Meinung: Neuer Job für Baerbock: Eine Frau ist mit 44 kein „Auslaufmodell“

Annalena Baerbock wird Präsidentin der UN-Generalversammlung – und schob dafür eine andere Frau zur Seite. Sie hat verstanden, dass man es mit Nettigkeit nicht weit bringt. 

Eine Frau, die drei Jahre lang die deutsche Außenpolitik geleitet hat, übernimmt einen internationalen Posten. Eine logische Entwicklung, könnte man meinen: Annalena Baerbock wird Vorsitzende der UN-Generalversammlung. Eine langweilige Nachricht war das Mitte März, die normalerweise für eine kurze Erwähnung gereicht hätte. Doch stattdessen platzte die Nachricht wie eine Bombe in das politische Berlin. 

Denn eigentlich war der Posten bereits der Karrierediplomatin Helga Schmid versprochen. Die Frau, die seit Jahrzehnten unaufgeregt und im Hintergrund die diplomatische Vertretung Deutschlands geprägt hat, sollte für die Starpolitikerin Baerbock weichen. Skandal!

Wäre Baerbock ein Mann, gäbe es keine Kritik

Baerbock, die die feministische Außenpolitik zur Leitlinie ihres Ministeriums gemacht hat, wollte eigentlich mehr Diplomatinnen ins Auswärtige Amt bringen. Nun tat sie genau das Gegenteil: Sie verdrängte eine Frau von ihrem Posten, um selbst den Posten zu besetzen. Doppelter Skandal!

Klar, stringent war dieser Schritt nicht. Doch Macht wird nicht verschenkt – sie wird genommen. Und es ist bemerkenswert, wie schnell dieselben Leute, die Frauen ständig erklären, sie müssten ehrgeiziger sein, ihnen genau diesen Ehrgeiz vorhalten, sobald sie ihn zeigen. Wäre Baerbock ein Mann und würde einen anderen Mann aus dem Amt drängen, nähme kaum jemand Notiz davon.

Stattdessen wurde die ehemalige Außenministerin vom ehemaligen Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, als „Auslaufmodell“ bezeichnet. Eine Frau, die gerade einmal 44 Jahre alt ist und die größte Volkswirtschaft Europas außenpolitisch durch einen Krieg auf dem eigenen Kontinent geführt hat, soll also plötzlich zu alt und verbraucht sein?

Für Helga Schmid, „die beste und international erfahrenste deutsche Diplomatin“, wie Heusgen sie nennt, war die Entscheidung zweifellos schmerzhaft. Persönlich ist der Unmut nachvollziehbar. Doch so funktioniert der Politikbetrieb: Strategie und Macht gehören zum Spiel. Schmid wusste das, als sie sich für diese Karriere entschied. Würden Frauen nicht mitspielen, gäbe es keine Politikerinnen.

Weg mit der Doppelmoral

Man kann sich darüber aufregen, dass Politik so funktioniert. Dann aber bitte ohne Doppelmoral – nicht nur von Frauen zu erwarten, sich moralischer zu verhalten. Wo war die Empörung, als der ehemalige FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Konsequenzen für die Fehler des damaligen Parteivorsitzenden Christian Lindner tragen musste? Wir erinnern uns: Djir-Sarai trat wegen des FDP-„D-Day-Papiers“ zurück – damit Lindner es nicht tun musste.

Wo blieb damals der Aufschrei, dass Lindner ein „Auslaufmodell“ für die FDP sei? Oder dass es eine „Unverschämtheit“ sei, dass er sich bis zum Schluss machtpolitisch durchsetzt und dabei sogar eigene Leute opfert?

Für Frauen gelten andere Maßstäbe

Die Aufregung um Baerbock zeigte, dass Frauen noch immer nach anderen Maßstäben beurteilt werden. Nicht einmal die private und persönliche Seite ihrer Entscheidung kann sie in den Augen der Öffentlichkeit richtig treffen: Dass sie nach der Wahl gesagt hat, sie würde sich aus der Politik zurückziehen, um sich mehr um ihre Familie zu kümmern, wurde ihr nun ebenfalls vorgehalten. 

Dass ihre beiden Kinder mit nach New York ziehen, dass dieser UN-Posten sicherlich weniger Arbeitsaufwand bedeutet als das Amt der Außenministerin – all das wurde nicht berücksichtigt. Dass Baerbock möglicherweise aus genau diesem Grund diese Entscheidung getroffen hat, auch nicht. 

Der Zeitpunkt der Nachricht war kein Zufall

Geschickt war diese Entscheidung nicht. Welches Bild sie erzeugt, wird Baerbock und ihrem Team bewusst gewesen sein. Vielleicht hat das auch damit zu tun, wann die Nachricht bekannt gegeben wurde: nämlich direkt nach der historischen Schuldenabstimmung im Bundestag. Möglicherweise in der Hoffnung, dass sie im politischen Tumult untergeht.

Dazu kann man nur sagen: fair. Denn Baerbock weiß genau, nach welchen doppelten Maßstäben Frauen in der Politik beurteilt werden. Die Wahrheit ist: Mit Nettigkeit kommt man nicht an die Spitze. Männer wissen das. Es wird Zeit, dass Frauen sich nicht länger dafür rechtfertigen müssen, dass sie es auch verstanden haben.

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