Eine Woche, drei Schlagzeilen rund ums Thema Polizei. Eine dreht sich um rechtsextreme Beamte, eine um einen Turban tragenden Polizisten, eine um eine grüne Politikerin. Welche hat wohl wo das Rennen gemacht?
Es sind drei vollkommen unterschiedliche Schlagzeilen, die in den vergangenen Tagen über die deutschen Bildschirme flimmerten.
Am 21. Mai 2025 wird Jaspinder Singh als Kommissaranwärter der Polizei Bremen vereidigt. Singh ist einer von 200 Anwärterinnen und Anwärtern und könnte in der uniformierten Reihe freudestrahlender Nachwuchspolizisten optisch verschwinden. Aber Singh trägt einen Turban anstelle einer Polizeimütze. Es dauert zwei Tage, bis Radio Bremen einen Beitrag mit dem Titel „Polizist mit Turban löst politische Debatte in Bremen aus“ veröffentlicht.
Ebenfalls am 21. Mai 2025 verkündet die Staatsanwaltschaft Osnabrück, dass gegen zwei Polizisten wegen der Verbreitung rechtsextremer Inhalte ermittelt würde. Einer der beiden Polizisten soll Bilder von ausländischen Personen in entwürdigender und hilfloser Lage angefertigt, der andere den Hitlergruß gezeigt und ein Foto davon verbreitet haben. Es folgte eine Razzia in den Privatwohnungen, am darauffolgenden Dienstag formuliert der NDR mit der Poesie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks „Rechtsextrem? Razzien bei Polizisten – Vorwürfe sehr konkret“.
Am 23. Mai 2025 veröffentlicht Jette Nietzard, Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, einen Instagram-Beitrag, in dem sie einen türkisfarbenen Pullover trägt. Auf dem Pullover prangen die Buchstaben „ACAB“, sie stehen für den Slogan „All Cops Are Bastards“. Einen Tag später veröffentlicht die „Bild“ einen Beitrag mit dem Titel „Grüne-Jugend-Chefin provoziert mit Polizei-Hass-Pulli“.
Welche Aufregerthemen nehmen wir wahr?
Würde ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, fragen, welche dieser drei Schlagzeilen Ihnen bisher untergekommen ist, würden Sie mit Sicherheit auf Jette Nietzard und ihren Pullover verweisen. Das hat Gründe. Zu Nietzards Pullover haben sich mittlerweile Polizisten, Polizeigewerkschaften, der Parteivorstand der Grünen, die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, der Ministerpräsident Baden-Württembergs, der Innenminister Bayerns, die Bundesraumfahrtministerin, der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes und der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft geäußert. Die Liste ist nicht vollständig. Bei Weitem nicht.
Die Kollegen von der „Welt“ haben 17 Beiträge über Jette Nietzards Pullover veröffentlicht. Ich suche auf ihrer Webseite nach dem Hitlergruß des Polizeianwärters. Ich finde einen Artikel. Es ist die Agenturmeldung der DPA.
Eine Frage der Gewichtung
Wenn man dagegen bei den Kollegen vom NDR vorbeischaut, kommen im Beitrag über die mutmaßlich rechtsextremen Polizisten der Direktor der Polizeiakademie, der zuständigen Staatsanwalt und ein ehemaliger Polizist und Polizei-Ausbilder zu Wort. Man erfährt einiges über den Stand der Ermittlungen und über den Zustand der niedersächsischen Polizei.
Was machen wir als Gesellschaft daraus?
Jette Nietzards Pullover ist dumm und peinlich. Der Aufschrei darüber halbwegs angemessen. Ich erinnere mich noch an die Aufregung über die jungen Menschen, die seinerzeit auf Sylt „Ausländer raus!“ gegrölt und den „Hitlergruß“ gezeigt haben. Wer das Syltvideo kritisiert hat, sollte den Pullover nicht kleinreden. Und andersherum. Wer mag, kann ja mal schauen, wer von denjenigen, die heute mit Feuereifer Jette Nietzard der Inquisition überantworten wollen, damals die Sylt-Rassisten verteidigt hat.
Das Problem mit Jette Nietzards Pullover ist nicht zuletzt der erste Buchstabe. Das „A“ in „ACAB“ steht für alle Polizistinnen und Polizisten. Würde man weitergehen, auch für all diejenigen, die bei der Polizei arbeiten, Polizisten ausbilden oder sonst irgendwie Teil einer Polizeiorganisation sind. Sie alle über einen Kamm zu scheren und für die Probleme der Polizei verantwortlich zu machen, entspricht ungefähr dem intellektuellen Niveau eines Dreijährigen. Eine solche Argumentation ist vergleichbar mit den Erzählungen, dass alle Ostdeutschen rechtsextrem, alle Männer frauenfeindlich und alle Weißen rassistisch seien. Es ist großer populistischer Unsinn, auch wenn in allen erwähnten Fällen strukturelle Probleme unbestreitbar sind.
Die Polizei über einen Kamm zu scheren, ist einfach dumm
Wäre nach der Losung „ACAB“ nicht auch Jaspinder Singh, der Mann mit offensichtlich migrantischen Wurzeln und der Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sikh, ein rechtsextremer „Bastard“? Ein Mann, der in seinem kurzen Interview mit Radio Bremen seine Begeisterung für den Polizeiberuf versprüht? Der sich trotz aller widrigen Umstände in eine Polizeiuniform begibt und bereit ist, diesem Land und seinen Menschen zu dienen?
Dass diejenigen, die bei Auffliegen einer rechtsextremen Chatgruppe auf die Polizei als „Spiegelbild“ der Gesellschaft verweisen, die Ersten sind, die einen Blutsturz bekommen, sobald Frauen, Schwule, Muslime, Juden oder Sikh in die Polizei eintreten, ist ein Witz in Tüten. Wer mehr Probleme mit einem Turban-tragenden Polizisten hat als damit, dass kaum eine Woche vergeht, ohne dass wieder eine traurige Meldung über rassistische oder rechtsextreme Polizisten öffentlich wird, ist Teil des Polizeiproblems in Deutschland. Wer sich lieber über den strunzdummen Pullover einer jungen Politikerin erregt als darüber, dass ein Polizist aus Pinneberg während einer Streifenfahrt mehrfach „Heil Hitler“ in den Funk gerufen hat, muss sich fragen lassen, ob sein moralischer Kompass richtig ausgerichtet ist.
Die Polizei muss sich den Respekt ihrer Bürger erst verdienen. Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Das Wort „Einzelfall“ kennt keinen Plural. Eine freiheitliche Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass auch harte Kritik an ihrer Staatsgewalt möglich ist. Wer allerdings nicht in der Lage ist, diese Kritik ordentlich zu begründen und auf einen Schlag alle Polizisten in diesem Land beleidigt, hat sich disqualifiziert. Wer sich lieber auf den Pullover einer 26-Jährigen einschießt als auf Rechtsextreme in Uniform, ebenfalls.