Anschlag auf Stadtfest: Solingen-Opfer berichten: „Das hat mein Leben verändert“

Zwei Männer und eine Frau starben, acht Menschen wurden verletzt, zwei weitere Besucher verfehlte der Angreifer knapp. Jetzt haben Überlebende der Messerattacke in Solingen vor Gericht ausgesagt.

„Die Musiker auf der Bühne haben sich fast in Trance gespielt“, schildert ein 64-jähriger Marketingfachmann die ausgelassene Atmosphäre auf einer der Bühne des Solinger Stadtfestes. „Mich hat die Musik total mitgerissen.“ Auf kurzen Handyvideos, die im Hochsicherheitstrakt des Oberlandesgerichts Düsseldorf gezeigt werden, sind etliche Menschen zu sehen, die im Rhythmus mitwippen, die vor der Bühne die Musik genießen.

Wenige Minuten später sterben zwei Männer und eine Frau bei einem mutmaßlich islamistischen Terroranschlag. Acht Menschen werden bei der blutigen Messerattacke verletzt, zwei weitere Besucher verfehlt der Angreifer nur knapp. Und mehr als neun Monate später leiden Überlebende noch immer seelisch und körperlich unter den Folgen des Angriffes, wie am dritten Tag des Strafprozesses bei der Befragung von Zeugen deutlich wurde. 

Alpträume und Schmerzen 

Ein 34-jähriger Iraner, der im Schulterbereich verletzt wurde, berichtete unter anderem von psychischen Folgen der Geschehnisse vom 23. August 2024: „Ich habe schlechte Träume“, erklärte er. Noch immer sehe er einen Mann, der damals gestorben ist, fügte er hinzu. Er sei auf dem Weg zum Geldautomaten gewesen, als er an jener Bühne vorbeikam und nur ein kurzes Handyvideo machen wollte. Plötzlich habe jemand versucht, ihn am Hals zu schneiden. 

Ein 61-jähriger Lehrer, der ebenfalls schwere Verletzungen im Hals- und Schulterbereich sowie im Gesicht erlitt, berichtete, ihm fehle Kraft im Arm und er habe weiter Einschränkungen in der Beweglichkeit. Ob die Folgen ganz weggingen, sei sehr fraglich. Seine Erinnerung sei schlechter geworden – sowohl an den Tatabend als auch im Allgemeinen. Mit einer reduzierten Stundenzahl befinde er sich in der Wiedereingliederung. Ob er wieder mehr arbeiten könne, werde in den Ferien entschieden.

Nach Angaben eines 61-jährigen Industriekaufmanns rief der Täter vier bis fünf Mal direkt hintereinander „Allahu Akbar“. „Ich habe den Stich nicht gespürt und auch nicht den Schmerz“, sagte er. Ein Messer habe er auch nicht gesehen. Vielmehr sei er zunächst von einer Schlägerei ausgegangen. Danach habe er dann Blut an sich herunterlaufen sehen, erklärte der Zeuge, der eine Stichverletzung in der Schulter erlitt. „Ich möchte nach vorne gucken“, betonte er. Mit allen Freiheiten. Er sei auf kleinen Konzerten gewesen und habe gemerkt, er habe dort keine Ängste bekommen. Bei der Enthüllung einer Gedenktafel in Solingen habe er sich aber eine Zeit lang umgeschaut, was da für Personen kamen. Er habe sich selbst ermahnen müssen, sich auf das Gedenken an die drei Toten zu konzentrieren. 

Täter ist wie ein Derwisch über den Platz getanzt 

Der 64-jährige Marketingfachmann, der sich von der Musik mitreißen ließ, bilanzierte: „Das hat mein Leben verändert.“ Der Täter sei wie ein „Derwisch“ über den Platz getanzt. Dass neben seinem verletzten Freund auch er selbst attackiert wurde, habe er erst Wochen später an Schnitten an der Jacke bemerkt. Bei der Tat habe er nur einen Aufprall gespürt. Er sei zwar körperlich unverletzt geblieben, sei aber nicht mehr so belastbar, brauche längere Erholungszeiten und befinde sich in Therapie. Wie er dankten auch andere Zeugen der Polizei, den Rettungskräften und Betreuern. 

Die Ermittler in dem Fall suchten bisher erfolglos nach einem zweiten Handy des mutmaßlichen Täters. Am Ende des dritten Prozesstages kündigten die Verteidiger überraschend an, dass ihr Mandant einen Bereich angeben wolle, wo man das vermisste zweite Mobiltelefon möglicherweise finden könnte. 

Die Bundesanwaltschaft wirft dem angeklagten Syrer Issa al H. (27) dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord vor. Zudem soll er IS-Terrorist sein und wenige Stunden vor der Tat der Terrororganisation Islamischer Staat in Videos die Treue geschworen haben. Am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte in einer von seinen Anwälten verlesenen Erklärung den Messerangriff gestanden. Zum Vorwurf der IS-Mitgliedschaft schweigt er.

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