Digitale Identität: Was bringt die EU-Brieftasche?

Die EU plant eine digitale Brieftasche: Ausweis, Führerschein, Altersnachweis – alles über das Smartphone. Was da auf Verbraucher zukommt.

Die Europäische Union setzt mit der Einführung der „EU Digital Identity Wallet“ (EUDI Wallet) auf einen digitalen Identitätsnachweis, der in allen Mitgliedstaaten gültig ist. Ab Ende 2026 soll die Wallet jedem EU-Bürger freiwillig zur Verfügung stehen – als staatlich herausgegebene App auf dem Smartphone. Die Anwendung soll den Zugang zu digitalen Diensten erleichtern, den Austausch offizieller Dokumente vereinfachen und die grenzüberschreitende Nutzung von Online-Services in Europa vereinheitlichen.

Die EUDI Wallet dient als digitale Brieftasche für persönliche Nachweise. Neben dem Personalausweis oder Reisepass sollen auch Führerschein, Krankenversicherungsnachweis, Universitätsdiplome oder Zertifikate gespeichert werden können. Die Brieftasche soll sowohl im Alltag als auch im Kontakt mit Behörden und Unternehmen zum Einsatz kommen – online ebenso wie offline, etwa beim Ausleihen eines Mietwagens, bei der Anmeldung an einer Universität, dem Nachweis des Alters beim Online-Kauf oder dem Einchecken in ein Hotel.

Ein zentrales Versprechen des Systems ist die Datensparsamkeit. Nutzer müssen nicht alle Angaben offenlegen, sondern können situationsbezogen bestimmte Informationen freigeben – etwa die Bestätigung, volljährig zu sein, ohne Name oder Geburtsdatum preiszugeben. Die Wallet basiert auf offenen Schnittstellen und einem EU-weiten technischen Standard, der die Interoperabilität in allen Mitgliedstaaten sicherstellen soll.

Technische Umsetzung und erste Pilotprojekte

Die technische Grundlage der Wallet ist im sogenannten „EU Digital Identity Framework“ geregelt, einer überarbeiteten Fassung der eIDAS-Verordnung, die seit Mai 2024 gültig ist. Die EU-Kommission stellt eine Referenzsoftware als Open-Source-Lösung zur Verfügung, auf deren Basis Mitgliedstaaten eigene Anwendungen entwickeln können.

In mehreren EU-geförderten Großprojekten – darunter NOBID, POTENTIAL und EWC – wird die Wallet in konkreten Szenarien erprobt. Dazu zählen digitale Führerscheine, der Zugang zu öffentlichen Diensten oder die sichere elektronische Signatur. Auch private Unternehmen aus Bereichen wie Finanzdienstleistung, Telekommunikation oder Mobilität beteiligen sich an den Tests. Erste nationale Pilotversionen gibt es bereits in Ländern wie Deutschland, Schweden und Italien.

Datenschutz im Mittelpunkt der Debatte

Ein wesentliches Anliegen bei der Entwicklung der EUDI Wallet ist der Schutz personenbezogener Daten. Die Wallet soll dem Prinzip „Privacy by Design“ folgen und technische Maßnahmen vorsehen, die unerlaubte Einsichtnahme oder Datenweitergabe verhindern. Vorgesehen ist, dass Nutzer stets nachvollziehen können, wann welche Informationen übermittelt wurden. Außerdem sollen Daten lokal auf dem Gerät gespeichert und nicht zentral auf Servern abgelegt werden.

Trotz dieser Schutzmaßnahmen gibt es deutliche Kritik. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) warnt vor möglichen Missbrauchsrisiken und mangelnder Transparenz bei der Datenverarbeitung. So könnten – trotz gegenteiliger Absicht – Anbieter nachvollziehen, wo und wann ein Identitätsnachweis verwendet wurde. Auch andere Organisationen wie Digitalcourage oder epicenter.works fordern technische Nachbesserungen, etwa eine stärkere Pseudonymisierung und klare Regeln für den Einsatz privater Anbieter.

Besonders problematisch sei, dass laut aktueller Rechtslage auch Unternehmen Wallets bereitstellen dürften, sofern sie bestimmte Kriterien erfüllen. Dies könnte langfristig zu einer Kommerzialisierung der Identitätsinfrastruktur führen, mit unklaren Konsequenzen für die Datensouveränität der Nutzer.

Gesellschaftliche Folgen und digitale Teilhabe

Neben technischen Fragen stehen auch gesellschaftliche Aspekte im Fokus. Der Zugang zur Wallet setzt ein modernes Smartphone, eine stabile Internetverbindung und ein Mindestmaß an digitaler Kompetenz voraus. Das könnte bestimmte Bevölkerungsgruppen – etwa ältere Menschen oder Personen mit eingeschränktem Zugang zu Technik – benachteiligen. Zwar betonen EU-Institutionen, dass die Nutzung freiwillig bleiben soll und analoge Alternativen weiterhin verfügbar sind, doch Kritiker befürchten einen schleichenden Druck zur digitalen Teilnahme.

Gleichzeitig zeigt der Blick in andere Länder, dass digitale Identitätslösungen unter bestimmten Voraussetzungen gut funktionieren können. In Dänemark nutzen laut offiziellen Angaben mehr als 95 Prozent der Bevölkerung das dortige System „MitID“ für Onlinebanking, Gesundheitsdienste oder Kommunikation mit Behörden – ohne größere Akzeptanzprobleme. Entscheidend scheint dabei eine verständliche Kommunikation, die zuverlässige technische Umsetzung und ein hohes Maß an Vertrauen in die betreibenden Stellen.

Ein ehrgeiziges Projekt mit offenem Ausgang

Die EUDI Wallet ist ein technologisch wie politisch ambitioniertes Vorhaben, das die digitale Infrastruktur Europas auf eine neue Stufe heben soll. Sie bietet praktische Vorteile und könnte langfristig dazu beitragen, grenzüberschreitende Verwaltungsprozesse zu vereinfachen, die Effizienz im öffentlichen Sektor zu erhöhen und Verbrauchern neue Freiheiten im digitalen Raum zu ermöglichen.

Ob das Projekt gelingt, hängt jedoch entscheidend von seiner Umsetzung ab. Fragen der technischen Sicherheit, der rechtlichen Ausgestaltung, des Datenschutzes und der sozialen Inklusion müssen konsequent berücksichtigt werden. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob die EUDI Wallet ihr Versprechen einer vertrauenswürdigen und nutzerfreundlichen digitalen Identität einlösen kann.

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