Die „Wolkenfabrik“: Ein Kleinstadtleben im Schatten der Schornsteine

Saint John im Nordosten Kanadas leidet unter dem Industriemonopol einer Familie, die alles kontrolliert. Fotograf Chris Donovan gibt den Bewohnern eine Stimme.

Als er ein kleines Kind war, habe er in den Himmel auf die Abgase aus den vielen Schornsteinen seiner Heimat geblickt und gefragt, ob die Fabriken die Wolken machen würden, berichtet Chris Donovan.

„Nein“, habe sein Vater geantwortet. „Sie machen Geld.“ 

Es ist eine typische Erfahrung in Saint John im kanadischen Bundesstaat New Brunswick, die der Fotograf schildert. Einer Industriestadt, in der sich die größte Ölraffinerie des Landes befindet und in der eine der reichsten Familien des Landes lebt. Gleichzeitig befindet sich dort aber auch eines der ärmsten Viertel des Landes mit einer Kinderarmutsquote von etwa 50 Prozent.

Chris Donovan ist Dokumentarfotograf, Künstler und Pädagoge. Er lebt in Saint John, wo er auch aufgewachsen ist. Zunächst arbeitete er als Fotograf bei der Zeitung „Telegraph-Journal“, die er seit seiner Kindheit gelesen hatte. Heute arbeitet er an langfristigen Fotoprojekten, die sich mit Fragen der Klassen- und Umweltgerechtigkeit befassen. Mit seinem Projekt „Cloud Factory“ reflektiert er die Ungerechtigkeiten in einer Stadt, in der die milliardenschwere Familie Irving zu Hause ist und die Stadt mit ihren Fabriken und ihrem Konglomerat wie keine andere prägt.

Familie Irving beeinflusst Wirtschaft und Medien in Saint John

Die Familie Irving hat die lokale Wirtschaft monopolisiert und bis 2022 alle englischsprachigen Zeitungen der Provinz besessen. Dadurch entstand eine Kultur der Zensur, die es der Ölindustrie ermöglichte, ihren Einfluss auf die Gemeinde über Jahrzehnte hinweg zu festigen. Donovan erkannte schnell das Ausmaß der Zensur bei seiner Zeitung, die damals von Brunswick News Inc., einem Unternehmen der Irving-Familie, herausgegeben wurde.

Lisa Crandall und ihrer Familie leben im Stadtteil Bayside in der Nähe der Raffinerie. Im Jahr 2018 traten aus einer rund 200 Meter von ihrem Haus entfernten Pipeline mindestens 30.000 Liter Butan aus, die über einen Zeitraum von 17 Stunden in ihre Nachbarschaft strömten. Nach dem Vorfall und der öffentlichen Empörung kaufte Irving Oil Berichten zufolge einige der von den Evakuierungen betroffenen Häuser zu Preisen zwischen 80.000 und 110.000 Dollar. Lisas Haus wurde jedoch nicht gekauft. Seitdem lebt ihre Familie in Angst vor weiteren Katastrophen, kann sich einen Umzug aber nicht leisten.

In Gesprächen mit den Betroffenen stieß Donovan auf eine Kultur der Angst unter der überwiegend verarmten Bevölkerung. Diese fürchtete Vergeltungsmaßnahmen, wenn sie sich zu der Umweltkatastrophe äußerte.

„Cloud Factory“ ist Protest und eine Liebeserklärung

Als Donovan im Jahr 2014 begann, die Stadt und ihre Bewohner zu fotografieren, um der Nähe von extremem Reichtum und Armut auf den Grund zu gehen, wurde ihm die Realität des Umweltklassismus und der ökologischen Ungerechtigkeiten in der Stadt zunehmend bewusst. „Durch das Fotografieren von Umweltungerechtigkeit und das Reflektieren meiner eigenen Kindheit untersuche ich, wie Identität in einer Gemeinschaft entsteht, die für ihr Überleben von einer schädlichen Industrie abhängig ist“, erklärt Donovan. Er hatte nicht gezielt nach einer Verbindung zur monopolisierten Industrie der Region gesucht, aber genau das fand er – eine zensierte Umweltberichterstattung, die die Gemeinde seit Jahrzehnten fest im Griff hatte.

„‚Cloud Factory‘ ist mein Protest. Dieses Buch ist meine Weigerung, zu Umweltklassismus und den Verbrechen der herrschenden Klasse zu schweigen. Es ist auch mein Liebesbrief an die Stadt Saint John, eine magische Stadt, die trotz ihrer Schwierigkeiten meiner festen Überzeugung nach voller Schönheit, Hoffnung, Ausdauer, Wahrheit und Liebe ist.“

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