morgen|stern: Das könnte Trumps „Veni, vidi, vici“-Moment sein. Die Lage am Morgen

Trump triumphiert – unter Vorbehalt. Venedig wehrt sich gegen zu viel Geld. Eine letzte Chance auf Hochgenuss. Und was sonst heute noch wichtig wird.

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ich bin gerade in einer sehr unangenehmen Situation. Ich muss etwas tun, was Journalisten zurecht reflexartig vermeiden: Ich verlasse mich auf Donald Trumps Wort.  

Denn, dass Israel und der Iran den gegenseitigen Beschuss nicht nur schrittweise einstellen, sondern den Krieg als solchen binnen 24 Stunden gänzlich beenden werden, ist erst einmal nur die kühne Behauptung des US-Präsidenten. Stand 6 Uhr morgens deutscher Zeit hat zwar Teheran, nicht aber Jerusalem den Deal bestätigt.

Weil es für diese Zurückhaltung gute Gründe gibt und Trump Fake News in der Regel nur zum eigenen Vorteil streut: Gehen wir einmal davon aus, dass es stimmt. Dass dieses Eskalationskapitel im Nahen Osten wirklich als „Zwölftageskrieg“ in die Geschichte eingeht. 

Auch, wenn Irans Oberster Führer Ali Chamenei noch vor wenigen Stunden gewohnt großspurig das Gegenteil twitterte, hieße das: Das Mullah-Regime gibt auf. Schließlich soll Teheran nicht ohne Grund den Finger zuerst vom Abzug nehmen und Israel erst zwölf Stunden später nachziehen. Aus Siegersicht ist das Symbolpolitik auf Malen-nach-Zahlen-Niveau: Die knicken ein, wir zeigen Gnade.

So froh die Kunde eines Kriegsendes vor Ausbruch des gefürchteten Flächenbrandes auch wäre, bedeutete das auch: Die Mullahs kommen wieder einmal davon. Mit zwei blauen Augen zwar, aber dennoch. Die Gelegenheit zum Demokratieexport wäre damit verflogen. Ob diese beispiellose Demonstration von Schwäche, die sich das Regime damit leisten muss, mittelfristig nicht trotzdem zu dessen Sturz führt oder der Angriff der propagandierten Erzfeinde das iranische Volk stattdessen sogar ihren Unterdrückern näher bringt, das wird sich zeigen.

Für Donald Trump wäre das Ergebnis zweifelsohne ein Triumph – den er gekonnt ausschlachten wird. Vermutlich wird er sinngemäß prahlen: „Seht ihr? Meine INKOMPETENTEN Vorgänger haben unser großartiges Land über Jahrzehnte in SINNLOSE Kriege verwickelt. Ich habe keine DREI TAGE gebraucht“. 

Ein so von sich selbst euphorisierter Trump dürfte nun noch ungesündere Ambitionen entwickeln. Vermutlich beansprucht er wieder einmal den aus seiner Sicht längst überfälligen Friedensnobelpreis. Interessant wird zunächst aber, wie sich sein Siegesrausch auf seinen Auftritt beim heute beginnenden Nato-Gipfel im niederländischen Den Haag auswirkt. Aus seiner Verachtung für die westliche Militärallianz hat er in seiner Paraderolle als Isolationist nie ein Geheimnis gemacht. Doch ein Trump mit Cäsar-Allüren dürfte sich in der Annahme, dass die USA nicht auf Hilfe anderer angewiesen sind, sondern die anderen auf die Hilfe der USA, weiter bestärkt sehen.

Ein neues Wettrüsten, Herr Neitzel?

Nun ist es nicht so, als wüssten die Juniorpartner nicht um die neue Eigenbrötelei ihrer bisherigen Schutzmacht. Als ob es dazu noch einen Beweis bräuchte, wollen sich die Verbündeten auf dem Spitzentreffen in den Niederlanden darauf einigen, künftig fünf Prozent ihres BIP in ihren Verteidigungsetat zu pumpen. Im Fall Deutschlands wären das 220 Milliarden Euro – jedes Jahr.

Hat eine neue Ära des Wettrüstens also längst begonnen? Das hat stern-Politikchef Jan Rosenkranz den renommierten Militärhistoriker Sönke Neitzel in der neuen Folge unseres „5-Minuten-Talk“ gefragt:

Kein Benvenuto für die Bezonis

Sie denken jetzt bestimmt, der Nato-Gipfel wäre das Event der Woche. I wo! Die eigentliche Party steigt rund 940 Kilometer Luftlinie entfernt, in bella Venezia. Auf der vorgelagerten Insel San Giorgio Maggiore startet nämlich heute die dreitägige Hochzeitssause des derzeit drittreichsten Menschen des Planeten. Dass sich Jeff Bezos und seine Braut Lauren Sánchez unter Premium-Zeugen wie Oprah Winfrey, Bill Gates, Kim Kardashian und Leonardo DiCaprio ausgerechnet in der Lagunenstadt das Ja-Wort geben, finden die Venezianer allerdings nicht so bene.

Die Tourismus-gepeinigten Bürger rebellieren, sie ziehen mit Anti-Bezos-Plakaten durch die Straßen, als wollte sich Herzog Amazon zum neuen Dogen aufschwingen. Verständlich. Die Venezianer haben den muso gestrichen voll davon, dass ihre Heimat wieder und wieder als Bühnenbild für die Selbstinszenierung Bessergestellter herhalten muss. 

Zwar zeigen die alsbaldigen Bezosses (Bezonen? Bezonis? Suchen Sie sich Ihren liebsten Plural aus) billiges Verständnis für die Unannehmlichkeiten, die ihre aufgeblasene Fete den Anwohnern beschert. Abblasen aber wollen sie den schönsten Tag ihres Lebens natürlich nicht

Ich frage mich gerade, wohin es die Frischvermählten in den Flitterwochen verschlägt? Wenn es nach den Venezianern ging, am liebsten weit, weit weg. Im Weltall soll es zu dieser Jahreszeit ganz zauberhaft sein.

It’s the Spargel-Countdown!

Falls Ihr schlechtes Gewissen Sie schlecht hat schlafen lassen, kann ich Sie beruhigen: Sie müssen mir nichts zum Namenstag schenken. Ich bin zwar nicht wunsch-, aber alternativlos zufrieden. Und das, obwohl der Johannistag (alles Gute, alter Täufer!) traditionell wenig Anlass zur Freude bietet.

Sie wissen es natürlich, ich erlaube mir den Servicehinweis trotzdem: Am 24. Juni endet wie immer offiziell die Spargelsaison. Also, schalten Sie in den Corona-Modus, räumen Sie die Supermarktregale leer, seien Sie sich selbst der Nächste!

Oder Sie entscheiden sich für meine Bewältigungsstrategie: Ich injiziere mir die Hollandaise fortan intravenös. 

P.S.: Weil Sie es sich bestimmt gefragt haben: Team Grün.

P.P.S.: Ich weiß doch, was Sie eigentlich interessiert:

Was heute sonst noch ansteht

Ja, ist denn schon wieder eine halbe Dekade rum? Scheint so. Schließlich veröffentlicht die EU-Umweltagentur heute ihren alle fünf Jahre erscheinenden Bericht zu Lärm in Europa. Hupen Sie einmal laut, wenn Sie auch so gespannt sind!Alfons Schuhbeck kommt heute aus dem Gefängnis. Also, bloß für ein paar Stunden, er wird wieder vor Gericht erwartet. Die Staatsanwaltschaft wirft dem seit drei Jahren inhaftierten Ex-Fernsehkoch in einem neuen Prozess Insolvenzverschleppung und Betrug in allen Formen und Farben vorIch hatte es bereits mehrfach an dieser Stelle erwähnt, aber heute ist der Tag der Entscheidung: Verbietet das Bundesverwaltungsgericht das rechtsextreme Magazin „Compact“?

Die fernöstliche Weisheit des Tages 

Wir Deutschen lieben es, andere hinzuweisen. Die BRD gilt nicht ohne Grund als das Land der Verkehrsschilder. Doch gegen den Reklamedschungel der Seouler Shoppingadern wirkt die Infodeko am Kamener Kreuz fast schon sträflich dezent.

Zu viele Hinweise und ich weiß nicht weiter

Einkaufsviertel wie Myeong-dong und die Partymeilen von Itaewon und Hongdae sind vermutlich selbst Farbenblinden zu bunt. Die Geschäfte entlang dieser Pilgerwege des Konsums überbieten sich in ihrem Eifer, sich gegenseitig Kunden abzugreifen. Das sieht dann so aus:

Bunte Leuchtreklamen im Ausgehbeezirk Itaewon in Seoul
© Dreamstime / Dudlajzov

Mir helfen die überbordenen Billboards bei der Entscheidungsfindung so gar nicht. Gut, liegt vielleicht daran, dass ich Hangul-Schriftzeichen in etwa so verstehen wie die Welt zurzeit.

Ich wünsche Ihnen einen großartigen Tag – annyeonghi gyeseyo!

Ihr

Yannik Schüller

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