Charts und stand zeitweise vor den Beatles. Mit 29 Jahren erschien seine Autobiografie, „Einer wie ich“ – und wurde ein Bestseller. Beckenbauer war in den 60er- und 70er-Jahren und dann auch wieder in den 90er-Jahren omnipräsent in Medien und Werbung.

Er professionalisierte den Sport und war Wegbereiter für folgende Generationen. „Franz hat den Fußball salonfähig gemacht“, sagte sein früherer Mitspieler Karl-Heinz Rummenigge einmal. Beckenbauer hatte tatsächlich großen Anteil daran, dass sich erst die Wahrnehmung des Fußballs und dann der Fußball selbst verschob – vom Sport des Proletariats in die Mitte der Gesellschaft. Und in seinem Fall bis in die Schickeria. Er besuchte den Wiener Opernball und war auch auf dem Hügel in Bayreuth zu sehen, residierte in einer Villa in Grünwald, feinstes Dekor, beste Stoffe, manchmal wurden da Lesungen gegeben. Ließ sich in Frack und Zylinder fotografieren, wie er mit dem Ball jonglierte. Denn das konnte er immer noch am besten: Fußball.

Eine bis dahin unbekannte Bitternis umwehte ihn 

Doch auch Lichtgestalten haben Schattenseiten. Franz Beckenbauer hatte früh Probleme mit der Steuer, auch deshalb ging er nach New York. Er verzettelte sich immer wieder. Und duckte sich bei den Anwürfen wegen der Mauscheleien rund um die WM-Vergaben 2006 und 2010 – Ermittlungen der Schweizer Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts auf Betrug, Geldwäscherei und Veruntreuung. Bis zum Ende kränkte ihn, dass die Vorwürfe nicht weggehen wollten und an ihm klebten. Das Sommermärchen war zwar noch ein Sommermärchen, etikettiert jedoch mit einem „Ja, aber …“. Eine bis dahin unbekannte Bitternis umwehte ihn hernach, die in dem Satz kulminierte, er habe seinen Landsleuten mit der WM „die größte gesellschaftliche Veränderung der Nachkriegszeit gebracht“. Er fühlte sich missverstanden und nicht ausreichend gewürdigt. Enttäuschte Liebe und tiefer Schmerz darüber. Auch aus diesem Grund zog er sich zurück.

Am Ende war es ruhig um Franz Beckenbauer, den Kaiser, den besten deutschen Spieler aller Zeiten. Der Körper wollte nicht mehr. Das Herz schwächelte, er bekam eine künstliche Hüfte, litt unter einem Augeninfarkt. Er konnte auf dem rechten Auge kaum noch sehen. Das Gesicht, strahlend einst, leuchtete nicht mehr; seine Stimme war brüchig, der Schopf kahl. Er wurde 78 Jahre alt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert