In Hamburg hat die Polizei einen 20-Jährigen verhaftet. Er soll über das Internet ein Kind in den Suizid getrieben haben – und für weitere brutalste Taten verantwortlich sein.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel enthält Beschreibungen schwerster, teils sexualisierter Gewalt – auch an Kindern. Sehen Sie vom Lesen des Textes ab, wenn Sie derartige Themen belasten.
„Abgründe fast unvorstellbarer sexuell motivierter Gewalt“: Hamburgs Polizeipräsident Frank Schnabel zeigt sich erschüttert, als er am Mittwochmorgen vor Journalisten auf einem Podium im Polizeipräsidium sitzt. Er hat geladen, um über „ein bedeutendes Komplexverfahren aus dem Bereich der Cyberkriminalität“ zu informieren, wie es in der Einladung an die Presse heißt.
Was Schnabel, LKA-Chef Jan Hieber und Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich und weitere Ermittler in dem Sitzungssaal berichten, lässt viele fassungslos zurück.
Erschütterung bei Hamburger Ermittlern
Die Behörden haben am Dienstagmorgen nach monatelangen Ermittlungen einen 20-Jährigen in der Wohnung seiner Eltern in der Hansestadt verhaftet. Auch eine Spezialeinheit war an dem Einsatz beteiligt. Dem Deutsch-Iraner werden unter anderem ein Mord und ein versuchter Mord sowie sexueller Missbrauch von Kindern und Vergewaltigung vorgeworfen – mutmaßlich begangen übers Internet. Insgesamt legt die Staatsanwaltschaft ihm mehr als 120 Taten zur Last. Das mutmaßliche Vorgehen des Verdächtigen bei den Taten war demnach so perfide wie grausam. „Ein solches Maß an Verrohung ist mir noch nicht begegnet“, sagt der erfahrene Top-Beamte Schnabel nach dem Ermittlungserfolg.
Bereits ab seinem 16. Lebensjahr soll der Hamburger die Taten begangen haben. Im Internet soll er sich „White Tiger“ genannt und unter diesem Pseudonym in Foren gezielt nach psychisch labilen, jungen Opfern gesucht und diese auch gefunden haben. In der Folge habe er das Vertrauen von mindestens acht Kindern und Jugendlichen erschlichen, das jüngste Opfer war gerade einmal elf Jahre alt.
Über Internetchats soll der Deutsch-Iraner seine Opfer dazu gebracht haben, vor der Webcam sexuelle Handlungen und Verletzungen an sich vorzunehmen. Unter anderem sollen sich die Opfer Symbole und Schriftzüge in die Haut geritzt haben. Polizeipräsident Schnabel spricht von „fürchterlichsten Verletzungen“ – „bis hin zum Selbstmord„. Ein 13-Jähriger aus den Vereinigten Staaten sei im Jahr 2022 dazu gebracht worden, sich vor laufender Kamera zu erhängen; bei einer 14-Jährigen aus Kanada sei versucht worden, sie in den Suizid zu treiben. Im Saal des Polizeipräsidiums ist von einem „geräuschlosen“ Treiben in den Tod bei Instagram die Rede. Es bestehe „der dringende Verdacht des Mordes in mittelbarer Täterschaft“ gegen den 20-Jährigen.
Der Verdächtige soll als führender Kopf einer Gruppe agiert haben, die sich „764“ nennt. Sie steht wegen Rechtsextremismus, Satanismus und extremer Gewaltverherrlichung im Visier des FBI. Aus den Vereinigten Staaten sei letztlich auch der Tipp an die deutschen Behörden gekommen, der die Ermittlungen auslöste. Insgesamt haben die mehr als 20 Beamte der Hamburger Sonderkommission „Mantacor“ neben Messern und einem Schlagring Zehntausende Dateien sichergestellt, die sexualisierte Gewalt an Kindern enthalten. „Es sind erhebliche pornografische und Gewaltsequenzen vorhanden“, sagt Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich. Er nennt weitere, schier unvorstellbare Taten der „764“, die bei den Ermittlungen zu Tage gefördert worden seien. „Ich spreche hier von der Ausweidung von Menschen, von Enthauptung und Folterungen, von Missbrauch an Kleinkindern und dem sadistischen Quälen und Töten von Kindern.“
Die Ermittler präsentieren bei ihrer Pressekonferenz etliche Beispiele, die die Brutalität und den Sadismus von „White Tiger“ und „764“ zeigen. Es fallen Begriffe wie „Cybervergewaltigung“, es geht um „Spiele“ mit Blut, um schwerste Verletzungen im Intimbereich, um Erpressungen der Opfer, um tote Tiere. „Es handelt sich um besonders verstörende und menschenverachtende Dateien“, sagt ein Staatsanwalt. LKA-Chef Jan Hieber spricht von einer „teuflischen Vorgehensweise“: „Wir haben in einen Abgrund geschaut, den wir zuvor noch nicht gesehen haben.“ Er sei völlig erschüttert. Der stern verzichtet an dieser Stelle auf explizite Schilderungen der Taten.
Die Arbeit der Soko ist mit der Verhaftung vom Dienstag noch nicht erledigt. Es könnte weitere Opfer und auch weitere Beschuldigte geben. Der festgenommene 20-Jährige sitzt jetzt in Untersuchungshaft. Er soll psychiatrisch untersucht werden. Den Angaben zufolge bestreitet er die Tat. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Quellen: Polizei Hamburg, „Hamburger Abendblatt“, „Hamburger Morgenpost“, Norddeutscher Rundfunk, Nachrichtenagentur DPA